Zwischen Männern und Frauen

[53] Es ergibt sich oft – sei es schon am Anfang des Abends, sei es in seinem weiteren Verlauf – daß die Gesellschaft auseinanderfällt in eine Frauengruppe einerseits und eine Männergruppe andererseits. Man könnte meinen, Männer würden gerne mit Frauen reden und umgekehrt. Bei vielen Männern aber – besonders in Ländern ohne traditionelle höfische Kultur – besteht eine ausgesprochene Scheu, sich mit Frauen konversationell zu unterhalten. Flirten können sie einigermaßen, wenn die Dame attraktiv ist, aber nicht freundlich und sachlich reden; denn dies haben sie nicht gelernt. So ergibt es sich denn nicht selten, daß die Männer feige die erste Gelegenheit benutzen, ihre Dame oder Damen zu verlassen, um sich mit Männern zusammenzusetzen und zu unterhalten – über Geschäft, Beruf, Politik, wo sie sich wieder sicher fühlen. Die Frauen bilden darauf nolens volens eine Gegengruppe.

Diese Verteilung ist keineswegs ideal. Wohl die meisten Frauen möchten gerne etwas über den »Horizont« hinausblicken; sie haben sich deshalb (in allen Ehren!) auf Männergesellschaft gefreut, und sind nun frustriert. Und sowohl Männer als Frauen kommen so um das leise Knistern, das zwischen den Geschlechtern auch bei sachlichem Gespräch immer aufkommt – wir möchten sogar sagen: aufkommen sollte.

Es ist deshalb dafür zu sorgen – und das dürfte vor allem [53] Pflicht der Hausfrau sein – daß die Männer ihrer Feigheit oder Ungeschicklichkeit nicht freien Lauf lassen und sich nicht in ihr Männer-Grüppchen-Schneckenhaus zurückziehen können. Selbstverständlich sind Umgruppierungen am Schluß des Essens nicht nur gestattet sondern sogar erwünscht, aber was dabei gefördert werden soll, ist die Mischung und nicht die Trennung von Männern und Frauen.

Die Engländer des Viktorianischen Zeitalters haben dieses Problem gesehen und eine klare Lösung institutionalisiert: Nach dem Dessert pflegten die Damen das Eßzimmer zu verlassen; sie zogen sich zurück in den drawing-room (eine Kürzung von withdrawing-room ›Zurückziehraum‹). Dort saßen sie zusammen bei (oft recht freien) Frauengesprächen, und sie hatten auch Gelegenheit, diskret auf die Toilette zu gehen und sich frisch zu machen. Die Männer andererseits blieben noch eine Weile im Eßzimmer, tranken Portwein, knackten Nüsse und rauchten, und sie hatten nun ihrerseits Gelegenheit, »Männerworte« zu äußern, sei es Fachgespräch, sei es die eine oder andere deftige Geschichte, die man vor Damen nicht zu äußern wagte.

Die institutionalisierte Trennung dauerte aber nur eine kurze Weile, etwa eine halbe Stunde. Dann pflegte der Hausherr zu sagen: »Shall we join the ladies?«, und die Herren zogen ebenfalls in den drawing room hinüber, etwas erwärmt von Portwein und munteren Geschichten, und gerne bereit, sich den Damen in gemeinsamen Gesprächen galant zu nähern. Und die Damen, unterdessen jungmädchenhaft aufgeblüht, kamen dem freudig entgegen. Diese Sitte hat sich nicht übel bewährt; mehr als hundert Jahre hat sie sich gehalten. Und es wäre nicht das Dümmste, sie gelegentlich wieder aufleben zu lassen. Wo sie noch existiert – wir trafen sie, wenn auch selten, in französischsprachigen Häusern – hat sie ausgezeichnet funktioniert. Also: Portwein und Nüsse her!

Weiter zum Thema »Frauen und Männer«. Es fällt auf, wie merkwürdig beschränkt in vielen Parties das Gespräch zwischen einem Mann und seiner eigenen Frau ist. Nehmen wir den einfachsten Fall an:

[54] Frau A und Herr A haben zusammen einen Gast B eingeladen und sitzen nun zu dritt am Tisch. Nun wird man meist beobachten:

daß Herr A mit dem Gast B spricht,

daß Frau A mit dem Gast B spricht.

Aber das »Binnengespräch« zwischen Herrn A und Frau A, das heißt die dritte Seite des Gesprächsdreiecks, fehlt fast ganz. Meist beschränkt es sich auf Anweisungen, die die Eheleute einander geben, etwa: »Stell das dahin!« oder »Bring den Kirsch!«. Natürlich ist es völlig falsch, wenn das Ehepaar sich in privaten Gesprächen, wohl gar dem Dritten unverständlichen, auslebt. Aber ein völliges »Abstellen« der Kommunikation zwischen den beiden ist sicher auch nicht das Richtige.

Ganz verfehlt schließlich ist es, wenn Eheleute einander vor einem Gast oder vor den Gästen bloßstellen. In dem Roman »A Natural Curiosity« von Margaret Drabble begibt sich folgendes: Das Ehepaar Janice und Edward gibt eine Party. Edward hat Freude daran, alte Geschichten aufzuwärmen. »Weißt du noch,« sagt er (frei übersetzt) zu seiner Frau, »wie du damals das Plasticsäckchen im Huhn mitgekocht hast. Ja ja, du warst im Kochen eine vollkommene Null.« Darauf die Frau ganz ruhig:«Und du warst im Vögeln eine vollkommene Null. Ja ja, wir haben beide allerhand lernen müssen.«

Das ist der klassische Fall des groben Keils auf einen groben Klotz. Sicher war die Antwort nicht fein, aber dem Manne gehörte so etwas. Es ist schon im stillen Kämmerlein, wenn man unter sich ist, nicht fein, wenn die Ehepartner einander mit alten blamablen Geschichten kränken – völlig unmöglich wird es in Gesellschaft.

Nebenbei gesagt: Gerade die Kochkunst ist für viele Frauen ein empfindliches Thema. Es gibt bekanntlich immer noch viele Frauen, die neben ihrer Hausfrauentätigkeit keinen Beruf ausüben. Diese haben oft Gefühle der Schuld oder Minderwertigkeit gegenüber ihren berufstätigen Schwestern. Da ist denn die Vollkommenheit des Haushalts und besonders der Küche (neben der eigenen Schönheit) die einzige Stütze ihres Selbstbewußtseins [55] – wenn man sie hier verletzt, so schneidet es tief. Andererseits haben die berufstätigen Frauen oft ein gewisses Bangen, man werde sie als reine Blaustrümpfe ansehen, die zum Beispiel kaum kochen könnten; auch ihnen macht man mit einer Koch-Kritik wenig Freude. Also: Ein Mann soll an einer Party nie an seiner Frau herumkritteln, sondern sie pro Abend mindestens einmal hörbar loben – und natürlich auch umgekehrt.

Quelle:
Leisi, Ilse und Ernst: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden? Tübingen 21993, S. 53-56.
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