Augengläser. Vorstellen. »Sehr angenehm?!«

[116] Entsprechend dem hohen Ansehen, das in Deutschland der Offizierstand genießt, haben sich aus demselben gewisse Gebräuche auch auf andere Gesellschaftskreise übertragen; hierzu rechne ich das Abnehmen des Kneifers beim Vorstellen. Der Kneifer ist ein, streng genommen, unmilitärisches Augenglas. Deshalb tragen Unteroffiziere und Mannschaften nur Brillen, deshalb nimmt der Offizier dies unmilitärische Etwas ab, wenn er einem Vorgesetzten vorgestellt wird; ich glaube nun, daß der Offizier sich daran gewöhnt hat, überhaupt bei Vorstellungen den Kneifer abzunehmen. Es gilt dies als eine Art Aufmerksamkeit und ist vom ritterlichen Standpunkt aus vollkommen logisch gedacht, wenn der Offizier sich sagt, eine[116] Aufmerksamkeit, die ich einem Vorgesetzten erweise, werde ich in der Gesellschaft erst recht einer Dame erweisen, auch wenn sie noch so jung ist. Auch wird der Offizier denselben Höflichkeitsakt beim Vorstellen auch manchem Herrn eines anderen Standes erweisen wollen. Herren vom Zivil, die den Zwicker beim Vorstellen abnehmen, machen es eben dem Offizier nach in der guten Absicht, demselben an Höflichkeit nicht nachstehen zu wollen. Auch habe ich folgende Ansicht aussprechen hören: Wenn man beim Vorstellen den Kneifer aufbehält, so macht dies den Eindruck, als wolle man sein Gegenüber fixiren. Hierauf möchte ich die gehaltvollen Worte erwidern » Na, wenn schon.« Man muß doch das Bestreben haben, sich Diejenigen, mit denen man bekannt gemacht wird, auch zu merken und wiederzuerkennen. Wer nun zur Hebung seiner Sehkraft eines Augenglases bedarf, für den ist es doch das Natürliche, das Ding auf der Nase zu behalten, wenn er eben gut sehen will. Eine Brille aufzubehalten, mag sie auch noch viel schärfer sein als ein Kneifer und mag der Brillenträger infolgedessen sein Gegenüber noch viel schärfer fixiren können, nimmt man ja[117] Niemandem übel. Noch Etwas möchte ich gegen das Abnehmen des Kneifers gerade beim Vorstellen anführen. Im Allgemeinen hat man doch den Wunsch, Demjenigen, dem man vorgestellt wird, einen auch äußerlich angenehmen Eindruck zu machen; wer aber fast ständig ein Augenglas trägt, macht, sobald er das Glas ablegt, durch seinen matten Blick oft einen unvorteilhaften Eindruck. Dies trifft natürlich bei Denen nicht zu, die nur selten den Kneifer aufsetzen, und zwar in den Fällen, wo sie einmal besonders scharf sehen wollen.

Das Monokle wird man natürlich beim Vorstellen fallen lassen, schon um durch die Art des Fallenlassens und des Wiedereinklemmens seine erhabene Kunst, den glänzenden Erfolg langwieriger Uebungen – ausgeführt vor dem Spiegel im stillen Kämmerlein – zeigen zu können. Im Allgemeinen glaube ich entschieden, daß man das Monokle nicht aus Bedürfnis trägt, sondern nur in dem Glauben, dadurch vornehmer und distinguirter auszusehen. Natürlich nehme ich die etwa ein Monokle tragenden Leser dieser Zeilen aus. Da ich über Etikette schreibe, muß ich schon so höflich sein. Uebrigens ist es mir aufgefallen, daß Monokleträger durch[118] ihr sonstiges Aeußere meist einen sehr eleganten vornehmen Eindruck machen, ich glaube aber, daß dies nicht wegen, sondern trotz des Monokles der Fall ist.

Für das vornehmste Damenglas gilt entschieden das langgestielte Lorgnon, das – im Gegensatz zum Monokle – vollauf berechtigt ist, weil es eben praktisch und handlich ist und auch den Nasenrücken durch äußere Eindrücke – wie beim Kneifer – nicht verunziert. Allerdings würde ich als Dame im Moment des Vorstellens das Lorgnon nicht an die Augen halten; denn das würde den Eindruck eines ganz besonders scharfen Fixirens machen. Wer über dies Thema etwa noch eine Anfrage stellen sollte, dem antworte ich im Voraus »Kauf' Dir eine Brille, geneigter Leser, aber neige Dich beim Lesen und Schreiben nicht allzusehr auf das Papier herab, um Deine Augen möglichst zu schonen.« Wie so viele Moden, so machen auch die Augengläser ihren Kreislauf. Noch seiner als das Monokle, das eben schon zu sehr verbreitet ist, ist die biedere altväterische große Hornbrille mit großen, gewölbten Augengläsern.

Es ist Sitte, daß sich Herren nur etwa[119] Gleichgestellten selbst vorstellen; einer Dame oder einem durch sein Alter oder sein Ansehen bedeutend höher stehenden Herrn wird man sich – wenn möglich – durch Andere vorstellen lassen, weil dies eben feierlicher ist. Ein Herr, der sich in diesen beiden Fällen selbst vorstellt, wird seine Abweichung von dieser Regel – namentlich Damen gegenüber – zu begründen suchen etwa mit den Worten: »In Ermangelung eines Dritten darf ich mich wohl selbst vorstellen, meine Name ist X.« Statt »Sich vorstellen« gebraucht man mit Vorliebe vielfach die einfacheren Worte »Seinen Namen nennen«, die dem wirklichen Vorgange doch eigentlich mehr entsprechen; denn unter dem Begriff Vorstellung müßte man eine längere Beschreibung als eine bloße Namensnennung verstehen. Unter etwa gleichgestellten Herren wird sich der zuerst vorstellen, der entweder – dies gilt für kleinere Gesellschaften – später erschienen ist, oder – bei großen Festen – Derjenige, der eben das Bedürfnis hat, sei es, einen Bestimmten kennen zu lernen, sei es, überhaupt Bekanntschaften zu machen. Uebrigens für die Unsitte, sich leise vorzustellen, möchte ich in großen Gesellschaften als Milderungsgrund[120] anführen, man wird sich die Namen aller Derer, die man kennen lernt, doch schwerlich merken können. Das Vorstellen – namentlich da man eben die Namen selten deutlich versteht – ist eigentlich eine sehr lästige Sitte; am praktischsten wäre es, wie dies hier und dort im Auslande geschieht, wenn der Stand und Name des eintretenden Gastes einfach durch einen dienstbaren Geist laut verkündet würde, statt aller weiteren Vorstellungen, mit deren Vermittelung man gewöhnlich die so wie so in Anspruch genommenen Wirte belästigt. Man darf im Punkt »Vorstellen« nicht kleinlich sein. Absichtliche Unterlassung wird es doch bei einem anständigen Menschen nie sein, wenn er sich einer Dame oder einem höher stehenden Herrn in einer Gesellschaft nicht vorstellen läßt. Je größer die Gesellschaft ist, um so leichter wird ein solches Versehen vorkommen. Ein wahrhaft vornehmer, billig und gerecht denkender Mensch wird für das Thun und Lassen des Nächsten immer die für diesen vorteilhafteste Erklärung finden, und das ist eben für das Unterlassen des Vorstellens eine einfache und bei großen Gesellschaften wahrhaftig verzeihliche Vergeßlichkeit. Ein Höherer verrät[121] wenig Selbstbewußtsein, wenn er denkt, Jemand, der es – unseren Gebräuchen zuwider – unterließ, sich ihm vorzustellen, hätte ihn absichtlich verletzen wollen. Aber das diesem Jemand etwa noch zu markiren, ist geradezu thöricht, denn es ist ja auch für den seltenen Fall ungewandt, daß dieser Jemand den Anderen wirklich schneiden wollte. Wenn der sozial tiefer stehende A. den B. absichtlich nicht beachtet, dann schenkt ihm ja B. eine bedeutend größere Aufmerksamkeit, sobald er dem A. die hohe Ehre erweist, sich durch die Taktlosigkeit des A. verletzt zu zeigen. Wenn man sich nach unseren gesellschaftlichen Sitten. nicht verletzt fühlen muß, so ist es am bequemsten und stolzesten, auch sogar absichtliche Vernachlässigungen seiner Person zu übersehen und der Ansicht zu huldigen, die Taktlosigkeit eines Anderen kann nur diesem selbst schaden.

Auch ein anderes Versehen kann Einem leicht passiren, sich Jemandem zweimal auf einer Gesellschaft vorzustellen. Auch dadurch fühlen sich eingebildete und kleinliche Menschen verletzt. Das gewohnheitsmäßige »Ich habe schon die Ehre gehabt«, das sehr liebenswürdig klingen kann, wird dann von einem solchen Unglücksraben,[122] der überall argwöhnisch Bosheiten wittert, etwas scharf ausgesprochen. Ich finde es vornehmer, den Andern sein Versehen überhaupt nicht fühlen zu lassen, also auch nicht durch ein liebenswürdiges »Ich hatte schon die Ehre.« Es ist natürlicher und praktischer, dem Andern, der sich Einem zum zweiten Male vorstellt, einfach – ohne jedes Zeichen der Verwunderung – eben den eigenen Namen auch zum zweiten Mal zu nennen; denn scheinbar hat er meinen Namen doch wieder vergessen und das usuelle »Ich hatte bereits die Ehre« sagt ihm doch nicht, wie ich heiße. Es kann ja Fälle geben, wo man das Herzensbedürfnis hat, Jemandem seine Nachlässigkeit vorzuhalten, aber in solchen Fällen bin ich für eine möglichst deutliche Kundgebung, wie etwa durch die Worte: »Ich heiße immer noch X.« – oder aber: »Mehr wie viermal sage ich Ihnen meinen Namen nicht, dann gebe ich es auf, daß Sie ihn behalten«. – »Den ganzen Namen behalten Sie doch nicht, ich werde Ihnen vorläufig nur die erste Silbe nennen.«

Ich bin für möglichste Vermeidung trivialer Phrasen, auch des liebenswürdigen »Ich hatte bereits das Vergnügen oder die Ehre«. Wenn[123] es auch kleinlich ist, Jemandem ein abermaliges Vorstellen übel zu nehmen, deshalb braucht man dem Betreffenden doch nicht für seine Unachtsamkeit das Kompliment zu machen, daß man schon die Ehre und das Vergnügen hatte. Wenn man der abermaligen Nennung des eigenen Namens noch etwas hinzufügen will, damit der Vorstellungswütige nicht zum dritten Male kommt, dann sagt man vielleicht noch: »Uebrigens, wir haben uns schon mal verraten, wie wir heißen« oder Aehnliches. Man muß die Gewandtheit haben, Jemandem einen kleinen Denkzettel geben zu können, ohne ihn deshalb zu verletzen. Noch schrecklicher, finde ich beim Vorstellen die Phrase »Sehr angenehm«. Das ist doch auch dann geradezu eine Unwahrheit, wenn ich von dem Anderen noch nie etwas gehört habe; denn in diesem Falle weiß ich doch noch gar nicht, ob mir die Bekanntschaft des Anderen wirklich angenehm ist. Der Andere kann sich ja in meinen Augen als ein gräßlicher, unausstehlicher Peter entpuppen. Etikettewidrig grob, aber logisch wäre es, beim Vorstellen auf ein »Sehr angenehm« unter Umständen statt des gleichlautenden Echos zu erwidern: »Ja, ich kann noch kein Urteil fällen,[124] ich muß Sie erst kennen lernen.« Viele leiten auch die Nennung ihres Namens ein durch die Worte z.B. »Gestatten Sie« oder gar »Verzeihen Sie, mein Name ist Lehmann.« Ich würde dann doch lieber den abgekürzten Satz ganz aussprechen, also »Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle.« Denn wenn man die obigen beiden Abkürzungen wörtlich auffaßt, so ist es doch etwas zu viel höfliche Demut, einen Anderen um die Erlaubnis zu bitten, »Lehmann« heißen zu dürfen, oder gar seines biederen Namens wegen um Verzeihung zu bitten.

Für das Vorstellen durch dritte Personen ist die Hauptregel: Man bedient den Höheren, indem man den Namen des Tieferstehenden oder dessen, der darum gebeten, ihn einem Anderen zu präsentiren, stets zuerst nennt; den Namen des Höheren oder Anderen nennt man entweder gar nicht oder aber erst an zweiter Stelle. Den höchsten Rang nehmen in der Gesellschaft die Damen ein. Wenn ich einen Herrn A. dem Fräulein B. vorstelle, so gilt es nicht für etikettengewandt: »Herr A. – Fräulein B.« zu sagen. Ein Etiketten-Verstoß wäre es geradezu, die Dame zuerst zu nennen in dem[125] Gedanken, ihr immer den Vorrang lassen zu müssen. Am besten nenne ich nur den Namen des Herrn und verrate ihm denjenigen der Dame vor oder nach der Prozedur des Vorstellens oder »Präsentirens«. Präsentiren ist oder war jedenfalls eines der Worte à la »Der seine Emil in der Westentasche.« Natürlich werde ich meist das Vorstellen einleiten durch eine persönliche Anrede des Höheren, also etwa: »Gestatten Sie, gnädiges Fräulein – oder gnädigste Frau –, daß ich Ihnen Herrn X. präsentire!« – oder »Herr X. bittet um den Vorzug, Eurer Exzellenz vorgestellt zu werden!« Die Dame oder der höher stehende Herr darf eine solche Anfrage oder Bitte natürlich nicht mit »Nein« beantworten, wenn dies auch origineller wäre als das schauderhaft trivale »Sehr angenehm«.[126]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 116-127.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde

Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.

128 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon