Hans Loew und Klementine Pfister.

[44] Nun schlafen sie in süßer Ruh',

Und Gottes Liebe deckt sie zu.

Er führte sie zu diesem Leben,

Wird ihnen dort ein andres geben;

Dahin zu diesen lieben beiden,

Wird er auch uns dereinst bescheiden.


»Komm Männel, jetzt gehen wir miteinander nach Deidesheim und sehen, was unser lieber Vater dort macht.« – Was wird er treiben? Er kauert auf dem Boden, hat eine lange, irdene, sogenannte Köllnerpfeife in der Hand und stopft sie voll Tabak aus einem großen steinernen Hafen. Unser Vater war ein unbeschreiblich gemütlicher Mann. Sein Vater, der Geheimrat, war ein arger Schnupfer gewesen und hatte seine Söhne oft gewarnt, sich dieser Untugend ja nicht hinzugeben. Diesem Rate war unser Vater pünktlich nachgekommen, allein er war dafür ein leidenschaftlicher Raucher geworden. Später hielt unser Vater wieder seinen Söhnen seinerseits Ermahnungen, daß sie sich der Untugend des Tabakrauchens nicht hingeben sollten, und siehe da, meine lieben Brüder rauchen und schnupfen fast gar nicht, teils außerordentlich selten. Die Pfeife paßte aber auch so gut zu unserem Vater und seinem beschaulichen Leben, daß es gar nicht anders möglich war, als daß er auf das stille Akkompagnement seiner Gedanken hingeführt wurde; wäre er eine Frau gewesen, so hätte er ganz gewiß viel gestrickt.

Es gab in Deidesheim auch Maskenbälle, und der zerstreute Dr. Lederle erzählte mir einmal davon, erwähnend, eine Maske habe sich 17 mal metamorphisiert, immer wieder in die nämliche Gestalt. (Mir hat er einmal 15 Tropfen (?) verordnet, und dem Max erzählte er von Zwillingsbrüdern, wovon der eine 40 und der andere 44 Jahre alt war.) An diesen Deidesheimer Maskenbällen wird unser Vater wohl keinen Anteil genommen haben, er war wenigstens ganz gewiß nicht maskiert. Schöne Mädchen hat er übrigens recht gerne gesehen, nur durften sie nicht mager sein; er schätzte die Schönheit hauptsächlich nach der Korpulenz. Gar viel hat sich aber der Vater um die Frauenwelt nicht gekümmert;[45] ich glaube, er war nie vorher verliebt gewesen, ehe er unsere Mutter kennen lernte; er hat wenigstens nie davon gesprochen, und er war nicht verschlossen, im Gegenteil, sehr mitteilsam, wenn niemand Fremder um den Weg war.

Die Zeit, von welcher ich jetzt rede, sind die Jahre zwischen 1798 und 1805. Der Vater war also noch Stadtschreiber in Deidesheim, aber schon damals ein gelehrter Mann. (In späterer Zeit sagte Max zu mir: »Wenn man bei Deinem Vater ist, braucht man kein Lexikon, er weiß alles!«)

Wahrscheinlich, weil er das Geld zum Doktorexamen nicht hatte, wurde er Lizentiat. Das linke Rheinufer war ja jetzt französisch geworden, und es fügte sich alles dem französischen Zuschnitt. Es kam jetzt die Zeit, wo Napoleon mit seinen Feldzügen innehielt und allerlei Verordnungen erließ, die innere Lage des Reiches zu verbessern. Unter anderem wurden auch Preisfragen aufgestellt; darunter auch eine aus der Jurisprudenz. Unser Vater machte sich daran, diese Frage zu bearbeiten – im großen Frankreich hatte er gewiß manchen tüchtigen Mitbewerber – er schickte seine Arbeit ein, und sie wurde als die beste erkannt. Er erhielt den versprochenen Preis, aber nicht in klingender Münze, sondern in Assignaten, lautend auf 3000 Franks.

Mit dem Überschicken des Geldes ward ihm eine Advokatenstelle angeboten. Die Ernennung zum Advokaten in Speier ist datiert am 23. Germinal XI. 1803 und unterzeichnet von Napoleon und Regnier.

Unser Vater griff nicht gleich zu, sein Herz war voll Pietät; er erinnerte sich, daß der greise Fürst Styrum noch lebe, welcher vor Zeiten seines Vaters Wohltäter gewesen war, und daß ihm zuerst seine Dienste gebührten. Auch zog es ihn mächtig nach dem Teile seines spezifischen Vaterländchens, welches deutsch geblieben war; denn auf dem rechten Rheinufer blieb nach dem Frieden von Campo Formio alles beim alten. So kam er nach langer Zeit wieder nach Bruchsal; er hatte noch entfernte Verwandte dort: »Bäschen«. Wer aber diese Bäschen waren, weiß ich nicht. Er machte seine Aufwartung bei dem Fürsten, sagte ihm, daß er sich Kenntnisse erworben habe, und zeigte ihm die Belege hierüber. Er bot dem Fürsten Styrum seine Dienste an, aber dieser lehnte sie ab, indem er erklärte, er werde nie ein Kind[46] von Jakob Loew in seiner Nähe dulden. Styrum hatte sich in den Eigensinn hineingelebt, welcher hohen Alter ebenso eigen zu sein pflegt wie den Kinderjahren. Unser Vater ging mit einem Seufzer an den Goldfischen vorüber und drehte für immer Bruchsal den Rücken. So kam es, daß Hans Loew Advokat am Bezirksgericht in Speyer und französischer Untertan geworden ist. Er mietete sich ein Zimmer bei Kaufmann Hetzel auf der Domstraße und einen Garten vor dem Wormser Tore. Das »Gärteln« gewährte ihm stets großes Vergnügen. Aber in welchem Aufzuge ging er in diesen Garten? Antwort: Mit der Gießkanne in der Hand ging er jeden Abend von seiner Wohnung bei Hetzels durch die Straßen bis vor das Tor in seinen Garten und also auch wieder zurück. Freilich war die Stadt Speyer so ganz still und ausgestorben, daß er auf seinem Wege nicht sehr vielen Leuten begegnete, aber immerhin sah man ihn auch von den Fenstern aus. Mir ist im Leben nie mehr jemand vorgekommen, dem alles was Form des Anzuges anbelangt – auf seine Leibwäsche und täglich frische weiße Halsbinde hielt er – so ganz gleichgiltig war wie unserem Vater; daß er dadurch auffallen könne, fiel ihm gar nicht ein. Wir Töchter hatten deshalb später oft unsere Not mit ihm; aber ich glaube, es geht meinen Töchtern mit mir auch nicht besser; denn ich habe Zeiten, wo mich der kleinste gesellschaftliche Zwang anwidert, und doch weiß ich recht gut, daß es von einer Frau ein großer Fehler ist, sich der Konvenienz nicht fügen zu wollen; ein Mann darf sich eher etwas der Art erlauben. Unser Vater war ein Philosoph, und unser Bruder Titus hat außerordentlich viel Ähnlichkeit mit ihm, sowie auch in der anspruchslosen Zufriedenheit, welche durch unseres Vaters ganzes Wesen ging. Ich will hier zwei Anekdoten einfließen lassen, wie sie der Vater öfter durch seine vernachlässigte Erscheinung hervorgerufen hat.

1. Der Vater war als Regierungsrat in Geschäften in Zweibrücken und wollte seinen Bekannten, den Appellrat Siegel besuchen, fand ihn aber nicht zuhause und hinterließ, daß er im »Hirsch« logiere. Herr Siegel kommt nach Hause und verfügt sich in den »Hirsch«. Er frägt nach Regierungsrat Loew und erhält die Antwort, daß niemand solcher da sei, worauf er aber behauptete, derselbe müsse da sein. Da sagte eines von den Wirtsleuten:[47] »Ach das is am End' der alt Handwerksborschd; wir haben ihn im dritten Stock eing'schlosse', damit er nit fortgeht, ohne die Zech' zu bezahle!«

2. Der Vater kam auf einer Visitationsreise auch nach Kirchheim-Bolanden, um das dortige Landkommissariat zu visitieren. In dem Wirtshause, in welchem er abgestiegen war, aßen auch zwei Schreiber vom Landkommissariat zu Mittag, hielten ihn für einen Schneider, äußerten dahin zielende Anzüglichkeiten und meckerten: »Mäh, mäh, mäh!« Zu ihrem großen Erstaunen sahen sie nachmittags den angemeckerten Schneider als visitierenden Regierungsrat eintreten, und der Vater verhehlte ihnen nicht, wie ihr Betragen unter allen Umständen ein ungezogenes war.

Wenn unser Vater in seinen Garten hinausspazierte, kam er an einem Haus vorbei, welches ihm sehr wohl gefiel, und da er nun schon mehrere Jahre Advokat war und eine gute Praxis hatte, so kaufte er dieses Haus am Weidenberg, weiß angestrichen und mit grünen Läden. Es war sehr hübsch und heimlich in diesem Hause, ich kann es gar nicht sagen, wie sehr; besonders später, als das Haus und ich Bekanntschaft miteinander machten, da war schon das schöne Plätzl angelegt. Sechs Stufen führten aus dem Hof in den Garten, welcher um so viel höher am Weinberg lag. Im Garten gab es sehr viele Trauben und anderes Obst und auch eine Masse Spargel. Im Hof waren zwei Ställe, ein Holzschuppen, ein Brunnen mit großem Trog und ein Maulbeerbaum; aus dem Hof ging ein großes Tor auf die Straße. Das schönste war aber ein Plätzl an der Seite des Hauses, welches der Vater einebnen, mit einem grünen Geländer umgeben und mit einigen Bäumen und Sträuchern bepflanzen ließ. Nachdem das Haus hergerichtet und möbliert war, zog der Vater 1805 hinein, hatte viele Freude an seiner neuen Besitzung und war immer guter Dinge. Da bekam er einen Brief von seinem Bruder Alban aus Heidelberg, welcher ihn zur Taufe seiner Erstgeborenen, einlud, die am 25. April 1805 geboren war. Unser Vater, von jedermann als Hagestolz angesehen, obwohl erst 34 Jahre alt, fuhr nach Heidelberg, nm der Taufe seiner erstgeborenen Nichte, Emilie Loew, beizuwohnen.

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 44-48.
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