Aeußern

[24] des Menschen ab, denn es bestimmt den ersten Eindruck, dieser Eindruck bestimmt auch bald ein Urtheil, und ein Urtheil nimmt man nicht gern zurück.

Der Mensch hat eine natürliche Anlage für das Schönheitsgefühl, und es gab, besonders in früheren Zeiten, aufgeklärte Völker des Süden, welche

bei der Erziehung des Menschengeschlechts allerhand Mittel versuchten, schon in der Anlage der Embrionen den Keim zu künftigen schönen, kraftvollen Menschen zu bilden. Daß dieses nicht unmöglich sei, beweisen die Versuche und Erfahrungen in der übrigen Thierwelt. So mußten denn auch bei den Spartanern verkrüppelte, schwächliche Kinder von dem Berge Taygetes in den Abgrund gestürzt werden; die Athenienser suchten durch das Aufstellen schöner Gemälde oder Statuen in dem Gynäceum die Phantasie der Frauen zu befeuern, und die Schwangern hatten beständig die Bildnisse eines Hercules, Apollo, Hyacinth, Narciß, Castor und Pollux, oder Adonis vor Augen; Plato's Republik verlangt die Unterdrückung verkrüppelter Geburten; die Chinesen haben noch jetzt, besonders in Peking, unter dem Schutz der Gesetze, drei barbarische Arten, sich von Verunstaltungen der Natur los zu machen; und in Egypten und Persien werden noch jetzt in den Gemächern der Frauen gleiche Greuelthaten verübt.

Bei diesem Sinn für das Schöne macht nun auch der, welchen die Natur mit einem schönern Gesicht, einem bessern Körperbau ausstattete, da einen schnellern[25] und glücklichern Eindruck auf uns, als der, welchem diese Gaben nicht zu Theil wurden, und der sich erst einführen muß, um uns zu gewinnen. Der Mittel indessen, der Natur nachzuhelfen, giebt es viele, und diese gehn wieder von unserer Selbstkunde aus; es ist daher nicht übel gesagt, wenn man behauptet, daß die Seele sich ihren Körper bildet. Schöne Menschen verfallen auch leicht in den Fehler, daß sie mit dem ihnen von der Natur geschenkten Pfunde zu sehr wuchern, als verwöhnte Wiegenkinder glauben, mit diesem Empfehlungsbrief der Natur überall durchzukommen, und um so schlimmer ist es denn, wenn sie den ersten Eindruck, den ihr Aeußeres machte, nicht festzuhalten vermögen. Diesen ersten Eindruck der Schönheit, welche die Natur auszeichnete, dauernd festzuhalten, dazu gehört zunächst Bescheidenheit und stille Würde. Prätensionen zu machen, ist überhaupt leichter, als bescheiden zu seyn, ohne daß man dabei sich etwas vergebe.

Es ist höchst ungesittet und beweiset Lieblosigkeit und Armuth des Geistes, über das Gebrechen eines Verkrüppelten spotten zu wollen. Der gebildete, der gute Mensch wird das Gebrechen des Verkrüppelten zu übersehen scheinen, und alle Gelegenheiten vermeiden, welche jenen und andere unmittelbar auf diesen Mißgriff der Natur aufmerksam machen könnten, oder die Lachlust bei andern erweckten; er wird daher den Lahmen nicht einladen, an einer Tanzparthie, den Verwachsenen, an einem Liebhabertheater, den Stammelnden, an einem Declamatorium, den Harthörenden an einem Konzert Theil zu nehmen. Was kann der Arme für das[26] Unglück, welches ihn betraf? Er tritt ja nicht in den gesellschaftlichen Kreis, um noch mehr sich niedergedrückt, sondern sich aufgeheitert zu fühlen, und es giebt uns eine große Empfehlung bei ihm selbst und bei andern, wenn wir der Natur, die uns besser ausstattete als ihn, dadurch unsern Dank zollen, daß wir seiner uns unbemerkbar annehmen, und eben so unbemerkbar ihm ein Schutz in der Gesellschaft werden.

Der Verkrüppelte selbst hat sich sehr wohl vor zwei Fehlern zu hüten; vor dem des furchtsamen Kleinmuthes, der Niedergeschlagenheit des Geistes, und vor dem des Geckenhaften oder wohl gar der Renomisterei.

Kleinmuth, Niedergeschlagenheit des Geistes dringen leicht gegen ihn an. Für eine ganze Lebenszeit ist er von manchen Freuden zurückgewiesen, in welchen er andere schwelgen sieht; er hat ein Wahrzeichen, welches ihn von der Ausführung eines Lebensplanes zurückhält, zu welchem Talent und Neigung ihn vielleicht hinzogen; in der Gesellschaft glaubt er nur ein geduldetes, nicht ein geltendes Mitglied zu sein, und dieser Glaube wird genährt durch die höhnenden Blicke und das Spötteln der Ungebildeten, der Uebermüthigen; die hohe, ätherische Liebe, welche die Verbindung einer schönen Seele mit einem schönen Körper erweckt, wird ihn nie beglücken und beseligen, und Mißtrauen und Argwohn schleichen ihm auf den Fersen nach. Aber der Freudengarten des guten Vaters im Himmel ist ja so groß, es ist nicht möglich, nur des kleinsten Theils der reichhaltigen Genüsse sich zu erfreun, und der Vater sorgte für ein jedes seiner Kinder! – Siehe, du Kleinmüthiger,[27] Niedergeschlagener, nicht über dich, sondern unter dich und du wirst Tausende von Unglücklichen finden, die dich beneiden; suche durch mehrere Bildung deines Geistes durch Veredlung deines Herzens das zu gewinnen, was dem Körper abgeht; laß die Eitelkeit mit ihrem Gefolge die Liebe mit ihren Verirrungen fahren, und dein wahres Verdienst wird dir um so mehr äußere Achtung gewinnen, je mehr Schwierigkeiten du zu bekämpfen hattest, nicht blos ein geduldetes, sondern ein wirkender Mitglied der Gesellschaft zu sein.

Häufiger ist noch der Fehler des Geckenhaften, der Renomisterei bei denen, welche die Natur in ihrer körperlichen Bildung versäumte. Der Thersites des Homer, der Falstaff des Shakespeare mögen zur Warnung dienen. Der Contrast erregt Lachen. Hören wir daher, daß ein Verwachsener von seinen Heldenthaten und Raufereien in den Universitätsjahren spricht, sehn wir den Lahmen den Seladon spielen, will der Stammler ein Gedicht declamiren, so überfällt uns ein unwillkührliches Lachen und wir bemitleiden diesen Menschen, der sich noch so wenig selbst kennt. Der Verkrüppelte fällt an sich schon der Gesellschaft auf; man merkt auf das, was er sagt, was er thut, wie er sich benimmt, eben weil er auffallend ist, weil er die Einheit, ohne seinen Willen, durch jenes Merkmal stört. Erzählt er nun von sich Thaten, die von jedem andern, von ihm aber nach dem Augenschein nicht glaublich sind, so liegt bei ihm die Lüge gleich klar da zu Tage, wo es andern vielleicht kleidet, von sich selbst unterhalten zu wollen, indem es mit ihrem »Ich,« ihrer Darstellung der Person[28] übereinstimmt; es wird bei ihm zur lächerlichen Grimasse, was bei andern schätzenswerthe Nachahmung ist. Der Thor weiß noch nicht auf das Verzicht zu leisten, wovon er durch die Natur unbedingt zurückgewiesen ist; er mißbraucht die Schonung, den guten Willen der Gesellschaft und wird verächtlich.

Der Verkrüppelte aber wird geachtet, der seinen Fehler nicht hehl hat, aber auch auf eine geschickte Art ihn so zu decken weiß, daß er ihn nicht zur Schau trägt; der Kleidung, Gang und Manier darnach richtet; der mit einer wohlanstehenden Resignation nicht nach der ersten Rolle strebt; der durch andere einschmeichelnde, gefällige Ausbildung solcher Talente, welche mit diesem Fehler in keiner Beziehung stehn, ihn vergessen macht; der über denselben bei gelegener Zeit selbst leicht scherzen kann und es dankbar erkennt, daß man thut, als sehe man das Gebrechen nicht; und der nicht vielmehr, was so oft geschieht, diese Schonung dahin mißbraucht, daß er auf alle Art glauben machen will, als habe er das Gebrechen entweder gar nicht, oder entstelle es ihn nicht.

Das Aeußere unseres Menschen sei nun aber in Ebenmaaß, ohne Gebrechen, ohne bemerkbaren Fehler.

Er hat zunächst auf seine Kleidung9 zu sehen.[29] Sie sei unserm Stande angemessen; über den Stand hinaus sich kleiden zu wollen, erinnert an kleinstädtischen Hochmuth; unter seinen Stand absichtlich sich zu kleiden, ist gesucht. Sie sei ferner unserm Alter angemessen; die Spielereien der Mode, mir welchen der Jüngling sich vergnügt, gefallen bei dem älteren Manne nicht; man trage sich nicht zu sehr in der Mode, nicht zu sehr außer der Mode, nicht auffallend. Auch nicht jede Mode kleidet einen jeden, und manches bringt eine vorüberfliegende Mode aus fremdem Lande her, was für unser Klima und unsere besondere Leibesbeschaffenheit nicht taugt; da muß uns denn eine leicht einreißende Modesucht nicht dazu zwingen wollen, die Gesundheit der Mode nachzusetzen. Was in diesen Hinsichten in der Wahl unserer Kleidung uns bestimmen mag, ist ein stilles Aufmerken in Gesellschaften, im Theater, an öffentlichen Orten und auf Spatziergängen. Auch spielt ein guter Schneider, dem das Studium der Mode seine Hauptbeschäftigung ist, hierbei seine Rolle, indem wir ihm ein für allemal sagen, daß wir nicht zu sehr in der Mode, nicht zu sehr außer der Mode gehn wollen. Für unsere Oeconomie ist es daher auch gut, nie eine zu starke Garderobe zu haben; Schnitt und Farbe werden bei dem steten Kampf des Neuen mit dem Alten bald[30] altfränkisch, und dafür müssen wir uns hüten, etwa auffallend altfränkisch zu erscheinen, wenn wir nicht das Spötteln der modernen Jugendwelt auf uns ziehen wollen. Medium tenuere beati! sei auch hier die Regel.

Das Tragen von Ringen mit kostbaren oder falschen Steinen, – den Trauring, oder einen einzigen, einfachen Haarring ausgenommen – und das Behängen mit andern dergleichen Spielereien paßt für den ernsten Character des Deutschen nicht; es ist geckenhaft, und wird allenfalls noch an mehreren Höfen bei den Höflingen geduldet.

Fleißiges Säubern der Kleidung erhält diese, und ist eine Empfehlung für uns selbst. Es aber auffallend machen, wenn wir in Gesellschaft einen Fleck in das Kleid bekommen, kann störend werden, und ist eine kleine Unschicklichkeit von unserer Seite. – Der Engländer setzt das Heraushebende der Kleidung in den feinen Hut, in die feinste, reinste Leibwäsche und in die sauber geputzten Stiefeln. In der That sind auch in einem Gewühl von Menschen dieses die sichersten Unterscheidungszeichen eines gebildeten Mannes höhern Ranges und Standes von dem Sonntagsprofessionisten.

Reinlichkeit in der Kleidung und besonders in der Leibwäsche kann man von jedem Menschen verlangen, denn ein jeder kann sie haben, und jede Unreinlichkeit schreckt von uns ab. Oft hört man sagen: der und der ist übertrieben reinlich; wir aber mögten fast behaupten, daß es darin keine Uebertreibung giebt, und daß der, welcher von Uebertreibung darin redet, ein zu großer[31] Freund der Bequemlichkeit sey. Nur dann ist Uebertreibung vorhanden, wenn die Reinlichkeit gesucht ist, damit sie auffallen soll, oder wenn sie uns so verwöhnt, daß der geringste Anstoß, den wir dagegen finden, uns Unwillen erweckt. Eben so mögten wir beinahe behaupten: die wenigsten von denen, welche wir reinlich nennen, sind es wirklich. Sie erscheinen in Gesellschaften blank und rein, ihre Zim mer sind sauber und nett, aber man mustere die Leibwäsche, man sehe in den Winkeln des Hauses nach! Die Reinlichkeit muß allgemein, sie muß beständig fortgesetzt werden, und es empfiehlt den Mann nicht, der, wenn er ausgehn will, erst noch lange putzt und säubert.

Erhaltung der Gesundheit liegt uns doch zunächst am Herzen, und zu deren Bewahrung ist das nächste Erforderniß Reinlichkeit am ganzen Körper, Reinlichkeit in der Leibwäsche. Ganze Völkerstämme, lehrt die Geschichte, wurden durch eingerissene Unreinlichkeit verpestet, und man kann nicht genug gegen die Unreinlichkeit eifern.10

Man kann es einem Menschen gleich ansehen, ob er sich auch fleißig wäscht. Das Waschen des Gesichts muß regelmäßig täglich wenigstens einmal geschehen, das Waschen der Hände so oft, als wir sie beschmutzen mußten. Das Waschen mit dem sogenannten gebrochnen[32] Wasser, mit dem weichen, dem Flußwasser, ist für die Hautcultur besser als das harte Wasser, das mehreste Brunnenwasser, da es leichter in die Pores dringt, leichter mit den fettigen Theilen sich verbindet, und weniger, der Haut schädlichen Salpeter enthält. Die Reinigung des Gesichts mit frischem, kalten Wasser, erhält auch die Haut frisch und stärkt die Augen. Alle warme, alle künstliche Waschwasser werden für die Folgezeit hauterschlaffend; der Mensch bleibe doch nur bei dem stehen, was die Natur ihm giebt, und mache sich nicht unnützerweise zu einer Kunstmaschiene!

Der Bart ist bei vielen Völkern eine Zierde des Mannes, und man läßt ihn lang wachsen. Es soll dieses auch ein Schutz gegen Zahn- und Halsschmerzen sein. Bei den mehresten Europäern aber ist es Sitte, den Bart abzunehmen. Die Engländer übertreiben es fast darin, daß sie zwei, wohl dreimal täglich sich rasiren lassen. Wenn wir auch so weit eine gesuchte Reinlichkeit nicht treiben, so müssen wir doch sehr darauf sehen, immer mit glattem Kinn zu erscheinen, wenn wir nicht für unachtsam auf uns selbst, für unreinlich gelten wollen. Sich an das Selbstrasiren zu gewöhnen, ist rathsam, theils weil der Barbier unregelmäßig, oder wohl zu ungelegener Stunde kommt, theils weil er vielleicht eben vor uns einen Kranken oder Todten rasirt hatte.11 Das Tragen übertrieben starker Backenbärte[33] oder wohl gar der Schnurrbärte, erscheint bei dem Bürger als eine lächerliche Nachahmung einer Eigenthümlichkeit des Soldatenstandes.

Unser Haupthaar unter einem Verschnitt und gesäubert zu erhalten, ist ein nothwendiges Erforderniß um als reinlich zu gelten. Verwilderter Haarwuchs ist nicht zu entschuldigen, und das Wühlen in dem Haar, welches so viele junge Männer sich angewöhnt haben, ist eine große Unschicklichkeit.

Es giebt Rothköpfe unter den Menschen. Ohnerachtet es erwiesen ist, daß die blaßrothe Farbe des Haupthaars die eigenthümliche Farbe unserer Stammältern war, da sie celtischen Ursprungs ist, so sind vielen Leuten doch die Rothköpfe ein Anstoß. Man mißt ihnen bei, daß sie viel natürliche Anlage zu der Falschheit haben, oder will man noch gelinder in dem Urtheil sein, so sagt man: sie sind entweder sehr falsch oder dumm

gutmüthig. Diesem thörigten Vorurtheil miß ja keinen Glauben bei, denn wie ist es möglich, von der Farbe der Haare auf die Anlagen der Seelenkräfte einen richtigen Schluß machen zu wollen, und selbst, wenn dieser möglich wär, wie es nicht ist, so kann doch der Wille des Menschen diese ursprünglichen Anlagen zum Guten gestaltet haben. – Blos um dieses Abzeichens willen den Rothkopf geringer anzusehn, es ihm bemerkbar zu machen, daß er dieses Abzeichen mit sich führe, das[34] ist deiner unwürdig; es kann ihn niederschlagen, und dem vernünftigen Manne thust du dadurch einen Mangel an Bildung, Lieblosigkeit gegen die Menschen dar.

Der volle Haarwuchs auf dem Haupt ist eine Zerde des Menschen; nun aber gehen viele schon in mittleren Jahren mit kahlem Scheitel umher, und man nimmt daraus gewöhnlich ab, daß ein solcher Mensch zu früh gelebt habe. Traue diesem Schluß nicht; er ist grundfalsch. Eine langwierige Krankheit, Familienfehler, natürliche Anlage der Lebenssäfte, Ermüdungen der Reisen, des Krieges, langer Aufenthalt in einem andern Klima, sind die gewöhnlichen Ursachen. Das Tragen der Haartouren im Mittelalter zeigt uns in der Regel den Geck, der gern noch für einen jungen Mann gelten mögte.

Vor dem greisen Scheitel habe Achtung; er sei dir ehrwürdig; wer das Alter nicht ehrt, den ehrt es wieder nicht. Ein großer Schmerz, der auf dem Gemüth lag, oder die Ueberspannung eines tiefen, anhaltenden Nachdenkens bringen vor der Zeit das greise Haar herbei; um so heiliger sei dir dieser Scheitel. Bei den Spartanern, welche einen bedeutenden Namen in der Geschichte gewannen, war es das erste, ausdrücklich ausgesprochene Gesetz, das Alter zu ehren.

Das häufige Einreiben des Haars mit gebrannten, wohlriechenden Wassern, macht auch die Haare vor der Zeit grau; ein solcher Thor trägt die Strafe seiner Thorheit mit sich herum.

Die Reinigung der Zähne werde, mindestens des Morgens, nie vergessen. Der Mensch mit unreinlichen[35] Zähnen hat für uns sehr viel Widerliches, wir fürchten uns vor seinem Kuß, vor seinem Athem im Gespräch.12 Einem jeden muß aber selbst an der Erhaltung der Zähne gelegen sein, da durch sie die Speisen für gute Verdauung zubereitet werden, und ohne gute Zähne die Freuden des Mahls nur halbe Freuden sind. Auch hier thut Wasser wieder das Beste. Alle Kunstmittel sind nur Palliative. Der Bauer kennt nichts, als reines Wasser, und hat in der Regel gesunde Zähne bis in sein Alter.

Um dem Aeußern noch eine Folie zu geben, hat man nun noch die Schminke und wohlriechende Wasser und Oele kennen gelernt.

Das Schminken des Gesichts, und auch dann nur wenn es sehr täuschend geschieht, können wir nur in einem Falle entschuldigen. Wir sind nämlich krank gewesen, oder fühlen uns kränklich, und müssen doch in Gesellschaft gehn; hier ist ein krankhaftes, salbes Gesicht der Gesellschaft freudestörend und macht einen widrigen Eindruck; dann sei es uns erlaubt, die Röthe der Gesundheit nachzuahmen. Sonst aber ist es eine unmännliche Eitelkeit, und kaum der Gefallsucht der Frauen nachzusehen. Uebrigens aber ist auch noch zu bemerken, daß die Schminke wegen der darin enthaltenen Blei- oder Kalktheile der Hautcultur sehr nachtheilig[36] wird. Man bemerkt dies fast durchgängig an den Schauspielern und Schauspielerinnen außer dem Theater.

Die vornehmen Griechen und Römer salbten sich mit wohlriechenden Wassern und Oelen, die mehresten orientalischen Völker thun es noch, und zu uns Deutschen kam diese Spielerei von Frankreich her über. Seit nun die gesellschaftliche Verbindung mehr der Natur sich wieder nähert, hat der Deutsche auch diese überflüssige Sitte fast ganz verbannt, und mag sie auch verbannt bleiben! Man kommt nicht allein auf die Vermuthung, daß das duftende Herrchen an sich einen üblen Geruch habe, sondern es sind auch diese starken, raffinirten Gerüche bei einer Gewöhnung daran sehr nervenschwächend.

Unser Aeußeres in Kleidung, Reinigung, Wäsche u.s.w. muß Morgens bald nach dem Aufstehn in Stand gebracht sein, als ob wir eben ausgehen, oder Gesellschaft annehmen wollten. Diese Reinlichkeit und Ordnung erhält Reinlichkeit und Ordnung; den Mann, besonders den Geschäftsmann im tiefen Negligé in seinem Hause zu finden, deutet auf eine erzwungene, erkünstelte Sauberkeit für die Gesellschaft, oder auf Trägheit, oder Geitz.

Quelle:
Nicolai, Carl: Über Selbstkunde, Menschenkenntniß und den Umgang mit den Menschen. Quedlinburg, Leipzig 21818, S. 24-37.
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