Es ist erreicht! Smoking. Toiletten-Disharmonien. Das Dekolleté. Zu Tisch!

[231] Beim Thema »Diner« schweifte ich von der Diner-Toilette der Herren auf einige besondere und auch auf normale Toiletten-Aeußerlichkeiten der Gesellschaftsmenschen ab; zu diesen Aeußerlichkeiten gehört auch die Tracht des Haupthaares und des Bartes. Herren, die früher durch ihre Frisur ein sorgfältig gepflegtes Aeußere in der Gesellschaft bekunden wollten, pomadisirten sich in einer nach jetziger Ansicht der vornehmen Welt schrecklichen Weise ein; Herren erstklassiger Eleganz, die dieser Einbalsamirungsmanie verfallen waren und dem Luxus eines hellen Hutfutters fröhnten, mußten dies gar oft ersetzen lassen. Man brauchte Pomade namentlich, wenn man so sein war, den Scheitel über den ganzen Hinterkopf hinweg[231] bis zum Halse durchzuziehen. Je störrischer die Haare waren, desto mehr Fett – das ist doch im Allgemeinen der Hauptbestandteil der Pomade – war nötig, um auch am Hinterkopf einen Scheitel zu haben und hier die Haare zu beiden Seiten der etwas unästhetisch benamsten Mittellinie in wagerechter Richtung zu erhalten. Schon seit langer Zeit ist man zu der Einsicht gelangt, daß auch betreffs unserer Haare Sauberkeit ein Haupterfordernis äußeren Anstandes ist. Ein durchgezogener Scheitel gilt jetzt im Allgemeinen in der vornehmsten Welt für altmodisch; man pflegt sich sein Haupthaar, wenigstens am Hinterkopf, kurz zu halten. Auch viele Künstler und Gelehrte lassen sich setzt – zur Freude der Friseure – öfter die Haare schneiden und verzichten auf ihre sogenannte »lange Mähne«, das äußere Kennzeichen ihres Standes. Ein im Pomaden-Glanze erstrahlendes Haupthaar der Herren gilt durchaus nicht mehr für »Klasse Ia«. Man kann ja trotz Pomade sauberer sein als ohne Pomade; leichter ist es aber doch sicher, sich den Kopf rein zu halten, wenn man keine Pomade gebraucht. Die Sauberkeit des menschlichen Körpers, ein Haupterfordernis äußeren[232] Anstandes, macht jeden künstlichen Wohlgeruch, wie ihn manche Pomade erregen soll, überflüssig. Auch aufdringlichen Parfümgeruch in Zimmern oder an Menschen selbst vermeide man; starker Parfümgeruch bietet Anlaß zu unliebsamen Rückschlüssen, daß man solche künstliche Mittel nötig hat.

Es ist erreicht! Dieses, »Es«, das man erreicht hat, ist bekanntlich nicht der ewige Völkerfriede, sondern etwas weniger Wertvolles, ein emporstrebender und nicht mehr über die Oberlippe herabhängender Schnurrbart. Appetitlicher ist es entschieden, wenn die Schnurrbart. haare nicht über den Mund herabhängen. Herren, die mir widersprechen, lade ich – natürlich auf ihre eigenen Kosten – zu Erbsensuppe ein. Wer mit einem langen Schnurrbart paradiren will und über dessen Pflege nicht noch (!) wichtigere Dinge vernachlässigt, der verwende getrost die hierzu nötigen Mittel, nämlich: Brennschere, Bartbinde, Bartwasser usw. Wer diese Manneszierde aber nur in bescheidenem Maße besitzt, oder wer seinen langen Schnauzbart nicht empor richten will, für den wird es vielleicht trostreich sein, daß die Bartmode »Es ist erreicht« abnimmt. Es ist jetzt[233] besonders chic, wenn Herren den Schnurrbart kurz gehalten und zwar mindestens so kurz tragen, daß die Haare beim Essen und Trinken den appetitlichen Menschen, ohne »Es ist erreicht«, auch nicht mehr geniren. Viele Amerikaner und Engländer tragen eben aus diesem Gründe überhaupt keinen Schnurrbart. In Oesterreich findet man hochvornehme Herren, die aus einem ganz eigenartigen Grunde keinen Bart tragen; es sind dies Herren, die Offiziere bei den Windischgrätz-Dragonern, einem besonders vornehmen österreichischen Regiment, waren. Dieses Regiment wurde seines jugendlichen Aussehens wegen einst spöttelnder Weise mit dem Ausdruck »Milchgesichter« bedacht und zwar vor einer Schlacht, in der es sich dann hervorragend auszeichnete. Die »Milchgesichter« sollten dem Regiment als ehrendes Abzeichen möglichst erhalten bleiben. Auch jetzt noch darf der Windischgrätz-Dragoner keinen Bart tragen. Man kann dies nachlesen im sogenannten österreichischen Militär-Schematismus, auf Reichsdeutsch »Offizier-Rangliste« oder im Offiziers-Munde »Kommiß-Bibel« benannt.

Wenn nicht auf der feierlichen Einladungskarte zum Mittagessen »Bitte Ueberrock« vermerkt[234] steht, oder man zufällig weiß, daß die Gastgeber diesen Anzug wünschen, so erscheinen die zum Diner geladenen Herren im Frack mit weißer Binde. Früher bildete der Smoking, diese kurze schwarze Jacke ohne Frackschwänze, eine Art Mittelding zwischen Frack und Ueberrock und wurde von Vielen statt des Fracks getragen. Herren, die in Toilettenfragen besonders bewandert galten, trugen allerdings früher den Smoking nicht in Gesellschaften, wo auch Damen zugegen waren, sondern ausschließlich in Herrengesellschaften, namentlich zum Mittagessen im Klub. Jetzt ist diese Beschränkung des bequemen Smoking zwar seltener geworden, was übrigens junge Herren von eleganter, schlanker Figur nicht bedauern werden.

Modeberichte über die Gesellschaftstoilette der Herren kann und will ich nicht liefern, noch viel weniger über diejenige der Damen. Aber Einiges, was ich über Geschmacksrichtungen der vornehmen Dame und des Gentleman betreffs Damen-Toilette zu wissen glaube, möchte ich doch verraten. Sich auffällig und chic zu kleiden ist eine Kunst, die nicht jede Dame kann. Wer nicht ganz sicher ist, angenehm durch seine Toilette aufzufallen, der strebe lieber – ob[235] Männlein oder Weiblein – danach, gar nicht aufzufallen. Auffallender und zahlreicher Schmuck reizt zu intensiver Begutachtung und muß dann aber auch durch seine Kostbarkeit oder seine chice Originalität vor dem Richterstuhl kompetenter Kritiker bestehen. Wer durch sein Aeußeres möglichst gefallen möchte und z.B. über keine schönen Hände verfügt, der wird klug thun, nicht durch auffallende und zahlreiche Fingerringe die Aufmerksamkeit der Anderen unnötigerweise auf seine Hände hinzulenken. Großen Anklang hat die Mode gefunden, daß junge Damen der Gesellschaft überhaupt keinen Halsschmuck oder höchstens ein zu ihrer Toilette passendes Band um den Hals tragen. Ein schöner Frauenhals bedarf keines weiteren Schmuckes. Oder statt Frauen-Hals möchte ich lieber Fräulein-Hals sagen; denn bei Frauen ist das Tragen von Schmuckgegenständen üblicher als bei unverheirateten jungen Fräuleins; ein wohlhabender Gatte muß doch Gelegenheit zu Geschenken an seine bessere Hälfte haben. Auch wer von Damentoilette wenig versteht, wird durch gewisse Disharmonien unangenehm berührt. Eine solche Disharmonie bildet ein schiefer Stiefelabsatz oder überhaupt[236] schlechte Chaussure oder dürftige Handschuhe – wohlgemerkt! – zu einer sonst augenscheinlich kostbaren Toilette, der man anmerkt, ihre Trägerin hat die Mittel und auch den Willen, durch ihr Aeußeres besonders zu gefallen. Eine Toiletten-Disharmonie möchte ich es bei Herren nennen, einen Zylinderhut oder irgend etwas Auffallendes wie ein aufdringlich sichtbares Armband oder ein Monokle zu tragen und sonst etwas schäbig oder gar salopp einherzugehen. Durch solche außergewöhnliche, mehr oder minder auffallende Einzelheiten tritt ein im Allgemeinen minderwertiges Aeußere bedeutend mehr hervor. Die lieblosen Zeitgenossen sagen dann: »Der will Etwas vorstellen, und 's ist doch Nichts!« Ein in der vornehmen Herrenwelt und wohl auch Damenwelt vielverbreiteter Geschmack betreffs Damentoilette ist: Einfache, unauffällige Toilette, chices Schuhwerk und chice Handschuhe. Als elegantester Handschuh gilt überall, sei es in Gesellschaft, sei es auf der Straße, der Lederhandschuh; er erfüllt auch am besten den Zweck, die Hand sauber zu halten. Einer Dame, der es in heißer Jahreszeit lästig wird, diesen erhabenen Zweck durch lederne Handschuhe zu verfolgen, die trage eben andere[237] oder überhaupt keine Handschuhe! Wozu hat man denn Wasser und Seife? Eine Dame, die sich längere Zeit in New York aufgehalten, erzählte mir, daß die vornehmsten Amerikanerinnen thatsächlich in der heißen Jahreszeit ohne Handschuhe auf der Straße gehen.

Bei Hofe ist bekanntlich auch für alte Damen das ausgeschnittene Kleid Vorschrift – eine vielfach angefeindete Hofsitte, die doch auch natürlicherweise den Wünschen mancher Dame durchaus widerspricht. Andererseits aber erscheinen letzt alte Damen sogar zu größeren Diners in Privathäusern sehr oft dekolletirt. Das ausgeschnittene Kleid gilt für die feierlichste Gewandung; eine Gastgeberin, welche die zarte Rücksicht beobachten will, die geladenen Damen nicht durch ihre Toilette zu überbieten, wird als Frau des Hauses nicht dekolletirt erscheinen, wenn sie dasselbe nicht ganz sicher von allen Gästen – natürlich nur von den weiblichen Gästen – voraussetzen kann. Uns Männern ist ja leider die Mode der lustigen ausgeschnittenen Kleider versagt. Viele leisten sich zum Diner einen ganz besonders hohen und steifen Kragen und fühlen sich dann – eine harte Strafe für das bißchen Eitelkeit – oft[238] ganz besonders ungemütlich. Mancher Biedermann wird schon durch den ungewohnten Frack in eine unnatürliche, geschraubte Haltung gebracht, man merkt ihm an, sonst – in fracklosem Zustande – spricht er sicher anders, benimmt er sich anders. Ein natürliches, sich überall gleich bleibendes Wesen ist das Haupterfordernis einer vollkommenen Vornehmheit. Der vornehme Engländer – auch bei uns herrscht in den allerersten Gesellschaftskreisen, wie im hohen Adel, diese Sitte vielfach – nimmt auch allein bei sich zu Hause sein Mittagessen in derselben Diner-Toilette ein wie zu einem feierlichen großen Diner; der Frack ist für ihn nichts Absonderliches, der Engländer bleibt sich immer gleich, er ist immer »gleich unliebenswürdig und unausstehlich«. Letzteres behaupten wenigstens Viele, die das stolze Albion nach einigen anormalen Vertretern John Bulls beurteilen, wie solche unseren Kontinent zur alljährlichen Reifezeit beglücken.

Ein unverbesserlicher Junggeselle sagte mir, er lehne jede Diner-Einladung ab, er betrachte sie als ein Attentat auf seine persönliche Freiheit. Allerdings sitzt man ja während des Diners, also ein bis zwei Stunden lang, – es[239] gilt für vornehmer, ein Diner nicht allzu lange auszudehnen – eingekeilt zwischen zwei Personen, als Herr meist zwischen zwei Damen, mit denen man sich unterhalten muß, auf Tod und Leben, wenn man auch manchmal etwas Wissenswertes weder von sich geben noch von seinen verehrten Nachbarn empfangen kann. Aber sprechen muß man, sonst ist man ein »langweiliger Stockfisch« und läuft auch Gefahr, zu viel zu essen. Da man als wohlgesitteter Mensch bekanntlich nicht gleichzeitig ißt und spricht, so ist es für den Magen zuträglich, viel zu sprechen. Mancher wird gut thun, sich vorher in der kurzen Zeit, bevor man zu Tisch geht, über seine Nachbarn, namentlich als Herr über seine Tischdame, etwas zu orientiren, um daraus zu schließen, worüber man wohl die Unterhaltung führen oder wenigstens einleiten kann.

»Pünktlichkeit ist eine Zier, doch später kommt man ohne ihr«, – diese aus den »Fliegenden Blättern« stammende Sentenz gilt als erste Etiketten-Regel bei Diners. Wenn um sieben Uhr geladen ist, so soll zehn Minuten, höchstens eine Viertelstunde nach sieben Uhr der Suppenlöffel oder das Austernmesser oder das zum[240] betreffenden Vorgericht passende Besteck gehandhabt werden. Die Gastgeber sind keineswegs durch die herrschende Etikette verpflichtet, länger auf noch abwesende Gäste zu warten. Die pünktlichen und vielleicht auch hungrigen Gäste können es als Belohnung ihrer Pünktlichkeit beanspruchen, daß man zu Tisch geht. Außer plötzlichen Arm- oder Beinbrüchen und anderen Annehmlichkeiten, die ein Nichtkommen entschuldigen, giebt es ja auch viele triftige Gründe, die ein Zuspätkommen eines Gastes rechtfertigen. Aber wenn ein solcher Gast taktvoll und rücksichtsvoll ist, so werden die Gastgeber auch geradezu in seinem Sinne handeln, wenn sie mit dem Beginn der Tafel nicht auf ihn warten. Kommt der Unglücksrabe endlich an, so ist es ein großer Irrtum, wenn die Gastgeber glauben, sich entschuldigen zu müssen, daß sie bereits mit dem Diner begonnen haben. Nur ängstliche, wenig selbstbewußte Menschen haben den Drang, immer um Entschuldigung zu bitten, auch dann, wenn sie garnicht im Unrecht sind. Der späte Ankömmling ist der Einzige, der sich zu entschuldigen und wegen seiner Unpünktlichkeit um Verzeihung zu bitten hat. In den ersten Gesellschaftskreisen aber wird die Verspätung eines[241] Gastes zum Diner eine große Seltenheit sein, weil eine solche eben, wenn nicht wirklich triftig begründet, rücksichtslos gegen Wirte und Gäste ist und als ein arges Vergehen gegen die Etikette betrachtet wird.

Das Zeichen zum Beginn des Diners, oder vielmehr zunächst zum Eintritt der Gäste in das Eßzimmer, wird, wie Alles in einem vornehmen Hause, möglichst geräuschlos verkündet. Das Oeffnen der Thüre oder Zurückschlagen der Portière, die man beim Verlassen des Empfangsraumes zu passiren hat, durch einen dienstbaren Geist, oder das stumme Herantreten desselben an die Frau des Hauses macht sich vornehmer, als die mehr oder minder laute Meldung: »Es ist angerichtet«. Wie bekannt, wird die Wallfahrt zur Tafel eröffnet durch den Hausherrn, welcher der ersten Dame unter den Gästen den Arm bietet. Betreffs der weiteren Reihenfolge wird im Allgemeinen die Rücksicht auf das Alter oder die soziale Stellung der Damen beziehungsweise deren Ehegatten maßgebend sein. Die unverheirateten jungen Damen werden hinter den verheirateten Frauen und älteren Fräuleins rangiren. Es ist feststehende Sitte, daß die Frau des Hauses am[242] Arm des vornehmsten oder eines der vornehmsten Gäste den Reigen beschließt, wenn es zu Tische geht. Der Hausherr muß vorangehen, um die vornehmste Dame vorzuführen und dadurch zu ehren, die Hausfrau muß somit zuletzt gehen, um die Polonaise kontrolliren und eventuell eingreifen zu können, wenn Männlein und Weiblein unter den Gästen sich etwa irrtümlich – der festgesetzten Tischordnung zuwider – engagirt haben. Nach aufgehobener Tafel hingegen verläßt die Frau des Hauses am Arm ihres Tischherrn als Erste das Eßzimmer, um zuerst in dem Raume zu sein, in dem man sich nach dem Diner aufhalten soll, und um dort die sogenannten Honneurs zu machen. Bei der Führung zu Tisch vermeidet man gern eine sogenannte Kreuzung des vornehmsten Ehepaares unter den Gästen mit dem Wirtspaar. Wenn man unter seinen Gästen nicht über zwei Herren verfügt, die man in gleicher Weise zu ehren hat, so darf deshalb auch der Gast die Hausfrau führen, der an Alter oder anderen Würden die zweite Stelle einnimmt, wenn man dadurch die obenerwähnte Kreuzung vermeiden kann und will. Die vornehmste Dame hingegen wird stets der Herr[243] des Hauses führen. Ist für den Hausherrn betreffs dieser Kardinalfrage die Bewertung der geladenen Damen schwierig, so helfe er sich durch Ausknobeln, durch Zählen der Knöpfe an seiner Frackweste oder sonstwie.[244]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 231-245.
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