II. Das Kriegsjahr 1848 in Schleswig-Holstein.

[13] In meines Vaters Tagebuch steht von der Revolutionszeit 1848 die kurze Bemerkung: »Über die trüben Märztage des Jahres 1848 möchte ich so rasch wie möglich hinweggehen. Das Herz jedes Soldaten, wie jedes wahren Patrioten blutet, wenn man jener Zeit gedenkt.«

Mein Vater, der damals zum trigonometrischen Bureau in Berlin kommandiert war, erhielt nun den Befehl, zu seinem Regiment nach Königsberg zurückzukehren; doch noch ehe er sich dahin begeben konnte, tat sich ein neuer Abschnitt für sein militärisches Leben auf. Das meerumschlungene Schleswig-Holstein wollte als »up ewig ungedeelt« die dänische Herrschaft abschütteln, und der Krieg brach aus.[13]

In meines Vaters Tagebuch heißt es darüber: »Wenngleich das mit Meineid, Verrat und Blut vielfach befleckte Jahr 1848 zahllose böse Geister wachrief, so wird man anderseits nicht verkennen können, daß sich gerade in dieser wildbewegten Zeit ein gewisses Aufflackern der Idee eines einigen deutschen Vaterlandes bemerkbar machte. Es war ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das einige Jahrzehnte später in hellen Flammen emporloderte und uns durch Blut und Eisen ein einiges Vaterland schuf. In diesem Sinne kann und muß man die Erhebung der Elbherzogtümer betrachten. Tausende sehnten sich danach, dem bedrückten Bruderstamme ihren Arm zu leihen und das deutsche Land im hohen Norden seinem natürlichen Vaterlande zurückzuerobern.

Schleswig-Holstein brauchte Menschen, die dem anrückenden Feinde entgegengeworfen werden sollten, und Führer, die die Truppen leiteten. Bei Bau waren die nach Norden sich hinwälzenden, ganz ungeübten Heeresteile der Herzogtümer an den geschulten, feindlichen Bataillonen zerschellt. Trotz aller Tatkraft und Ausdauer, namentlich von den Studenten, war das ganze Resultat der Blutarbeit doch nur ein übereilter Rückzug bis hinter die Eider.

Gott sei Dank, jetzt hat der Deutsche Bund und auch Preußen sich entschlossen, den bedrängten Herzogtümern zu Hilfe zu kommen.

Mit dem Beitritt unseres königlichen Herrn ist für uns der nun beginnende Kampf geadelt, und mit Freuden stelle ich mit einigen 30 Offizieren meinen Degen diesem Unternehmen zur Verfügung.

Wir wollen den Krieg kennen lernen, um uns für den späteren Dienst im Heere tüchtig auszubilden. Persönlich näher stehen mir von den Herren: Bonin, Zastrow, Tann, Treskow, Blumenthal, Hann von Weihern, Gersdorf, Grüter, Döring und Schöning.«

Ehe ich im Tagebuch meines Vaters fortfahre, möchte ich in aller Kürze ein Wort über diese Persönlichkeiten sagen, die es wohl verdienen, daß man ihrer in größter Anerkennung gedenkt und dafür sorgt, daß auch kommende Generationen diese Namen hochhalten.

Unter den zehn genannten Herren wurden die sechs zuerst genannten Kommandierende Generale.

Im Jahre 1864, als von Zastrow Kommandierender General des VII. Armeekorps war, erhielt mein Vater die 26. Brigade in Münster. So führte das Schicksal die beiden alten Waffengefährten noch einmal zusammen und erneuerte die früheren dienstlichen Beziehungen.

Der bayerische General von der Tann stand 1866 meinem Vater bei Kissingen persönlich gegenüber, 1871 aber trafen sie als Verbündete in Orleans zusammen. Beim freudigen Wiedersehen an einem Ruhetage[14] tauschten sie die Erinnerungen an die gemeinsamen Kampfesjahre 1848/49 aus und verhandelten ausführlich über Kissingen, wo sie sich gegenübergestanden hatten. Am eingehendsten aber wurde über dies Gefecht zwischen den beiden Herren im Sommer 1871 verhandelt, als beide in dem Bade Kissingen die Kur gebrauchten und an Ort und Stelle die verschiedenen Gefechtsaugenblicke besprechen konnten.

Bei Vionville 1870 fielen Döring und Schöning. Letzteren, den Kommandeur des Grenadierregiments 11, habe ich so oft »einen Helden in des Wortes schönster Bedeutung« nennen hören, daß ich das nicht unerwähnt lassen möchte.

Die Geschichte des Grenadierregiments 11 weiß davon zu sagen. Der selbständige Entschluß Schönings, der von meinem Vater gebilligt, von General von Manstein aber getadelt wurde, war von entscheidender Wichtigkeit an dem Tage gewesen. Denn das rechtzeitige Erscheinen des Regiments hatte in das Gefecht eine glückliche Wendung gebracht. Als der erste Schuß bei Vionville fiel und Schöning mit seinem Regiment vorrückte, schrieb er auf den von General Manstein erhaltenen Befehlszettel, der ihn zurückhalten sollte: »Zu spät«.

Mit hervorragender Tapferkeit hatte sich das Regiment geschlagen, aber es waren blutige Lorbeeren, die es errungen hatte. 41 Offiziere und 1100 Mann hatten mit ihrem Blute die Treue bezahlt. Der Kommandeur lag schwer verwundet in einem Hause in Gorze und erlag in wenig Tagen seinen Wunden.

Mein Vater fährt, nachdem er seinen lieben Waffengefährten aus dem Schleswig-Holsteinschen Kriege genannt hat, dann in seinem Tagebuch fort: »Wir hoffen, daß es uns gelingen wird, den preußischen Waffenruhm zu vermehren, und sind bereit, unser Herzblut auf dem Felde der Ehre hinzugeben.«

Großonkel Wrangel, der Kommandierende General des II. Armeekorps, erhielt den Oberbefehl über die deutschen Truppen. Am 19. April sollte er, von Stettin kommend, in Berlin eintreffen. Mein Vater fuhr auf den Bahnhof, er wollte dem Onkel dort gleich seinen dringenden Wunsch, den Krieg mitzumachen, an das Herz legen.

Flüchtig, wie ein Schattenriß, taucht bei mir das Bild auf, da ich mit meiner Mutter an dem Abend beim Großonkel Wrangel war, um meinen Vater abzuholen.

»Der Onkel würde Ordnung schaffen«, dies Wort von meinem Vater wollte mir nicht aus dem Sinn, und ich war ein klein wenig ängstlich, wenn ich an seine Strenge dachte. Aber wie lieb war er, wie freundlich! Es mochte wohl nur ein kurzer Augenblick gewesen sein,[15] den er für uns übrig hatte, aber er genügte, um ihm mein Kinderherz zu erobern.

Daß mein Vater verstimmt und schweigsam war, wie wir nach Hause gingen, den anderen Tag aber seelenvergnügt, davon weiß ich nichts mehr. Später, als ich verständiger geworden war, hat er mir davon erzählt. Als er dem Onkel auf dem Bahnhof seine dringende Bitte an das Herz gelegt hatte, ihm zu helfen, daß er den Krieg mitmachen könnte, hatte der ihm mit einer gewissen Barschheit, die er hin und wieder annehmen konnte, geantwortet: »Geht nicht! Habe schon Bummlers genug mit!« Den nächsten Tag aber war mein Vater zu ihm gerufen worden, und der Onkel hatte ihm da die Genehmigung des Königs verkündigt, daß er als Freiwilliger den Feldzug mitmachen dürfe. Schon den Morgen darauf fuhr mein Vater mit dem General Wrangel und seinem Stabe nach Rendsburg.

Aus dem Kriegstagebuch meines Vaters, das er später schrieb, gegründet auf die Briefe, die meine Mutter von ihm erhalten hatte, möchte ich nun einige heitere Episoden, vor allem aber die ernsten Tage herausgreifen, die meinem Vater besonders lieb waren. Doch zuerst will ich von dem Großonkel aus dem Schleswig-Holsteinschen Kriege erzählen, was ich darüber aus den Familienaufzeichnungen weiß.

Am 21. April in der Nacht langte Wrangel mit seinem Stabe in Rendsburg an. In seinem Gefolge befand sich auch Se. Königl. Hoheit, der Prinz Friedrich Karl von Preußen, Hauptmann im ersten Garderegiment zu Fuß, der ihm von Seiner Majestät und den hohen Eltern besonders anvertraut war.

Am anderen Tage übernahm der General den Oberbefehl und machte dies durch einen Tagesbefehl bekannt. Unter ähnlich schwierigen Verhältnissen hat wohl selten ein General ein derartiges Kommando übernommen. Er sollte zwei Gewalten zugleich Gehorsam leisten; als preußischer General seinem König und Herrn, und als Oberbefehlshaber der deutschen Bundestruppen dem Deutschen Bunde in Frankfurt a.M., dem er durch Eid verpflichtet war. Was konnte dies Zwei-Herrendienen-Müssen für Verwicklungen geben! Ferner war nichts vorbereitet. Die preußischen Truppen, 14 Bataillone, 6 Schwadronen und 3 Batterien, die nach Holstein entsendet waren und in und bei Rendsburg standen, waren nicht wirklich mobil gemacht, keine Trainsoldaten und Pferde, keine Trainkolonnen, keine Feldlazarette waren da, und das X. deutsche Bundeskorps hatte sich überhaupt noch nicht konzentriert. Dabei waren die holsteinschen Truppen noch erschüttert und entmutigt durch die Niederlage bei Bau.[16]

Dies aus allen Kontingenten bunt zusammengewürfelte Armeekorps, das nach den verschiedensten Grundsätzen ausgebildet und bewaffnet war, sollte nun plötzlich zu einer Einheit zusammengeschmiedet werden. Dazu aber blieb keine Zeit, denn es sollte und mußte energisch gehandelt werden. Einer der hervorragendsten Charakterzüge in Wrangels Persönlichkeit war, neben einer eisernen Energie, die Furchtlosigkeit, mit der er allen Schwierigkeiten entgegentrat. Sein festes Gottvertrauen und der unerschütterliche Wille, seine ganze Kraft an die ihm gestellte Aufgabe zu setzen, waren die Flügel, die ihn so oft über alle Hindernisse glücklich hinwegtrugen.

So ging er denn auch hier frisch und zuversichtlich ans Werk. Er beorderte sofort die Offiziere auf den Paradeplatz und sagte ihnen, er fühle sich hochgeehrt, zum Oberbefehlshaber der Bundestruppen ernannt zu sein; allein die Stellung sei eine schwere. Ohne das Land und seine Verhältnisse, ohne die ihm untergeordneten Truppen zu kennen, selbst deren Führer nicht persönlich, würde man vielleicht schon am nächsten Tage ernsten Ereignissen entgegentreten. Wie es ihm in allen Fällen besonders treffend zu Gebote stand, so wußte General Wrangel auch hier in knappen Zügen die Sache klarzulegen und dann durch die Wärme seiner Empfindung, mit ein par zündenden Worten, seine Zuhörer fortzureißen, als er seine Anrede mit der Erklärung schloß: »Das aber macht alles nichts aus! Ich kenne Ihren Mut, Ihre erprobte Treue und Hingebung für den König, und ich weiß, daß Sie eingedenk des alten preußischen Waffenruhms für König und Vaterland bis zum letzten Blutstropfen kämpfen werden«, und den Prinzen Friedrich Karl den Offizieren vorstellend, fuhr er fort: »Se. Majestät der König hat einen Königlichen Prinzen hierher gesendet, als ein Zeichen, wie innig Allerhöchstderselbe sich mit seiner Armee verbunden fühlt.« – Dann wandte er sich an den Prinzen: »Eure Königliche Hoheit werden zeigen, daß Hohenzollernblut in den Adern unseres Prinzen fließt. Die Armee erkennt es hoch an, ein so teures Pfand in ihrer Mitte zu haben, es wird sie um so mehr zu Taten anfeuern! Aber, mein Prinz, wir wollen keine Worte weiter machen, sondern handeln.«

Schon am andern Tage, den 23. April, saß Wrangel von 6 Uhr früh im Sattel, und um 11 Uhr vormittags fiel aus einer preußischen Batterie der erste Schuß. Die Schlacht von Schleswig nahm ihren Anfang.

Selbstverständlich liegt es mir fern, in diesen Blättern den Gang der Kriege schildern zu wollen, in denen mir Nahestehende eine Rolle spielten. Das ist ja eingehend von berufener Seite geschehen und würde[17] sich für meine Feder nicht eignen. Nur Einzelheiten will ich aus dieser Zeit hervorheben, die geeignet sind, noch tiefer und eingehender ein Bild der Persönlichkeiten wiederzugeben, deren Namen der Geschichte angehörten.

An jenem Tage von Schleswig wollte das Gefecht bei Busdorf nicht recht vorwärtsgehen, und um sich genau von dem Stand der Dinge zu überzeugen, ritt der Oberbefehlshaber sofort dahin. Er geriet dabei mitten in den Tirailleurlinien in das heftigste Kreuzfeuer. Unbeirrt hielt er Umschau und nahm dann erst mit seinem Stabe Deckung hinter einem Bauernhause.

Wie er in solchen Augenblicken keine Schonung für sich kannte, so auch nicht für seine Offiziere. Hauptmann von Massow sandte er im stärksten Kugelregen mit dem Befehl ab, ein Bataillon vom Kaiser-Franz-Grenadierregiment herbeizuholen, das den Hügel mit dem turmartigen Pavillon vom Feinde säubern sollte.

Unterstützung von der Kolonne des Generals von Bonin mußt aber auch herbeigeholt werden, denn starke feindliche Massen rückten mit hochflatternden Danebrogs vor und drängten die linke Flanke der Truppen zurück. Mit diesem Befehl, ein Regiment zur Unterstützung zu schicken, sandte Wrangel den Prinzen Friedrich Karl fort, der, den nächsten Weg wählend, über Gräben und Knicks sprengte, unbekümmert um die Kugeln, die ihn umsausten. Mit militärischer Umsicht führte der Prinz das Königsregiment in die rechte Flanke des Feindes, und, obgleich heftig beschossen, gab dieses Regiment unter dem braven Major von Steinmetz den Ausschlag. Wie stolz war mein Großonkel auf dies Heldenstückchen seines jungen Prinzen. In seinem Vortragszimmer hing auch von diesem Gefecht ein Bild. Es ist der Augenblick wiedergegeben, wo Wrangel dem Prinzen Friedrich Karl den Befehl gegeben hat und dieser im Begriff ist davonzujagen. Mit wahrer Herzensfreude erzählte der Großonkel immer davon.

Auch ein Kupferstich von Kolding hing in jenem Zimmer mit der Unterschrift »– 2. Mai 1848 –«. Das war der Tag, an dem der General Wrangel in Jütland einrückte. Die Parole lautete dazumal: »Großgörschen«, das Feldgeschrei »Friedrich« und die Losung »Gott helf«.

Voll freudiger Genugtuung sah der General auf die vier Wochen zurück, die er als Oberbefehlshaber der Bundestruppen in dem meerumschlungenen Lande durchlebt hatte. Rascher noch, als er selbst zu hoffen gewagt, waren die Schwierigkeiten überwunden. Er hatte seine Aufgabe lösen können; die Herzogtümer waren für Deutschland erobert, und durch die Besetzung Jütlands hatte man ein Unterpfand für alle künftigen[18] Verhandlungen gewonnen. Sein Herz war voll Dank gegen Gott, denn eine tiefe, ungekünstelte Frömmigkeit gehörte zu den Grundzügen seines Charakters.

Da, am 23. Mai, erschien in Kolding ein Feldjäger aus Berlin mit Depeschen des Ministeriums des Äußern an den General von Wrangel, deren Inhalt in Kürze zusammengefaßt lautete: Die Stellung der preußischen Regierung würde den fremden Mächten, namentlich Rußland und England gegenüber täglich unhaltbarer, und dabei könne Preußen keine Unterstützung von den Mittel- und Kleinstaaten erwarten. Es sei daher Sr. Majestät des Königs dringender Wunsch und Wille, daß Wrangel sofort Jütland räume.

Für Wrangels Eigenart, dem das »Frisch drauf« im Blute lag, gab es kaum etwas Schwereres als das Rückwärtsgehen. Seine ganze Natur bäumte sich dagegen auf! Aber mit eiserner Energie zwang er im Gehorsam und aus Liebe zu seinem Könige die eigenen Gefühle nieder und gab schweren Herzens den Befehl, Jütland zu räumen. Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers wurde nach Hadersleben im nördlichen Schleswig verlegt, wo sich dann auch die diplomatischen Verhandlungen abspielten, die Mitte Juli wegen des Abschlusses eines Waffenstillstandes zwischen den kriegführenden Parteien begonnen hatten.

In dieser Zeit, wo Wrangel seiner Natur nach die größte Selbstverleugnung üben mußte, traf ihn eine Nachricht, die ihn mehr noch als alles andere beunruhigte. Er erfuhr, daß die revolutionären Bewegungen in Berlin und selbst in Potsdam so überhandnahmen, daß Se. Majestät der König selbst in Potsdam nicht mehr sicher sei.

Diese Tatsache wirkte auf Wrangel wieder wie das treibende »Vorwärts«, das ihn drängte, so bald als möglich zu seinem Königlichen Herrn zu eilen, und als der Waffenstillstand von Malmö abgeschlossen war, hielt Wrangel nichts mehr in den Herzogtümern zurück. Er beauftragte den Chef seines Stabes, General von Hahn, mit der vorläufigen Führung der Geschäfte des Oberkommandos und eilte nun unverzüglich nach Potsdam, wo er sich bei Sr. Majestät dem Könige meldete mit der ehrfurchtsvollen Bemerkung, daß er es unter den obwaltenden Umständen für seine erste Pflicht gehalten habe, mit sämtlichen preußischen Truppen aus den Herzogtümern herbeizueilen, um seine Kräfte lediglich den Interessen des Königlichen Hauses zu weihen.

Tief bewegt umarmte ihn der König und versicherte, daß er ihm das nie vergessen werde. Bis zu seinem Lebensende hat der Hohe Herr auch meinem Großonkel uneingeschränkt seine Huld bewahrt.[19]

Wenn auch mein Vater schon bei Schleswig am 23. April als Hauptmann in dem Generalstab des Prinzen Noer die Feuertaufe erhielt, so liegen die ernsten Kämpfe, die für ihn mit unvergeßlichen Erinnerungen verknüpft sind, erst im Jahre 1849.

Gleich nach der Schlacht von Schleswig wurde er als Generalstabsoffizier dem damaligen schleswig-holsteinschen Obersten von Zastrow zugeteilt, der die Führung eines Seitendetachements erhalten hatte. Diese beiden Offiziere vereinigten sich in dem gleichen Fühlen, Denken und Streben. Sie machten die Sache der Schleswig-Holsteiner zu ihrer eigenen und gaben sich der Aufgabe, die an sie gestellt wurde, mit voller Begeisterung und der ganzen Kraft ihrer Persönlichkeit hin.

Über Zastrow1 schreibt mein Vater in seinem Tagebuch: »Er war ein umsichtiger Truppenführer, dabei von hervorragender persönlicher Tapferkeit, kaltblütig im Gefecht und leutselig gegen den gemeinen Mann.«

Von einer lustigen Episode erzählt mein Vater in seinem Tagebuch. »Wir hatten erfahren«, so schreibt er, »daß das Städtchen Ripen seine Widerstandsgedanken aufgegeben hätte, und ließen, um Gewisses zu erfahren, den Bürgermeister und einen Ratsherrn zu uns nach Spandet durch unsere Dragoner herauskomplimentieren. Die Herren bestätigten denn auch feierlichst, daß die Stadt sich nicht verteidigen und auch die Barrikaden forträumen würde. Gleichzeitig aber gaben sie den guten Rat, sich den Einwohnern gegenüber äußerst freundlich zu zeigen, da die Gemüter sehr erregt seien und sie für nichts einstehen könnten. Zastrow antwortete ihnen darauf in seiner originellen Art, es sei klug von ihnen, jeden Gedanken an Widerstand aufzugeben. Was aber die gefährliche Stimmung der Einwohner beträfe, so hege er darüber keinerlei Besorgnis. Um ihnen den Beweis davon zu geben, wolle er ihnen einen Offizier, ohne alle Begleitung, mitgeben, der in Ripen alle Anordnungen für Quartier und Verpflegung treffen würde, und dessen Begehren der Magistrat sich unweigerlich zu fügen hätte.

Dieses eigentümliche Kommando übertrug Zastrow mir, und ich ließ nun sofort meine Sachen packen, setzte mich etwa um 11 Uhr abends mit meinen Dänen auf ihren offenen Wagen und trollte munter gen Ripen. Als wir aus dem Bereich der Vorposten unserer Freischärler waren, begann endlich eine Unterhaltung mit meinen Begleitern, die immer offenherziger wurden, je mehr Sorglosigkeit ich ihnen zeigte.

Kurz vor der Stadt begegnete uns eine Dragonerpatrouille, die mir meldete, daß sich an der Königsau dänisches Fußvolk befände. Meine[20] Lage wurde dadurch etwas bedenklich. Zwei Meilen von unseren Truppen und kaum eine Meile von den dänischen Vorposten entfernt, fuhr ich eben in eine entschieden feindlich gesinnte Stadt ein. Nur Glück und kaltes Blut konnte mich aus dieser eigentümlichen Lage mit heiler Haut herausbringen. Das wurde mir klar, und ich setzte daher völlig unbefangen mein Gespräch mit den beiden Herren fort, bis wir auf dem Markt vor einem großen Gasthaus stillhielten. Der Bürgermeister klingelte, und als die Tür geöffnet wurde, schob er mich hinein und verkündigte, daß er am andern Morgen um 7 Uhr wieder erscheinen würde. Darauf verschwand er, und ich stand einem schlaftrunkenen, schmutzigen Mädchen gegenüber, das kein Wort Deutsch verstand.

So mußte ich mich denn darauf beschränken, ihr durch Gebärdensprache meine Wünsche begreiflich zu machen. Endlich erriet sie, was ich wollte, und brachte mich in ein kleines, ärmliches Zimmer, dessen Tür nicht einmal zu verschließen war. Unter den obwaltenden Umständen hielt ich es für geraten, den Eingang durch einen Tisch mit daraufgesetzten Stühlen zu verrammeln. Nachdem ich dann meinen Säbel und ein paar geladene Pistolen an mein Bett gelegt hatte, warf ich mich völlig angekleidet auf das unsaubere Lager und schlief sogleich ein. Erst gegen 8 Uhr erwachte ich. Der Bürgermeister war schon zweimal dagewesen und erschien nun wieder mit einigen Ratsherren.

Die Verhandlungen über die Einquartierungen begannen. Alle meine Vorschläge wurden angenommen, die Herren zeigten die größte Bereitwilligkeit und eine fast übertriebene Artigkeit. Rasch erledigten sich die Geschäfte, und ich plauderte noch mit den Vätern der Stadt harmlos auf dem Markte, als eine Dragonerordonnanz auf dampfendem Pferde anlangte, mir einen Brief übergab und mir dabei mit laut vernehmlicher Stimme die Meldung machte, daß Oberst von Zastrow den Befehl erhalten habe, direkt nach Foldingbro zu marschieren. Er käme daher nicht nach Ripen und wünschte, daß ich ihm so rasch wie möglich nach Foldingbro folgen sollte.

Als ich den Brief gelesen hatte und wieder aufblickte, war die Ordonnanz fortgeritten, und die bis dahin so zuvorkommenden Väter der Stadt waren spurlos verschwunden. Ich stand allein auf dem Platze mit einem etwas unbehaglichen Gefühl. Nun galt es, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Das war aber nicht so leicht, denn ich hatte kein Pferd und mußte mir einen Wagen verschaffen. Im Städtchen hatte man jetzt andere Seiten aufgezogen. Im Gasthause, in der Post, überall, wo ich mit meinem Begehren herantrat, wurde mir aus nichtigen Gründen ein Wagen verweigert, trotzdem ich doppelte Bezahlung bot.[21] Ganz empört kehrte ich in mein Gasthaus zurück. Da erschien plötzlich wieder der Bürgermeister mit den Ratsherren, erkundigte sich unterwürfig nach meinen Befehlen und bat mich, mit ihnen zu dinieren.

Ich erklärte kurz und bündig, daß ich nichts anderes wünschte, als einen Wagen, den man mir auf der Post verweigert hatte. Der Bürgermeister zerfloß in Entschuldigungen und flehte dringend, wenigstens noch ein Stündchen zu verweilen, um mit ihm ein Frühstück einzunehmen.

Diesen plötzlichen Umschwung in der Stimmung der Herren konnte ich nicht begreifen. Die Sache schien mir nicht geheuer und ich erklärte rund heraus: ›Sie scheinen mich so lange festhalten zu wollen, bis eine herbeigerufene dänische Abteilung mich gefangen nehmen soll.‹ Da kamen die Väter der Stadt mit der Sprache heraus: ihr Beobachtungsposten hatte gemeldet, eine Freischar rücke gegen die Stadt. Das hatte sie in Angst und Schrecken versetzt, und ich sollte als Retter auftreten, um Plünderung und Ausschreitungen zu verhüten.

Stolz ging ich nun als gefeierter Schutzheld mit den Herren zum Stadttore, wo Wobeser mit seinen 80 Freischärlern eben über die niedergelegte Barrikade kletterte. Als er mich sah, meldete er mir, daß er die Weisung habe, noch heute Foldingbro zu erreichen und daß er hier seine Leute ruhen lassen wollte. Das paßte mir vortrefflich, um nun den Herren von Ripen einen Denkzettel zu geben. So befahl ich denn, daß das Freikorps auf dem Markte aufmarschieren solle, und da die Einwohner die muntere Bande nicht in ihre Häuser nehmen wollten, so mußten sie Tische und Bänke herausschleppen und die Hungrigen dort durch ein kräftiges Mahl und einen herzhaften Trunk stärken.

Da mir vor wenig Stunden der eine Wagen verweigert war, verlangte ich nun sofort Wagen für die 80 Mann, für mich selbst aber einen Vierspänner.

Nach aufgehobener Tafel unter dem blauen Himmelszelt fuhr ich, stolz gefolgt von 15 Wagen, zum Tore hinaus, unendlich froh, aus diesem Nest mit heiler Haut herausgekommen zu sein.

Im raschen Trabe durcheilten wir ein wellenförmiges Gelände, zuletzt an der Königsau hinfahrend. Gegen 3 Uhr langten wir in Foldingbro an, wo mich Zastrow herzlich lachend empfing und mir aufrichtig gratulierte, ›daß ich mich so glücklich aus dieser dummen Geschichte herausgezogen hätte‹.«

Als die Nachricht von den Waffenstillstands-Verhandlungen sich verbreitete, fragte mein Vater in Berlin beim General Baeyer, dem Chef der trigonometrischen Abteilung des Generalstabes, an, ob man wohl[22] jetzt daran dächte, die ihm seinerzeit eröffneten Aussichten einer Einberufung in den Generalstab in Erfüllung gehen zu lassen.

Er legte ein Schreiben des Oberstleutnants von Zastrow bei, das ich hier folgen lasse:


»Der Königliche Preußische Premierleutnant von Wrangel hat sich während der drei Monate, wo er in meiner Nähe tätig war, meine ungeteilte Hochachtung erworben. Sein rastloser Diensteifer, seine Geschäftsgewandtheit und Umsicht sind stets meinen Wünschen zuvorgekommen. Bei der oft sehr schwierigen Dislokation meines Detachements von dreitausend Mann hat Wrangel alle Eigenschaften eines guten Generalstabsoffiziers entwickelt und in den Gefechten von Hadersleben und Christiansfeld ebensoviel persönliche Tapferkeit, als umsichtsvolle Ausführung der von mir gegebenen Aufträge bekundet. Ich kann denselben daher als einen in jeder Beziehung ausgezeichneten Offizier empfehlen und werde stets in dankbarer Erinnerung die vortrefflichen Dienste bewahren, welche derselbe mir und der holsteinschen Sache leistete. Dieses bescheinige ich hiermit bei meiner Dienstpflicht.

Hadersleben, 14. Juli 1848.

von Zastrow,

Major im Königl. Pr. 1. Garderegiment,

Oberstleutnant in Holsteinschen Diensten.«


Die Antwort aus Berlin lautete dahin, daß meinem Vater in wohlmeinender Weise der Rat erteilt wurde, sich vorerst in Holstein einen möglichst großen Wirkungskreis zu schaffen.

Ende August kehrten Zastrow und mein Vater nach Schleswig zurück, wo der alte Graf Moltke meinem Vater in herzlicher Freundschaft die obere Etage seines Hauses einräumte. Als Überraschung für ihn lud die Nichte des alten Herrn, Agathe von Brockdorff, die mit ihm zusammen lebte, meine Mutter ein, den Winter mit mir in ihrem Hause zuzubringen. So kam ich denn zum ersten Male in das meerumschlungene Land, das für mein Leben noch so bedeutungsvoll werden sollte. Schon am 25. September, dem Geburtstage meiner Mutter, waren wir in dem gastlichen Hause des Grafen von Moltke, das mir noch genau in der Erinnerung ist mit seinen weißen Mauern, dem hohen Giebel und seinem großen Vorplatz, um den ich immer einmal auf dem braunen Skiold herumreiten durfte, wenn mein Vater von seinem Spazierritt nach Hause gekommen war. Am besten aber gefiel mir der große Garten, der bis an die Schlei herunterging. Das erinnerte mich da alles an den vielgeliebten Garten der Großeltern in Lützow, an mein Kindheitsparadies.[23]

Mein Vater, als Zastrows erster Adjutant, hatte nun, da die Reorganisation der holsteinschen Armee sofort begann, Gelegenheit, dem einzelnen Mann in der Truppe wirklich näher zu treten. Er brachte seinen Untergebenen ein warmes Herz entgegen, und die innige Sympathie, die ihn zu diesem Lande hinzog, öffnete ihm rasch das Verständnis für den Charakter des Holstenvolkes. Das erwarb ihm das Zutrauen der alten Landwehrmänner und Rekruten und befestigte in meinem Vater immer mehr den Entschluß, mit allen seinen Gaben und Kräften, sowie mit seinem Leben für Schleswig-Holstein einzutreten.

1

1870 Kommandierender General des VII. Armeekorps.

Quelle:
Liliencron, Adda Freifrau von: Krieg und Frieden. Erinnerungen aus dem Leben einer Offiziersfrau, Berlin 1912, S. 24.
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