III. Meine erste Oper.

[28] Im Jahre 1818 glaubte ich befähigt zu sein, den Weg in die Unsterblichkeit antreten zu können, und zwar mit einer dramatisch-musikalischen Composition. Ich beschloß also, eine große heroische Oper, mit Recitativen und Ballet, zunächst für Weimar zu schreiben und sie dann auf allen Bühnen Deutschlands zur Aufführung zu bringen. Das Recht, sie ins Französische zu übersetzen, wollte ich Castil Blaze gegen eine bedeutende Summe Franken überlassen.

An Vorarbeiten für die Oper hatte mir's nicht gefehlt. Beide Opernalmanache von Kotzebue lagen vollständig von mir componirt in vielen Partitur-Convoluten unter meinen Noten.

Dennoch ergaben sich einige Hindernisse für mein Unternehmen.[28]

Das erste und sehr starke war – der Text.

Ich kannte zu jener Zeit noch so gut wie Nichts von der Welt, denn ich hatte still nur in und mit mir gelebt, hatte einen ungeheuern Respect vor allen Menschen von nur einiger Bedeutung und war äußerst schüchtern.

An wen sollte ich mich mit der Bitte um einen Operntext wenden? Ein Freund, Student, den ich meine Sorgen anvertraute, erbarmte sich meiner Noth, als er drei Tage in Arrest auf der weimarischen Hauptwache saß.

Er brachte es aber nur bis zum Titel: Wittekind. Denn abgesehen von allem Andern, hatte er den ganzen Tag Trinkgesellschaft bei sich. Am dritten Tage war er frei und ritt vergnügt nach Jena zurück, doch versicherte er mir noch vom Pferde herab, daß der Text in acht Tagen fertig in meinen Händen sein sollte.

Ich wartete vier Wochen. Es kam Nichts.

Da beschloß ich, mir den Text selbst zu machen.

Aber ...

Man hat weiter vorn bereits gelesen, daß ich in Tertia confirmirt wurde, von da die Schule im vierzehnten Jahre verließ, und – gar nicht Viel darin[29] gelernt hatte. Dennoch wollte und mußte ich mir jetzt einen Operntext – dichten! Abgesehen davon, daß ich überhaupt sehr Wenig gelernt, wußte ich gar Nichts von den dramatischen Bedingnissen, Nichts von Prosodie etc., denn nie hatte ich einen Vers gemacht, Alles mußte erst gelernt werden. Um dies zu können, war vor Allem Zeit zu schaffen, galt es Entsagung, Zurückziehen von den Freunden, von aller Gesellschaft, allen Lustbarkeiten. Ich kann wohl sagen, um Ruhm zu gewinnen, gab ich jeden Lebensgenuß auf. Ich schloß mich ab und oft auch ein. Es gab Tage – an denen kein Theater und keine Probe mich riefen –, wo ich mich sehr früh des Morgens an meine Bücher setzte und um Mitternacht noch dabei saß. Selbst zu Tisch nahm ich ein Buch mit und genoß abwechselnd einen Bissen Fleisch und einen Bissen Geschichte, Dramaturgie, Prosodie.

Um mir die Bücher zu verschaffen, aus denen ich in aller Geschwindigkeit lernen wollte, lief ich auf die großherzogliche Bibliothek und schleppte zusammen, was mir brauchbar zu sein schien, Bücher, die paßten und nicht paßten, Aristoteles, Horaz, Quintilian, Sulzer's Theorie der schönen Künste, Lessing's Dramaturgie u.s.w., ferner Moritz' Prosodie, – Geschichtswerke, um mich über die Zeit und die[30] Kämpfe Karl's des Großen und der Sachsen zu belehren. Zugleich trug ich an dramatischen Werken, Schau- und Trauerspielen, nicht weniger an Operntexten zusammen, was ich nur erlangen konnte. Alle Stühle im Stübchen lagen voll solcher gebundenen und ungebundenen Weisheit. Ich nahm ein Werk nach dem andern vor, las und excerpirte und – excerpirte. So studirte ich Tag und Nacht, Tragkörbe voll solcher Excerpte hab ich später in die Papiermühle geschickt, um dafür – neues unbeschriebenes Papier zu erhalten, das wieder in solcher Weise verbraucht werden sollte.

Nachdem ich das wohl ein halbes Jahr getrieben hatte, hielt ich mich für reif zum Operndichter. Es wurde ein Plan entworfen und nun sollte es an die Ausführung gehen. Aber da kam erst der Hauptschweiß. Gott im Himmel! Was habe ich mich mit den Versen herumgewürgt! Ich kannte nun richtig die Trochäen, Jamben, Spondeen, den Pirrhichius, Daktylus, Anapäst, Trybrachis, Molossus, Bacchius, Antibacchius, Creticus oder Amphimacer – und alle Versarten, ich konnte sie auch so leidlich nachbilden, aber mit diesem Kennen und Können hatte ich noch keine poetischen Ideen! Was habe ich gelitten, um einen leidlichen Gedanken mit einem leidlichen[31] Ausdrucke im bestimmten Versmaße hervorbringen zu können! Wie viele Mal habe ich eine Zeile gedreht, gewendet, um Klang und Fluß hineinzubringen! Glaubte ich die besten Worte für einen Gedanken gefunden zu haben, so paßte die Silbenzahl nicht zum Metrum, und der Vers rief mir höhnisch zu: »ich hinke ja!« oder »ich bin um eine Silbe zu lang!« u.s.w. Wollte ich, um doch den Gedanken zu retten, ihm ein anderes Metrum verleihen, so paßten alle andern Verse nicht dazu u.s.w. Und nun vollends die Reime! In der Oper kommt viel Herz und Schmerz vor, Stern und fern fand ich auch leicht, Klarheit und Wahrheit u.s.w. Dagegen kamen auch Wörter, die mich Tage lang in Verzweiflung setzten, weil sich durchaus kein passender Reim dazu finden wollte. Wie der Mensch immer dem Menschen am meisten zu schaffen macht, so ging es mir mit dem Worte »Mensch«, das ich durchaus brauchte. Ich fand aber keinen andern Reim dazu als »Rentsch«, wie ich aber den in eine Arie der Geliebten des Sachsenherzogs bringen sollte, konnte ich durchaus nicht einsehen, denn »Rentsch« hieß ein alter Registrator in Weimar, der zugleich den Croupier an der Pharobank machte und der und das wollten doch nicht in die Zeit der Sachsenkämpfe[32] paffen. Erst als ich mich ein paar Tage mit »Mensch« herumgequält und dann erfahren hatte, daß es überhaupt gar keinen Reim darauf gebe, ließ ich davon ab, und ging weiter.

Nachdem ich mich dreiviertel Jahre mit dem Text geplagt hatte, lag er endlich in einer schmucken Reinschrift vollendet und lächelnd vor mir da! Ach, wer kann die Empfindung schildern, die mich durchschauerte, als ich das Wort »Ende« darunter schrieb! Napoleon kann nicht mehr gefühlt haben, als ihm das erste Mal das Wort »Sire!« aus Cambaceres' Munde schmeichlerisch das Ohr berührte.

Es war früh an einem Morgen, als ich jenes herrliche Wort »Ende« hinschrieb. »Nun verdienst du einige Ruhe« – nach fünfviertel Jahren! – sagte ich zu mir, um mich zu belohnen – und ich lief hinaus ins Freie, fast den ganzen Tag durch Flur und Wald, mit glühendem Kopfe und freudig hämmerndem Herzen.

Als ich mich abends selig ermattet zu Bette legte, dachte ich: morgen geht's an de Composition.

Aber ehe ich weiter erzähle, will ich doch die Neugierde der Leser befriedigen und ihnen ein Stück von jenem Texte vorlegen – nicht Viel, damit sie nicht erschrecken, aber sich überzeugen, wie ich meine Sache gemacht habe.[33]


Quelle:
Lobe, Johann Christian: Aus dem Leben eines Musikers. Leipzig 1859, S. 28-34.
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