I.

Vom 2. November 1772 bis 18. Oktober 1792

Begonnen im Spätherbst 1845


Am 2-ten November des J. 1772 ward ich zu Lángh in der Nähe der Stadt Stuhlweißenburg in Ungarn um zwei Uhr nach Mitternacht (wie ich es später in dem Kalender meines Vaters aufgezeichnet fand) geboren. Mein Zuname lautete dort: Pircher; so steht er im Taufbuche und so in allen meinen Schul-, Stifts- und Priestertums-Zeugnissen. Von meinem Vater hörte ich später, daß mein Großvater ein in der Gegend von Bozen geborener Tiroler war. – Erst im J. 1816, nachdem ich schon 24 Jahre hindurch Mitglied des Stiftes Lilienfeld war, vernahm ich, daß ein jüngerer Bruder meines Vaters von einem Adeligen Pyrker von Felső-Eőr, als Verwandter anerkannt und dadurch deshalb dann auch auf dem Rechtswege, nämlich der Komitatsbehörde, der Familie der Adel zugesprochen wurde, welcher in Ungarn von großem Belange ist. Für mich als Stiftsgeistlichen in Österreich war er ohne Bedeutung, und ich bediente mich dort und auch später dessen nie, obschon er mir, besonders nach meiner Ernennung zum Zipßer Bischof, gewöhnlich beigelegt wurde. Mein Vater war Oberverwalter auf den Gütern der Gräfin Z(ichy), einer Tochter des Generalen L(uzsinszky), in dessen Regimente er während des ganzen siebenjährigen Krieges gedient und sich besonders in der Schlacht von Kunersdorf ausgezeichnet hatte, weswegen er ihn auch nach geendigtem Kriege als seinen damaligen Adjutanten mit auf seine Güter nahm und ihn, als sich seine älteste Tochter verehelichte, ihrem Gemahl als Verwalter seiner bedeutenden Herrschaften anempfahl.

Schon im Mutterleibe drohte mir ein frühzeitiger Tod. Mein Vater war in Geschäften verreist, meine Mutter mit einem alten[1] Diener und ein paar Mägden allein im Hause und ihrer Entbindung nahe, als in der Abendstunde ein berüchtigter Räuber als Bettelmönch verkleidet um Nachtherberge bei ihr einsprach und, die Abwesenheit meines Vaters benützend, die herrschaftliche Kasse zu berauben gedachte. Der alte Diener, der seinen Reisebündel von dem einspännigen Karren hob und in das für ihn bestimmte Zimmer trug, schöpfte Verdacht, spähte in jenem während des Abendessens herum und fand nebst einem großen Hirschfänger auch noch gewisse Werkzeuge, die das Schlimmste ahnden ließen. Das Haus lag einsam und, wie gesagt, außer ihm, ein paar Mägden und großen Hunden war kein anderer Wächter in der Nähe. Obschon es die Jahreszeit nicht erheischte, so ließ meine Mutter auf den Rat des treuen Dieners den Ofen ihres Schlafzimmers stark heizen und ihn mit den zwei Hunden außerhalb der wohlversperrten Türe im Vorhaus seine Schlafstätte nehmen. Wirklich machte sich der Räuber, diese Anstalten bemerkend, bald nach Mitternacht davon und gestand, später eingefangen, daß er sich nach verübtem Mord aller im Hause Anwesender jener Kasse bemächtigen wollte. Meine Mutter erzählte mir dies einige Mal in Gegenwart meines Vaters. Sie war eine geborene Hafner (Marie Anna) aus Branzoll im tirolischen Etschland und wurde zuerst von ihrer Mutter und dann von ihrem Vater, einem kais. Verpflegsbeamten, im Felde verwaist, worauf sie der General L(uzsinsky) als ein zehnjähriges Kind mit heimbrachte, in seinem Hause erziehen ließ und endlich meinem Vater zur Gattin gab.

Meine guten und frommen Eltern, die nur für das Wohl ihrer Kinder, vier männlichen und drei weiblichen Geschlechts, lebten, sandten mich, den ältesten unter den Knaben, im J. 1780 nach Stuhlweißenburg in die Schule, wo ich die Normalgegenstände und die Humaniora, und dann nach Fünfkirchen auf die Akademie, wo ich die Philosophie hörte. Ich war kaum acht Jahre alt, als ich vor Allerheiligen, als angehender Normalschüler, der schon früher im väterlichen Hause durch einen Privatlehrer unterrichtet recht wohl lesen und schreiben gelernt hatte, nach der Stadt geführt und dort in einem honetten deutschen Bürgerhause in Kost und Wohnung gegeben ward. Da geschah es dann, daß am Vorabende des hl. Nikolaus (6. Dezember) bei angehender Nacht der maskierte, sogenannte Nikolo in goldpapierner Inful, Mantel und Bischofstab mit dem Krampus, einer schwarzen Teufelsgestalt mit rasselnden Ketten, in die Häuser kam und nach den frommen und schlimmen Kindern fragte. Ich erschrak gewaltig, da ich dergleichen im väterlichen Hause nie gesehen hatte, und verfiel in Fraisen, nachdem mich der Krampus in einen Fruchtsack gepackt und unter lautem[2] Lärmen und Schreien mehrerer mitgekommener mutwilliger Studenten in den Hof hinausgeschleppt hatte, um mich dort, wie er im Scherz drohte, in den Brunnen zu werfen. Dies hatte die Folge, daß ich bald darauf fieberkrank wieder heimgeführt werden mußte und dort beinahe ein halbes Jahr hindurch den kaum begonnenen, aber nicht fortgesetzten Schulunterricht versäumte. Da ich aber in der zweiten Normalschulklasse im Lesen und Schreiben wie auch Geschichte und Religionslehre den meisten meiner Mitschüler überlegen war, so konnte ich, wiedergekehrt, doch das erste Schuljahr vollenden. Dies war der Anfang jener vielen Krankheiten, die mich im Laufe meines späteren Lebens so oft heimgesucht hatten. – Von zäher zwar, aber schwächlicher Leibesbeschaffenheit scheint die Gestaltung desselben schon im Mutterleibe nicht ganz vor sich gegangen zu sein, denn der obere Teil meines Körpers von den Hüften aufwärts ist gegen den unteren unverhältnismäßig kurz geblieben; mein jüngster Bruder war beinahe 6 Fuß hoch, während ich in meinem kräftigsten Mannesalter, ehe das Alter meinen Nacken beugte, nur 51/2 Fuß Höhe gemessen habe. Oft hörte ich es, daß ich zu Pferde wohlgestaltet schien, da mich mein Vater, der einstige Kavallerist, frühzeitig zu reiten angehalten hatte.

Aus meiner Jugendzeit ist vielleicht Folgendes in Hinsicht meines Berufs zum Heldensänger bemerkenswert. Schon frühe hörte ich im väterlichen Hause häufig von Kriegsszenen sprechen. Das Haus in der Stadt, in welchem ich in die Kost gegeben ward, lag der Kaserne gegenüber, wo ich dann die meiste Zeit, die ich erübrigen konnte, unter den Soldaten zubrachte und hinter ihnen, besonders wenn sie in Feuer exerzierten, wohl stundenlang herlief. Mein liebstes Spiel war, meine Schulkameraden in Reih und Glied zu ordnen, wo dann die gesehenen Maneuvers nachgeahmt wurden, und zur Sommerszeit hatte ich mir gewöhnlich auf einem Gerüst im Hause ein kleines Zelt errichtet, aus welchem eine weiß- und rotgestreifte Fahne hervorragte, und in welchem hingestreckt ich meine Schulaufgaben lernte und wiederholte. Dies bezog sich darauf, daß die Wiedereroberung Jerusalems aus den Händen der Ungläubigen, zu welcher sich die ganze Christenheit verbinden müßte, noch lange darnach meine Lieblingsidee war. Wann sie zuerst in mir entstand, wüßte ich nicht mehr genau anzugeben; aber gewiß ist es, was auch anderswo (s. Konversations Lexikon von Brockhaus J. 1825) nach einigen von mir erhaltenen Notizen von einem Freunde angeführt ward: »daß ein Trinitarier-Mönch, der als Sammler für die Erlösung der gefangenen Christen in Afrika, in das Haus meines Vaters kam, mir, dem etwa siebenjährigen Knaben, viel von den Mißhandlungen erzählte, welche die armen Christen von den Korsaren erdulden müßten, und da ich eben in einem historischen Bilderbuche blätterte, so machte er mich auf das Bildnis Karl V. aufmerksam, der viele tausend[3] Christensklaven nach einem blutigen Kampfe vor Tunis aus ihren Banden errettet habe. Seitdem war mir der Name Karl V. der teuerste in der ganzen Geschichte; wo immer ich in einem Buche die Zahl V. erblickte, so fuhren meine Augen unwillkürlich dahin; nie konnte ich den Namen dieses heldenmütigen Kaisers ohne innere Bewegung nennen hören, und als ich in späteren Jahren die Ilias gelesen hatte, so war auch mein Entschluß gefaßt, jener Heldentat das Lied meiner Muse zu weihen.« – Nicht minder richtig ist es, was ferner bemerkt wird: »daß ich als Knabe stets in mich gekehrt, die Einsamkeit suchte; oft stundenlang aus dem Fenster eines alten Turmes der Feste von Stuhlweißenburg, oder des Kirchturms, den ich überaus gerne erstieg, nach den fernen blauen Gebirgen in selbstgeschaffenen Schwärmereien, eine unerklärbare Sehnsucht im Busen tragend, hinübersah.« Die Liebe zu den Gebirgsländern wurzelte auch schon frühe in meiner Brust, welche vielleicht durch die Erzählung eines uns besuchenden Verwandten meiner Mutter aus Tirol von dem dortigen Alpenleben geweckt wurde. Während der ganzen Studienzeit mir selbst überlassen, lernte ich weder mit besonderer Lust und Liebe, (die ich durch die rohe Behandlung eines der Normalschullehrer verloren hatte), noch mit anhaltendem Fleiße, obschon ich bei den jährlichen zwei Hauptprüfungen das Versäumte durch schnelle Fassungsgabe nachholend, meistens mit Ehre bestand.

Als ich im J. 1789 nach vollendeten phil. Studien von der Akademie in Fünfkirchen nach Hause kam, wollte ich vermög meiner großen Neigung zum Soldatenstande in den Türkenkrieg ziehen; allein, da bald darauf der Friede geschlossen ward, so mußte ich nach dem Willen meiner Eltern gegen Ende des J. 1790 höchst betrübt nach Ofen wandern, um dort unter der Leitung eines Verwandten, der bei der kön. Statthalterei als Beamter angestellt war, die gleiche Bahn anzutreten.

Die anderthalb Jahre, die ich dort verlebte, waren für meine Bildung von großem Einfluß, da ich zu einem deutschen Herrn, Reisinger, einem von Wien dahin versetzten Beamten in Kost und Quartier kam, der von neueren Schriften eine bedeutende Bibliothek nebst ziemlicher literarischer Bildung besaß und der mich als Freund behandelte. Dies ist der erste Freund, dessen ich erwähne; doch hatte ich schon einen, (Baron Ober), der mein Schulkamerade war und an dem ich mit all der glühenden Liebe gleichgestimmter Seelen hing, durch den Tod verloren und habe ihm jahrelang heiße[4] Tränen nachgeweint. Ein Mädchen liebte ich auch schon in meinem 15-ten Jahre, das etwa um ein Jahr jünger war als ich – ein zartes, holdes Wesen; doch sie ahnte es nicht, was in mir vorging, denn ich konnte stundenlang mit ihr auf einer Bank vor ihrem Hause in den Abendstunden sitzen, ohne ihr meine Empfindungen für sie gestehen zu können. Ich glaube in diesen wenigen Worten sei eine ganze Geschichte enthalten! In der Folge hörte ich, sie sei in ihrer Ehe sehr unglücklich geworden.

Mit heißer Begierde verschlang ich alles, was mir aus dem Bücherschatz des Herrn R(eisinger) zu Gesicht kam; doch las ich häufiger in Wielands, Klopstocks und Ossians Werken: dieser machte auf mein schwärmerisch gestimmtes Gemüt einen besonders tiefen Eindruck. Von Goethe lernte ich dort nur Werther, Götz von Berlichingen und Clavigo – dann Lessings Emilia Galotti und Schillers Don Carlos kennen. Auch machte ich einige Fortschritte in der Erlernung der französischen, größeren aber der italienischen Sprache, in welcher mir ein Soldat Unterricht gab. Gegen das Ende meines Aufenthalts in Ofen fing ich auch zu schriftstellern an; ich schrieb eine Heroide, die mein Freund nicht ohne Interesse fand. Diese und auch manche andere Versuche aus der Jugendzeit sind mir auf immer entschwunden, worüber ich sehr zufrieden bin.

Während dieser in Ofen zugebrachten Zeit und noch später bis zu dem Augenblick meines Eintritts in das Cisterzienser-Stift Lilienfeld in Unterösterreich (am 18. Oktober 1792 – und im 20-sten meines Lebens) mußte ich die Folgen der Armut, Not, Entbehrungen aller Art und somit auch manche Leiden am Gemüt und Körper erfahren. Ich schäme mich nicht sie zum Teil hier anzuführen, damit jene, welchen ihr Schicksal keine so harten Prüfungen auflegte, umso mehr Ursache haben, sich ihrer Jugendzeit zu erfreuen.

Als Praktikant der Landesstelle, Diurnisten nannte man uns als solche, hatte ich monatlich 15 F. Gehalt. Von den auf einen Tag entfallenden 30 Kreuzern zahlte ich 20 Kr. für die Kost, und die übrigen 10 Kr. für eine Bettstelle im Zimmer des Bruders meines Kostherrn. Später mußte ich auch diese räumen und mir ein eigenes armseliges Stübchen mieten, da jener die längere Beschränkung nicht ertragen wollte. Noch ehe dieses geschah, schlief ich einige Monate hindurch auf dem geräumigen Dachboden desselben Hauses, bis mich endlich im Spätherbst die Kälte und das lästige Umflattern der Fledermäuse zwangen, doch nach einem eigenen Quartier umzusehen. Meine guten Eltern, die durch einen gewissenlosen[5] Schuldner, den Grafen L., um ihr ganzes, mühsam erspartes Vermögen gekommen waren und noch für so viele meiner jüngern Geschwister zu sorgen hatten, konnten mir nur wenige Beihilfe geben, und so war ich in den kalten Wintern des J. 1790 und 91 nicht im Stande, mir das nötige Brennholz zu schaffen, und mußte in dem ungeheizten Stübchen schlafen, wo oft an dem Rande meiner Bettdecke und am Kopfkissen der frierende Hauch beim Erwachen wie Schnee zu ersehen war. Was ich manchmal an Geld erübrigte, verwendete ich noch nebenbei auf Bücher.

Der Gedanke, meinen Eltern noch immer zur Last zu sein, machte mir meine Stellung in Ofen, die mir ohnehin nicht zusagte, ganz unerträglich; ich begehrte im Monat März 1792 meine Entlassung von der Statthalterei, begab mich zu meinen Eltern, die zu jener Zeit nicht ferne von Komorn ein kleines Gut in Pacht hatten, da mein Vater schon einige Jahre zuvor seinen Dienst resignierte, und nahm von ihnen nach einigen Tagen einen Abschied, wie mich dünkte, für immer; denn so häufige Tränen ich auch dort die letzte schlaflose Nacht hindurch vergoß, so erfuhren sie es dennoch nicht, daß ich entschlossen war, in die weite Welt hinaus zu gehen und dort mein Glück zu suchen, um nur sie der weitern Sorge für mich zu entheben. In den Soldatenstand treten zu können, blieb ja noch immer ein sicherer Trost!

Ich hatte einige Hoffnung, als Schreiber in die Dienste des Grafen Paolo d'Andreis in Palermo zu kommen, der ein Vergnügen hatte ein paarmal vor einem Caffèhause sitzend, mit mir italienisch zu sprechen, als er auf einer botanischen Reise in Ungarn nach Ofen gekommen war. – In Wien, wo ich mich nur eine kurze Zeit aufhielt, verkaufte ich noch einen Koffer voll recht guter Bücher an den bekannten Dichter und damals Antiquar-Buchhändler, Alois Blumauer, der sie mir um weniges Geld abdrückte. Zu Ende April reiste ich zu Fuß nach Graz ab, wohin ich zuvor meinen Reisebündel mit dem Postwagen vorausgesandt hatte. Diese Fußreise sollte eine Vorübung auf künftig zu erduldende Strapazen sein. Von Graz fuhr ich mit einem Lohnkutscher über Laibach nach Triest. Den Oberlaibacher Berg aufwärts zu Fuß gehend, gesellte sich der italienische Gelehrte, Abate Della Lena, der schon mehrere Jahre den Winter in Wien zubrachte und im Frühling wieder heim nach Siena zog, um seltene Ausgaben der lat(einischen) und griechischen Klassiker in Italien zu sammeln und sie in Österreich gewöhnlich an die Stiftsbibliotheken zu verkaufen. Er rühmte meinen italienischen Akzent, und da ich eben Tassos Befreites[6] Jerusalem in der Tasche hatte, so mußte ich ihm mehrere von ihm bezeichnete Stellen übersetzen – ich tat es, wie er sagte, vollkommen gut. Es ist unbeschreiblich, welchen Eindruck von der Höhe hinter Opicina der Anblick des unendlichen Meeres, das eben im Glanz der untergehenden Sonne flammte, auf mich machte: ich saß sprachlos unter meinen Reisegefährten im Wagen und in Triest vor dem Gasthofe angelangt lief ich sogleich die Straße hinab zu dem Meeresufer, stand dort unbeweglich bis in die sinkende Nacht und staunte – nicht die Gegenstände des Handels, nicht die Schiffe, nicht die Häuser, sondern einzig und allein das ruhelose, bläuliche Wasser an, das endlos vor mir lag! Dieser Anblick, glaube ich, ist das Höchste, was die Natur dem Menschen bieten kann! –

In Triest hielt ich mich zwei und in Venedig 18 Tage auf, wohin ich auf einer sogenannten Corriera wegen widriger Winde drei Tage unter Weges war und von der Seekrankheit befallen sehr viel litt. In Triest wurden wir von den Matrosen um 2 Uhr nach Mitternacht geweckt und an den Bord des Schiffs zur Abfahrt gerufen. Freudig packte ich meine kleine Habe zusammen, eilte mit ihnen hin, legte mich in der Kajüte auf eine der Matrazen auf den Boden nieder und schlief alsbald ein. Wie war ich erstaunt, als ich am Morgen gegen zehn Uhr erwachte und mich an derselben Stelle mit dem Schiffe befand. Es hieß, ein italienischer Graf habe erfahren, daß sich unter den Passagiers ein Franzose aus dem revolutionären Paris befinde, deswegen habe er seine Effekten zurückschaffen lassen und diesen längeren Aufenthalt veranlaßt. Während der Überfahrt mußten wir des heftigen Sturmes wegen meistens in der Kajüte auf den Matrazen liegend bleiben. Die vielgesprächigen Italiener, darunter ein Kaufmann von Malta, ein Exjesuit aus Rimini und ein Advokat aus Faenza schimpften unter anderem häufig über Voltaire und Rousseau; der Franzose, der italienischen Sprache nicht ganz kundig, verstand sie wohl, verzog aber keine Miene dabei: doch als ich später, von der Seekrankheit befallen, oben auf dem Verdeck lag und zu sterben wähnte, kam er mir nach, sprach mir Mut ein, labte mich mit ein wenig Liqueur und kaltem Braten und machte sich in seiner Muttersprache über jene Herren lustig.

Als wir den folgenden Tag in Venedig an der Piazetta landeten, sagte er mir, er müßte ohne Verzug nach Alexandrien in Ägypten abreisen und preßte meine Rechte warm an seine Brust. Wir haben uns nie wiedergesehen.

Die höchst merkwürdige und von zahllosen Federn ohnehin beschriebene Stadt Venedig war eben noch mehr wie sonst belebt, da kurz zuvor das Fest der Himmelfahrt Christi, an welchem der[7] Doge seine Vermählung mit dem adriatischen Meere durch ein Symbol zu feiern pflegte, und der darauf folgende Jahrmarkt, Fiera di Venezia, sehr viele Fremde dahinzog. Meine obgenannten Reisegefährten, dort fremd wie ich, forderten mich auf, die Merkwürdigkeiten der Stadt mit ihnen gemeinschaftlich zu besehen, da, wie sie sagten, auf solche Art die buona mano, das Trinkgeld, nicht hoch zu stehen komme. Dies war mir, dem karg Ausgestatteten, schon recht; doch ward mir bange, als sie den Zimmerwärter des Doge, der uns seine Zimmer, Kapelle und herzoglichen Kleider und Insignien zeigte, mit einem Siebzehnkreuzer-Stück abfertigten, und er einen großen Lärm, den jene gar nicht achteten, darüber erhob. Ich reichte ihm schnell noch eine kleine Silbermünze und war froh, mit heiler Haut, wie ich meinte, über die Schwelle gekommen zu sein. Wir besahen die Markuskirche nebst vielen anderen der größeren Kirchen, in welchen allen eben große Katafalke zu Ehren des letzten venetianischen Seehelden Emo errichtet waren, da erst vor einigen Tagen dessen Leiche auf seinem Admiralschiff aus der Levante angekommen war. Es war ein eigener melancholischer Anblick, dieses Schiff ganz die Mastbäume und die Seiten desselben mit schwarzem Tuch umfangen an der Riva dei Schiavoni zu sehen. An den Seiten hing das Tuch bis zum Wasser hinab.

Wir besahen mehrere Privatpaläste, wo kostbare Sammlungen gezeigt wurden, die Spiegel- und Glasfabriken in Murano, das Arsenal und endlich auch das Innere des Markuspalastes, in welchem ich mich dann täglich vormittags in der Sala del Scrutinio einfand, weil dort die gerichtlichen Prozesse durch die Advokaten öffentlich verhandelt wurden. Es belustigte mich, insbesondere diese mitunter ausgezeichneten Redner vor den gravitätischen Richtern in schwarzer Toga und weißer Allongeperücke sich gegenseitig bekämpfen zu hören. Ihre Klienten werden wohl kaum gegenwärtig gewesen sein, denn mit den Zuhörern befand ich mich meistens unter Leuten aus der gemeinsten Klasse.

Dort sah ich am Fronleichnamsfeste bei einer ungemein prunkvollen Prozession den Patriarchen mit der Monstranze und hinter ihm den Doge mit 24 Senatoren alle in hellroter Toga von Damast und Allongeperücke über den Markusplatz ziehen. Wunderbar sind die Wege der Vorsehung! Wie hätte ich es mir dort (im Mai des J. 1792) auch nur träumen können, daß ich nach etwa 30 Jahren auf demselben Platze den vormaligen Dogenpalast als Nachfolger jenes Oberhirten bewohnen werde! Noch schien die Republikobschon zu jener Zeit bereits tief gesunken, nach einer tausendvierhundertjährigen Existenz auf eine lange Zukunft rechnen zu können, und – fünf Jahre später machte ihr der siegreiche Obergeneral der ital. Armee, Bonaparte, ein schnelles Ende! –

Endlich wohnte ich mit meiner Gesellschaft auch der Vorstellung einer großen Oper in der eben in jenen Jahren zum ersten[8] Mal eröffneten Theater della Fenice bei. Ein Schauder überlief mir die Haut, als ich aus dem Munde des beinahe 6 Schuh hohen Helden des Stücks die Stimme des Kastraten vernahm, und zwar des berühmten Pachirotti, und nur schwer konnte ich es über mich gewinnen, bei der Vorstellung bis zu Ende auszuharren. Das Publikum schwamm in Entzücken über die wunderbare Leistung dieses Meisters, der als der Urheber der neueren, überkünstelten ital. Gesangsweise bezeichnet wird. – Später wird es klar werden, warum ich dieses Ergebnisses erwähnte.

Schon war ich im Begriff über Mestre, Verona und Trient durch Tirol nach Wien zurückzukehren und mich, da ich von einem aus Frankreich her drohenden Kriege hörte, dem Soldatenstande zu widmen. Allein, wie ich in Mestre an das Land stieg, kam eben der obengenannte Abate Della Lena, sich auf derselben Gondel nach Venedig zu begeben, hörte mit Verwunderung von meinem Entschluß und ließ mit seinem Zureden nicht eher nach, bis ich mit ihm nach Venedig wieder zurückfuhr, von wo er die Fahrt nach Manfredonia im Neapolitanischen als sehr leicht und wenig kostspielig schilderte, deshalb sogar meinen Geldvorrat in Augenschein nahm und ihn für zureichend erklärte, von Manfredonia zu Lande mit Transportkarren nach Neapel und von dort zur See nach Palermo zu gelangen. Ich entschloß mich also, auf einem von Chioggia nach Manfredonia fahrenden Handelsschiffe die Reise dahin anzutreten. Der Patron des Schiffes Felice Padovano, ein ehrwürdiger Greis, führte mich in seinem Boote längs der Riesenmauer, Murazzi genannt, nach jenem vier Stunden von Venedig entlegenen Städtchen, nahm mich gastfreundlich in seinem Hause auf und behandelte mich sowohl dort, als auch auf der neun Tage und Nächte dauernden Fahrt nach Manfredonia mit so vielem herzlichen Wohlwollen, daß ich dessen stets mit inniger Rührung gedenken werde! Es wird weiter unten Zeit sein, von seinen Zurückgelassenen ein Mehreres zu sprechen.

Als wir vor Manfredonia, einer kleinen Festung, ankamen, sagte der Padrone, wir sollten uns waschen, kämmen und so viel möglich herausputzen, damit keiner von uns kränklich aussehe. Die Brandung ist dort am felsigen Ufer stark – ich hatte Angst vom Schiffsbrette den Sprung an das Land zu machen, daher faßten mich ein paar Matrosen und warfen mich einer dem anderen mit lautem Gelächter in die Arme. In einem Häuschen außer dem Tore war die Sanitätswachstube. Wir alle, der Patron mit seinen 12 Matrosen und ich, der einzige Passagier, mußten uns auf eine lange Bank an der Wand setzen und den Komissär erwarten. Er kam ziemlich spät im seidenen, durch vieljährigen Gebrauch beinahe farblosen Staatsrock mit großen Manschetten, trat hinter einer hölzernen Ballustrade an ein Tischchen, entfaltete den vom Patron ehrfurchtsvoll hingelegten Paß mit einer eisernen Klappe, las die[9] Namen laut ab und sah nach der Reihe einem jedem lange forschend in das Antlitz. Als dieses scharfe Examen vorüber war, sah ich mit großem Erstaunen, daß er seine weißen Handschuhe abzog, um mit lautem Freudenruf den ihm entgegeneilenden Patron in die Arme zu schließen. Er mochte diese Komödie mit seinem vieljährigen Freunde wohl schon hundert Mal wiederholt und manchen Fremden wie mich dadurch belustigt haben; allein, Sanitätsrücksichten sind an Landungsplätzen wichtig und darum zu loben, obgleich dieser venetianische Kauffahrer nur aus einem dortigen Hafen kam, denn immer ist die Hauptfrage, ob man nicht unter Weges mit einem aus der Levante kommenden Schiffe und dessen Personal in Berührung gekommen sei. –

Als wir durch die Gassen von Manfredonia zogen, um auch den Kommandanten der Sitte gemäß zu besuchen, eilten links und rechts aus den Häusern die Leute mit lautem Jubelruf heran, um unsern freundlichen, wohlbeleibten Padrone, der auch alle mit Segenswünschen begrüßte, zu bewillkommnen. An einem derselben erschrak ich nicht wenig, als ein etwa 25 jähriger junger Mann mit struppigen Haaren und wildartikulierten Jammertönen von der Treppe herabspringend ganz nackt auf die Gasse kam und von denen, die ihm nacheilten, nur mit Mühe wieder zurückgeführt werden konnte. Man sagte mir lachend, er sei wahnsinnig. Dort mag es noch keine Irrenhäuser im neapolitanischen Reiche gegeben haben, die jetzt als vorzüglich gerühmt werden. Der Kommandant, ein alter 70jähriger Graukopf, empfing uns in einem Zwilchkittel in Form eines Schlafrocks im dritten Zimmer, in welchen allen ich außer einigen von Stroh geflochtenen Sesseln und alten, zerlumpten, seidenen Vorhängen keine weiteren Möbel sah. Er fragte unter anderem unsern alten Padrone wiederholt, ob er keine guten Weine mitgebracht habe, welchen Fragen dieser ein langgedehntes »Nein«! entgegensetzte. Nach acht Uhr wurden die Festungstore geschlossen, und es faßte mich eine tiefe Wehmut, als mich der Padrone darin zurückließ, denn er sagte mir, er könne nur am Borde seines Schiffes ruhig schlafen. Ich hatte ihn wie einen zweiten Vater liebgewonnen. Bis gegen Mitternacht sah ich aus dem offenen Fenster des hochgelegenen Gasthauses nach dem monderhellten Hafen hinab, in welchem sein Schiff mit noch ein paar anderen englischen Kauffahrern die Nachtluft am Anker hin- und herwiegte. Den folgenden Tag nach Tische ging dann die Reise nach Foggia, einer drei Meilen von Manfredonia entfernten Stadt, weiter fort. Foggia ist nach der Hauptstadt die größte Stadt im neapolitanischen Reiche diesseits am Adriatischen Meere. Wir hörten vor unserer Abfahrt, daß dort den vorhergehenden Tag eine Volksbewegung[10] wegen geringen Gewichtes des von den Bäckern verkauften Brotes ausgebrochen sei. Mein alter Padrone hatte Geschäfte in Foggia, deswegen machte er die Reise mit. Unser Fuhrwerk war eine niedrige, zweirädrige Sedia mit einigen Spuren von einstiger Vergoldung und rotem Lack. Gezogen wurde es von einem Maultier in der Gabel, dem noch ein kleines Pferd nebenan beigesellt war. Wir beide saßen sehr beengt in der Muschel, und der Lohnkutscher rückwärts auf dem sogenannten Löffel, von wo er mit der Peitsche die Tiere vorwärts bewegte. Da hatte ich dann Gelegenheit, mitunter unter fortwährendem Gelächter zu beobachten, welche unsägliche Angst mein alter Seemann vor Pferden und Wägen hatte. Mir wurden die Zügel zur Leitung übergeben. Hundertmal fragte und beschwor er mich, zu erklären, ob ich die Zugtiere zu leiten verstünde? Vergeblich versicherte ich ihn dessen und machte mich lustig über die so zahmen, ohnehin mattgetriebenen Tiere, von welchen nicht die geringste Gefahr zu befürchten wäre. Unter Weges gab es dann ein fortwährendes Lamento über die Unbequemlichkeiten einer Landfahrt, über die drückende Sonnenhitze, über den lästigen Staub und überdies die Gefahren, die von den tückischen Zugtieren drohten, und um wie viel angenehmer fahre sichs auf dem Borde eines Schiffes, wo man sich im Schatten der luftigen Segel gegen die Sonnenhitze schützen könne. Ich hingegen pries die Fahrt zu Lande, wo man täglich abends sicher ist, in einem wohlbestellten Gasthof einkehren zu können und nicht viele Tage hindurch nur Himmel und Wasser um sich zu sehen, auf welchem, besonders bei eintretender Windstille, den Reisenden Schwindel und Unwohlsein ergreife. Seine Angst war fortwährend so groß, daß wir auf der Bahnstrecke drei Mal vor schlechten Schenken stille halten mußten, damit er sein ganz durchnäßtes Hemd mit trockenem wechseln konnte. Da wir von möglichen Räuberanfällen in den Abendstunden gehört hatten, so trieb ich stets zur Eile an, und wir erreichten endlich noch vor einbrechender Nacht die Stadt, wo in dem Hause eines Handelsfreundes eine freundliche Aufnahme gefunden ward. Ich ging, während das Nachtessen bereitet wurde, bei hellem Mondlicht durch einige Gassen und hörte nichts von einem Volksaufruhr, wohl aber von mehreren Balkonen zum Klang der Guitarre wohltönende Männerstimmen erschallen, die sich bei der melancholischen Mondhelle gar zauberhaft ausnahmen. Das Eigentümliche der südlichen Länder trat mir immer lebhafter vor die Augen. Endlich schied ich am folgenden Tage von meinem guten Alten unter vielen Tränen! In der Rückfahrt wird er beruhigter gewesen sein, da der Kutscher neben ihm in der Muschel saß, und er zu diesem mehr Vertrauen haben mochte, als zu dem jungen Fremdling.

Von Foggia ging die Reise durch Apulien nach Neapel fort. Es war soeben die Zeit der Ernte, und allenthalben wurden die[11] Vetturini, die auf mehr als 20 zweirädrigen Karren unter militärischer Bedeckung Staatsgut führten, von dem fröhlichen Landvolk durch lautem Zuruf geneckt, so auch ich, der aus seinem ganzen Äußeren leicht erkennbare Fremdling. Wir fuhren gewöhnlich von der Zeit der untergehenden Sonne die Nacht hindurch bis gegen zehn Uhr vormittag; dann wurde in der Herberge schnell gegessen und dort in den Stunden der großen Hitze bis zum Abend geschlafen. Hier etwas zur Charakteristik des dortigen Volkes. Eines Tages konnte ich nicht schlafen und hielt mich in der großen Vorhalle des Gasthauses, die zugleich zum Speisesaal für die Fuhr- und andere gemeine Leute, zur Wagenremise und zum Stalle für die Zugtiere dient. In der Mitte saßen eben mehrere uniformierte Sbirri um einen Tisch herum und hielten, wie gewöhnlich, lärmende Gespräche unter sich. Ich stand seitwärts, gelehnt an einen großen Reisewagen, in welchem der alte Bediente der Herrschaft eingeschlafen saß; da trat ein Mann, wie ich später hörte, von Ancona kommend zu mir; er hatte beide Arme mit dem Namen Marias und Kreuzeszeichen blau tätoviert und schien ein Handwerker zu sein. Als er hörte, daß ich zum ersten Male die große Stadt Neapel betreten soll, so gab er mir einige gutgemeinte Ratschläge, wie ich mit einem der vielen Lazzaronis, die sich zum Tragen meines kleinen Reisebündels antragen würden, zu verkehren hätte, und in welchem Gasthofe es für mich am besten wäre, Unterkunft zu suchen. Einer der Sbirri sprang plötzlich fluchend auf und schlug den armen Mann mit seiner Muskete in einem fort fluchend, warum er einem Fremden solche Ratschläge erteile, zu wiederholten Malen auf den Rücken; er meinte nämlich, der Fremde sollte von seinen Landsleuten hergebrachter Maßen geprellt werden. Der arme Anconitane wandte sich jammernd hin und her und getraute sich kein Wort mehr weiter zu sprechen. Dies war das erste Ereignis, das mir gegen jenes Volk Furcht und Abscheu einflößte.

Morgens gegen fünf Uhr kamen wir an der äußeren Barriere von Neapel an; sogleich umringten mehrere Lazzaroni unsere Karren, sich zu Trägern anzubieten. Ich wählte einen etwas besser gekleideten Mann von mittleren Jahren, mir meinen Reisebündel vorzutragen, und bezeichnete ihm den Gasthof Al'Lampa d'Oro hinter der Hauptstraße Toledo als das Haus, wohin er mich führen sollte. Gesprächig nannte er mir die Namen aller am Wege liegenden Kirchen und konnte sich nicht genug verwundern, daß ich all die Herrlichkeiten von Neapel nicht schon früher gesehen hätte. Als er mich endlich dem Gastwirte, einem bejahrten Manne, vorstellte, sagte er ihm, schelmisch mit den Augen winkend, dieser ist ein Fremder, ein Deutscher, der noch nie in Neapel war. Mit dem bedungenen Lohn nicht zufrieden, mußte ich ihm noch etwas aufbezahlen, ehe er ging. Man wies mir ein kleines Zimmerchen in[12] einem der oberen Stockwerke an; ich weiß nicht mehr, in dem wievielten, aber es lag hoch genug, um über die Dächer hinaus zahllose Türme und in der Ferne den rauchenden Vesuv zu ersehen. Er hatte damals noch die hohe konische Form, in welcher er, ehe dieser Teil einstürzte, weit über die Somma aufragte, die seitdem die höchste Spitze ward.

Gegen Mittag kam der Sohn des Wirtes, ein königlicher Beamter, heim und als er von dem Fremden, einem Deutschen, hörte, kam er zu mir hinauf und machte mir den Antrag, nach der Villa Reale spazieren zu gehen. In der Mitte dieser herrlichen Wandelbahn, von welcher man den schönsten Golf der Welt, einen großen Teil der unermeßlichen Hauptstadt, den rauchenden Vesuv, und fern draußen auf dem Meer in bezaubernder Bläue die Inseln Capri, Ischia, Procida und andere Höhen ersieht, stand auch damals noch der berühmte farnesische Stier, ein Meisterwerk aus alter Zeit, aus einem Block weißen Marmors gehauen. Ein wütend sich aufbäumender Stier ist im Begriffe, ein bereits niedergeranntes Mädchen mit seinen Hörnern zu durchbohren; da fleht ihr Geliebter zu den Göttern und ruft den Apoll zu Hilfe, der den Stier bei dem einen Horn faßt und das Mädchen rettet. Die Gruppe bilden fünf Figuren von mehr als natürlicher Größe von ungemeiner Schönheit. Seitdem ist dieses kolossale Standbild in ein Museum übertragen worden.

Mein wohlwollender Begleiter, den ich wegen seinen blonden Haaren eher für einen Deutschen als für einen Neapolitaner gehalten hätte, erzählte mir nun, als er hörte, daß ich im Begriffe sei, mich nach Sizilien zu begeben, so viel Schlimmes von den Bewohnern dieser Insel, daß mich eine nicht mehr bezwingbare Scheu vor denselben erfüllte, und der Entschluß sogleich in mir rege ward, wieder nach den österreichischen Staaten zurückzukehren. Den folgenden Nachmittag kam ich in die Verlegenheit, die ich durch eigenes Ungeschick veranlaßt hatte, einer höchst unangenehmen Szene beiwohnen zu müssen. Sie spann sich noch von Venedig her. Den letzten Abend, ehe ich mit dem guten alten Padrone Felice Padovano nach Chioggia fuhr, speisten wir bei dem Nobil Uomo Capello, aus dessen Familie die Bianca Capello einst ihre Rolle spielte, die tragisch genug endete; er hatte Handelsgeschäfte mit ihm abzutun. Nach Tische steckte mir ein bejahrtes Fräulein des Hauses, Schwester des Nobil Uomo, ein Briefchen in die Hand mit der leisegesprochenen Bitte, daß ich selbes dem Kapitän + + + vormals in venetianischen Diensten, der jetzt mit seinem unlängst verheirateten Sohne Tobak-Trafiks-Geschäft in Neapel betrieb, aber ihm allein, übergeben sollte. Ich freute mich sehr darüber, auf solche Art sogleich eine Bekanntschaft dort machen zu können, die mir nach der Versicherung des Fräuleins sogar Vorteil bringen würde. Um des Auftrags ja nicht zu vergessen, steckte ich das[13] Briefchen in ein reines Blatt Papier und schrieb von innen mit Reisblei die Worte: »Dieses Schreiben ist dem alten Herrn allein zu übergeben«. Bald war seine Wohnung mit dem stattlichen Verkaufsgewölb erfragt; ich traf den alten Herrn im hinteren Zimmer im Großvaterstuhl und im Schlafrock sitzend. Der Brief wurde freundlich übernommen; einige Fragen und Antworten über die Venediger Freunde und über meine Weiterreise nach Sizilien wurden gewechselt, und ich hörte darauf die tröstenden Worte, daß man hoffe, mich noch öfters zu sehen. Da kam die wohlbeleibte alte Hausfrau mit der Schwiegertochter, einer hübschen, schlanken Brünette – der Sohn, wahrscheinlich als Geschäftsführer, hatte im Gewölbe, welches durch ein breites Fenster von dem hinteren Zimmer getrennt war, genug zu tun – von der Seitentreppe, die in dasselbe mündete, herab, und nachdem sie von dem Fremden und einem von Venedig mitgebrachten Briefe Auskunft erhalten hatte, trat sie dem Alten herrschend näher, riß ihm den Brief aus den Händen und ging mit der Schwiegertochter wieder die Treppe hinauf in die obere Wohnung. Nach einer kurzen Zeit entstand oben ein fürchterlicher Lärm, kreischend ausgesprochene Zornworte tönten von der Treppe immer näher; endlich kam die Alte mit geballter Faust und blitzenden Augen zum Vorschein, hielt in der Linken das Blatt, in welchem geschrieben stand, daß der Brief dem alten Herrn allein zu übergeben sei, ihrem Mann entgegen und überhäufte ihn mit den bittersten Vorwürfen, daß er mit jener .... Kreatur noch immer im heimlichen Verkehr stehe. Hatte dies auf ihn oder seinen Sohn, der sich von seiner weinenden Gattin, was da geschehen, erzählen ließ, Bezug, konnte ich nicht erfahren, da ich ganz verblüfft dastand und mich dann ganz beschämt aus dem Staube machte. Die quälende Vorstellung, daß ich etwa, obgleich unwillkürlich, Unfrieden in der Familie veranlaßt hatte, ließ mich die folgende Nacht zu keinem Schlafe kommen; doch wurde ich nach ein paar Tagen wieder beruhigt, als mir der alte Herr im seidenen Staatsrock, einen Dreispitz-Hut auf dem Kopfe und ein dickes spanisches Rohr in der Rechten tragend in der Straße Toledo begegnete und mich ganz gleichgültig fragte, wie mir Neapel gefiele? Ich kündete ihm meine beschlossene Zurückreise [an] und stellte zuletzt die dumme Frage an ihn, ob er nichts nach Venedig zu bestellen habe. »Oh nein, nein«, sagte er laut auflachend, indem er weiter ging, und dachte wahrscheinlich, einem so ungeschickten Boten wünsche er nichts anzuvertrauen.

Auch diese Geschichte trug dazu bei, mir meinen ferneren Aufenthalt in Neapel zu verleiden; mit sehr beschränkten Kenntnissen ausgestattet, dachte ich gar nicht daran, Herkulanum, Pompei und den Vesuv oben an seinem Krater zu besuchen; oft hielt ich mich bei den Soldaten der Hauptwache vor dem königlichen Schlosse auf, die größtenteils in der Schweiz und in den[14] schwäbischen Gauen geworben waren, und hörte diese häufig klagen, daß die Marinetruppen die Lieblinge des Königs wären und sie wenig geachtet würden. Einer erzählte mir eines Abends, sich auf der Bank, worauf wir saßen, vertraulich an mich drückend, ganz ernsthaft, daß jener feuerspeiende Berg der Eingang zur Hölle sei, und der böse Feind sich zuweilen in später Nacht oben auf seiner Spitze in fürchterlicher Gestalt zeige.

Zu jener Zeit kannte man noch keine Straßenbeleuchtung in der ungeheuren, von mehr als viermalhunderttausend Seelen bewohnten Hauptstadt. Vermöglichere Personen ließen sich Fackeln oder Laternen in den Seitengassen vortragen; nur in der großen Hauptstraße Toledo war es hell wie bei Tage von dem Licht, das die Reverbers aus den Kaufladen herauswarfen, und von den vieltausend Kerzen und Öllampen, welche die Obst- und Gartengewächse verkaufenden Lazzaroni auf der Erde sitzend an beiden Reihen der Häuser vor sich hatten. Der Neapolitaner lebt eigentlich nur von der Abenddämmerung, welcher das langweilige Auf- und Abfahren der Noblesse längs der Straße Toledo vorangeht, bis ein paar Stunden nach Mitternacht; da war Lärm und Bewegung all überall, und eben da legte ich mich nach echtem deutschem Brauch in meinem Schlafkämmerchen nieder und wußte wenig davon, was drüben vorging. Ich war zu arm, um an Genüsse zu denken.

Mein Paß, den mir der neapolitanische Konsul in Venedig ausstellte, war mit dem Vidi von der österreichischen Gesandtschaft versehen, und in meiner Unerfahrenheit glaubte ich, daß er mit jenem von Wien nach Triest für die ganze Länderstrecke bis nach Österreich zurück genügen werde; ich beschloß daher nach fünf bis jetzt in Neapel zugebrachten Tagen, die Rückreise am nächsten Morgen anzutreten. Abends zuvor begehrte ich mein Zahlungskonto von dem Hauswirte; als ich die Summe ersah, erblaßte ich vor Schrecken, da er mehr als ein Drittel meiner noch übrigen Barschaft betrug – ich stand verstört, stumm lange vor ihm und sagte ihm endlich, daß anfangs, als ich um den Preis des armseligen Stübchens und der Kost von drei Gerichten fragte, er mir geantwortet habe: »Sarà discreto!« Nun ließ er sich herbei, die Summe sehr zu ermäßigen, aber sie blieb noch immer groß genug, mich noch viel ärmer zu machen, als ich schon war. Die Aussicht auf eine Anstellung in Sizilien war auch entschwunden. Vor Sonnenuntergang erstieg ich noch die Höhe vom Kastell San Elmo, um die ganze Umgegend von Neapel zu ersehen. Sie war entzückend schön! Das Meer, das im goldnen Abendlicht flutete, der Vesuv mit seiner Rauchsäule, die Stadt unten, der herrliche Golf, nach welchem die blauen Inseln drüben herüberwinkten und wo sich die schwärzlichen Schiffe in großer Zahl im Abendwinde hin und her wiegten, all das prägte sich mit einem unnennbaren Zauber in mein jugendliches Gemüt ein, der mir für immer unvergeßlich bleiben wird.[15]

Früh morgens machte ich mich denn mit meinem Reisebündel unter dem Arm und einem Stöckchen in der Rechten auf, die Heimreise über Rom, Florenz und Innsbruck zu Fuß zu beginnen, und kam durch herrliche Pappelalleen wandelnd über Aversa gegen vier Uhr nachmittags in Capua an, wo ich übernachten wollte; doch anders war es in den Sternen geschrieben! Da Capua eine Festung ist, so forderte man bei dem Wachtposten am Tore mir meinen Paß ab; der Offizier sah ihn kopfschüttelnd wiederholt durch; endlich schickte er mich mit einer Wachtbegleitung nach dem Palast des Kommandanten, von dem er sagte, daß er ein Deutscher sei. Im Vorzimmer wandte ich mich an den Kammerdiener, in dem ich auch bald einen Deutschen erkannte, und bat ihn flehentlich, in dem ich ihm meine traurige Lage vorstellte, sich bei seinem Herrn für mich zu verwenden. Nach geraumer Zeit trat er endlich mit meinem Passe in der Hand aus dessen Zimmer heraus und sagte mir mit einem mitleidigen Achselzucken, der Herr Kommandant ließe mir bedeuten, ich soll froh sein, daß er mich nicht in Arrest setzen lasse, da mein Paß nicht vom Minister Acton ausgestellt sei, und es bliebe mir nichts anderes übrig, als gleich wieder nach Neapel zurückzugehen und nur mit einem solchen Passe hier zu erscheinen. – Der Gedanke, dem Arrest entgangen zu sein, gab mir neue Kraft, den Weg von vier Meilen abermals zurückzulegen.

Es war schon ziemlich dunkel, als ich die äußerste Straße der Hauptstadt wieder erreichte. Kurz zuvor gesellte sich ein heimkehrender Handwerker, in welchem ich zu meiner großen Freude auch einen Deutschen erkannte und dem ich meine ganze Irrfahrt von Wien bis dorthin erzählte, mir zu. Er war schon seit mehr als dreißig Jahren in Neapel ansässig und meinte, wenn ich nur auch ein Handwerk gelernt hätte, so würde sich auch für mich dort etwas zum Vorteil bringen lassen, aber mit studierten jungen Leuten sei nicht viel zu machen. Ich gab ihm in meinem Herzen damals Recht; denn wie weit ist es noch von der letzten Prüfung in der Schule bis zu einem soliden Broterwerb, und ich dachte mir, wenn ich nebst den Schulgegenständen ein hübsches Handwerk als Drechsler, Tischler, Glaser u.s.w. erlernt hätte, wie leicht wäre es mir nun, in dieser oder in jener Stadt einige Zeit hindurch wieder etwas zu verdienen und dann die Reise auch noch durch andere Länder weiter fortzusetzen. Als wir uns dem Hafen näherten, forderte mich mein Begleiter auf, in einer der dort befindlichen Garküchen einzusprechen und an gerösteter Leber, den beliebten Macaroni und einer Flasche Vin Nero unsern Hunger und Durst ruhen zu machen. Es gab dort viele, gewöhnlich runde Tische, an welchen Leute aus der niedrigeren Klasse unter lärmenden Gesprächen die Macaroni aus einer großen Schüssel ihre Ärmel aufstreifend mit den Fingern herausholten und mit zurückgebogenem[16] Haupte die langen Fäden derselben in ihren weitgeöffneten Mund hinabließen. Ein Fremder, der sie mit dem Löffel oder der Gabel speist, ist sicher, ausgelacht zu werden. Das geschah denn auch mir.

Ich erzählte meinem Begleiter, einem ehrlichen Salzburger von Geburt, wie sehr ich in der Al'Lampa d'Oro diese Tage her ausgesäckelt worden sei, und fragte ihn, ob er mir nicht für ein paar Tage, so lange ich nämlich meinen Reisepaß zu erhalten hoffte, eine wohlfeile, meinem Kassestand angemessene Nachtherberge anzuraten wüßte. Er bejahte es, und als wir nun ziemlich spät aufbrachen, führte er mich nach einem Gebäude am Quai, wo im Erdgeschoß die Türe einer langen Stube offen stand, in welcher sich etwa 30 Bettstätten fanden und die von einer vom Gewölb herabhängenden Lampe erhellt war. Ich blickte mit einigem Grauen über diese Betten hin, wählte mir dann das äußerste an der oberen Seitenwand der Stube und hörte nun zum Abschiede von meinem Führer, daß ich hier nur einige bajocchi zu bezahlen hätte, bei Tag mich ohnehin in den Gassen der Stadt amüsieren könnte, und wir uns dann abends wieder in derselben Garküche einfinden würden. Die Strohmatraze und das Kopfkissen von grobem Zwilch und einem Leintuch von selbem Zeuge schreckten mich nicht, wohl aber der Gedanke, wer wohl die vorige Nacht an die ser Stelle geschlafen habe. Die große Ermüdung nach einer so bedeutenden Fußreise ließen mich nicht lange zaudern; ich breitete ein Sacktuch über das Kissen und legte mich nieder. Bald traten Taglöhner, Schiffer, Handwerkergehilfen u.d.g. einer nach dem andern ein, hingen ihre schmutzigen Kleider, einige auch ihre Hemden an die Querstange der eisernen Bettstätten auf und begaben sich schweigend zur Ruhe. In einer solchen Gesellschaft hatte ich noch nie geschlafen – es war doch immer ein betrübender Gedanke, dem ich mich noch lange darauf nicht entwinden konnte!

Am folgenden Morgen erzählte ich dem österreichischen Gesandten Grafen von E(sterházy) mit weinenden Augen meinen in Capua gehabten Unfall und bat ihn in so wehmütigen Tönen, mir recht bald einen entsprechenden Reisepaß zu verschaffen, daß sein früher ganz ernst blickendes Auge freundlich auf mir ruhte, indem er die Gewährung meiner Bitte versprach; ich sollte ihn am nächsten Morgen in seiner Kanzlei abholen. Dann riet er mir noch, mich in Caserta an die Königin zu wenden, die mir gewiß als eine österreichische Prinzessin ein ansehnliches Reisegeld geben würde; allein dazu bezeugte ich keine Lust und sprach nur von der Sehnsucht, bald wieder heimkehren zu können; ich solle denn reisen, sagte er endlich, aber nicht über Rom, da in den pontinischen Sümpfen jetzt (August) die Malaria so sehr herrschte,[17] daß sie höchstens nur die Briefpostwägen des Nachts passieren; ich würde dort sicher, vom Fieber ergriffen, erliegen. Daher lieber wieder die Rückfahrt auf einem Schiff nach Genua machen, von wo aus ich am schnellsten in Tirol zur österreichischen Grenze gelangen könnte. Tags darauf holte ich zeitlich meinen Paß ab, (den ich noch besitze), und zu meiner großen Freude lichtete noch an demselben ein spanisches Kauffahrteischiff gen Genua die Anker. Voll Hast und Eile suchte ich vor allem meinen Freund, den guten Salzburger, auf, der, schon so lange seiner Heimat entfremdet, sich höchlich verwunderte, wie ich mich so sehr freuen könne, in jene kälteren Regionen zurückzukehren. Indessen bewies er es durch die Tat, daß ich mir seine Zuneigung erworben habe; er zog sogleich seinen Sonntagsrock an, verließ für den ganzen Tag die Werkstatt, die ihm zum Broterwerb diente, und ging mit mir, einige Lebensmittel für mich einzukaufen, die am Borde des Schiffes entweder gar nicht, oder nur sehr teuer zu haben gewesen wären und auf die ich in meiner Unerfahrenheit gar nicht gedacht hätte. Zuerst also einen Korb voll frischem Salat; dazu eine Flasche mit Essig und Öl, gleich durcheinander gemengt, welche Speise, wie er sagte, bei der Meeresfahrt das Blut erfrischen würde; dann ein paar Salamiwürste und ein tüchtiges Stück Parmesankäse – warmen Reispilau und gewöhnlichen Wein würde ich ohnehin täglich von dem Schiffspatron um einen wohlfeilen Preis erhalten können. So begleitete er mich abends bis zum Ufer, von dem das genuesische Schiff nicht ferne vor Anker lag, empfahl mich dem dort auf- und abspazierenden Schiffspatron, half alles mir Gehörige in das Boot bringen, das mich nach dem Schiff hinüberschaffen sollte, wünschte eine glückliche Fahrt und Segen für meine ganze Lebenszeit, und da ich ihm zu Tränen gerührt und dankend die Hand reichte, wendete er sich plötzlich von mir ab und ging eilig fort, ohne sich mehr umzusehen – vermutlich die Tränen zu bergen, die an seinen Wangen herabflossen. Sein Andenken ist mir stets teuer geblieben.

Das Schiff löste in der Abenddämmerung die Segel und fuhr in der lieblichsten Nacht auf das weite Meer hinaus. Morgens war ich schon zeitlich auf dem Verdeck oben, sah der schwindenden Küste, den schwindenden Inseln nach, plauderte mit den Matrosen, deren die meisten Italiener waren, und setzte mich dann, als die immer höher steigende Sonne lästig zu werden anfing, in den Schatten des größeren Segels, um in der »Gerusalemme liberata« von Tasso, den ich in einem kleinen Formate stets in der Tasche trug, zu lesen. Nach einiger Zeit bemerkte ich einen jungen Menschen,[18] der etwa um fünf oder sechs Jahre älter war als ich, und gegen welchen ich vom ersten Augenblicke an eine unüberwindliche Abneigung in mir verspürte. Sein Gesicht war von dichten Pockennarben widrig entstellt, sein verschlissener Anzug, der ursprünglich kostspielig sein mochte, feine, obgleich schmutzige Wäsche, ein seidenes Halstuch in Fetzen, ein Rock, an dem manche Knöpfe fehlten, und ein zerdrückter Hut zeigten an ihm einen verlumpten Gesellen an. Er mochte vernommen haben, daß ich ein Deutscher sei, (obgleich in Ungarn geboren, galt ich nur für einen Deutschen, mit dem allgemeinen, für Österreich geltenden Namen »tedesco« bezeichnet) und ließ nun bald seinem Mutwillen freien Lauf. Er saß in einiger Entfernung auf einem im Kreis gelegten Schiffstau zwischen zwei Matrosen mir gegenüber und machte sich über meinen Anzug – vorzüglich über meine blonden Haare, die ich nach damaliger Mode in einen Zopf geflochten und mit einem schwarzseidenen Band umwunden wie einen kurzen Bündel dicht am Nacken trug, unter Hohnlachen und vielen Grimassen lustig. Dann spöttelte er über den Eifer, mit welchem ich in dem Buche las, das ein Andachtsbuch sein muß, weil ich meine Augen so demütig darauf hefte, und dergleichen Späßchen mehr, über welche die beiden Matrosen und auch die anderen, die ihn hörten, tüchtig auflachten. Ich merkte es bald an seiner Aussprache, daß er kein geborener Italiener sei, und ich hatte mich darin nicht getäuscht; denn er war, wie ich später von ihm erfuhr, ein Wiener – eine Ehre, um welche ich ihn beneidet hätte, wenn er ein besserer Sprößling jener lieben Stadt gewesen wäre. Endlich mochte es ihn verdrossen haben, daß ich seiner gar nicht achtete, denn ich tat, als ob ich ihn weder gehört noch gesehen hätte; er sprang auf, ging gravitätisch auf dem Verdeck auf und nieder, und kam mir öfter so nahe, daß seine Füße an die meinen streiften. Ich wendete mich entrüstet gegen ihn, er aber langte keck herab und zog mir das Buch aus den Händen: »O, der Tasso?« sagte er und fuhr lachend fort: »Sein Sie vielleicht gar ein Poet? Das war auch ich, und hab' als Student so schöne Verse gemacht, daß sie sogar dem Kaiser Joseph in die Hände gekommen sind.« – Drauf warf er mir das Buch in den Schoß und ging pfeifend weiter. Den ganzen Tag über trieb er sich auf dem Verdeck mutwillig herum; klemmte den Schweif einer Katze zwischen die Türe, die dann fürchterlich miaute; riß den Matrosen die Mütze vom Haupt, setzte sie auf, oder hing sie auf einer der Segelstangen auf, wofür freilich meistens ein derber Schlag mit der flachen Hand auf seinen Rücken erfolgte, den er aber, in das allgemeine Gelächter einstimmend, mit ein paar unanständigen Grimassen erwiderte. Nur wenn der immer ernsthaft auftretende Padrone, ein hagerer, olivenbrauner Spanier, sich sehen ließ, da wurde er stille, sah mit gewendetem Rücken vom Rand des Schiffes in die Fluten hinab und kehrte nur wieder, wenn[19] dieser in die Kajüte, wo er sich bei Tage meistens aufhielt, hinuntergestiegen war.

Als ich am folgenden Morgen, in trübe Gedanken über Gegenwart und Zukunft versunken, auf dem Verdeck langsam auf und niederging, kam er nach einiger Zeit wieder hinter mir her und ahmte meinen Gang, Haltung und Bewegungen nebst vielen Gestikulationen nach, die ich seitwärts blickend, im Schatten auf dem Boden erkannte. Ich geriet in heftigen Zorn, wandte mich mit geballter Faust gegen ihn und sagte, ich sei der Sohn eines Soldaten, von dem ich gelernt hätte, jedem, der mir etwas anhaben wolle, mutig entgegenzustehen; wenn er noch ferner dergleichen täte wie jetzt, so würde ich ihn an der Brust packen und ihn über Bord werfen. Das wirkte. Er zog sich ganz blaß zurück und stieg nach einiger Zeit in die Kajüte hinunter, wo er auch an dem Tische des Schiffpatrons allein mit ihm speiste, woraus ich schloß, daß für ihn gut bezahlt und er ihm besonders anempfohlen sein mußte, so sehr übrigens sein Anzug das Gegenteil hätte vermuten lassen.

Ich hielt mich in der Stunde des Mittagessens an meine mitgebrachten Viktualien, bekam dazu um weniges Geld von dem Matrosenkoch eine tüchtige Portion gekochten und dicht mit trockenem Käse bestreuten Reisbreis nebst dem gewöhnlichen Schiffszwieback, welchen Brotes Teig zuerst gesotten, im Ofen gebacken und dann in viele Stücke gebrochen nochmal im Ofen getrocknet wird. Es wird so hart, daß man selbes, um es genießen zu können, zuvor in Wasser oder Wein erweichen muß.

Gegen Abend saß ich auf dem breiten Rand des Kajütendaches und sah mit inniger Rührung der untergehenden Sonne nach, die am rosigen Abendhimmel hinabsank und längs dem unendlichen Meer bis zu uns heran eine flammende Straße zog; da nahte mir der mutwillige Wiener, Signor Giacomo, wie sie ihn nannten, setzte sich ganz ruhig, als ob nichts unter uns vorgefallen wäre, an meine Seite und erzählte mir, er sei der Sohn eines gewesenen Hofsilberarbeiters von Wien, den seine zweite Frau, also seine teure Stiefmama, durch schlechte Wirtschaft beinahe an den Bettelstab gebracht, aber auch er im lustigen Leben durch Schuldenmachen ihm seine Fuchsen, wie er die Golddukaten nannte, geläutert habe. Gezwungen, sein vormals reiches Gewerbe aufzugeben, sei er noch nach vielen Mühen so glücklich gewesen, die Stelle eines Kammerheizers bei Hofe zu erlangen, von der ich nicht etwa glauben solle, daß sie etwas Geringes sei, denn der Kammerheizer sei ein Herr, der seine Untergebenen habe, die den Dienst versehen. Anfangs habe ihn sein Vater an der Universität studieren lassen; da es aber mit dem Latein nicht recht vonstatten gehen wollte, so gab er ihn in eine gemischte Warenhandlung, wo es eben geschah, daß er, nachdem er ausgelernt hatte, wegen häufigen Schuldenzahlungen im väterlichen Hause vielen Unfrieden veranlaßte.[20] Vor vier Jahren sei er endlich nach der Stadt Lecce an der äußersten Spitze von Kalabrien abgegangen, um dort nach dem Plane seines Vaters einen sehr reichen Onkel zu beerben. Ein paar Jahre hindurch sei alles recht gut gegangen; es habe zwar auch dort an lustigen Streichen nicht gefehlt; da er aber die Enkelin des Onkels, einen wahren Affen, heiraten sollte, und ihn ein anderes schmuckes Mädchen mehr bei ihr als daheim weilen ließ, so gab ihm der mürrische Alte nach unendlichem Zank und Hader endlich den Abschied und ließ ihn ziehen. Ein Handelsfreund in Neapel habe, angewiesen vom Onkel, für ihn bis Genua bezahlt; von dort würde ein zweiter ihn bis Mailand und dann ein dritter bis Wien spedieren – freilich sehr ökonomisch, wie es von dem Alten nicht anders zu erwarten war. In Wien würde er dann sehen, wo ihm das Glück blühe.

Dies alles brachte er bald ernsthaft und bald ausgelassen lustig vor; sprang dann auf und tanzte das ganze Schiffsverdeck ein paarmal auf und ab, ehe er sich hinab in die Kajüte begab. Die Matrosen sagten lachend: »E un matto! – e un matto!« welches für einen solchen Kautz sehr bezeichnend ist.

Drei Tage hindurch führte unser Fahrzeug ein günstiger Wind dem Ziele immer näher; aber am vierten schlug er nach Westen um, trieb dasselbe von der italienischen Küste gegen Sardinien hin, und plötzlich ertönte um die Mitternachtsstunde ein lautes Angstgeschrei unter den Schiffern: »Gesu Maria – ci piglia – ci piglia!« denn sie bemerkten einen algierischen Korsaren, der auf uns Jagd machte. Ich sprang von der Hangmatte, angezogen, wie ich war, herab, und eilte nach dem Verdeck herauf, wo die Matrosen ratlos, wie sie waren, nur die Hände rangen und jammerten. Besonders betrübt war aber der Padrone anzusehen, der nun sein Schiff mit dem größten Teil seiner Habe verlieren sollte. Ich habe es schon früher und dann im späteren Verlauf meines Lebens an mir bemerkt, daß ich vor der drohenden Gefahr, von Furcht ergriffen, zitterte, in sie aber einmal hineingeraten, mein Mut von Augenblick zu Augenblick sich mehr hob, und ich dann mit vollem Bewußtsein zu handeln im Stande war. So auch hier. Nach dem überwundenen ersten Schreck eilte ich in die Kajüte hinab, wo ich zuvor eine Art Hirschfänger bemerkt hatte, sprang, selben hoch in der Faust erhebend, herauf und rief an diese ratlosen Menschen, ob sie sich denn nicht verteidigen würden? Sie sollten die Schiffshacken ergreifen und die Gegner, wenn sie herüberspringen wollten, durchbohren; sie sollten die Kanonen gegen sie abfeuern! Es waren nämlich an dem Vorderteil des Schiffes links und rechts ein paar solche in den Schiffslöchern zu sehen, deren Mündungen sie seither bei Tage einigemal mit Kalk oder weißer Farbe emsig bestrichen hatten, um sie von weitem sichtbar zu machen und dadurch eine leere Drohung zu bezwecken. Es geschah nichts. Einmal waren die[21] Feinde schon nahe daran, das Schiff zu entern; doch die dunkle Nacht und ein starker Ostwind trennte die beiden Fahrzeuge, und als der Morgen anbrach, waren sie sich schon weit aus dem Gesichte. Der [....] Wiener lief im ersten Augenblick entkleidet und laut ächzend auf das Verdeck hinauf, verlor sich aber gleich wieder, und man fand ihn endlich am Morgen unten, hinter Fässern versteckt, im tiefsten Schlafe. Dies gab dann den Matrosen zu vielen Spöttereien Anlaß; ich aber war bei ihnen im Ansehen sehr gestiegen; sie streichelten mir öfter freundlich die Wangen und sagten dabei: »Il Signor Giovanni ha molto coraggio!« Auch wurde ich von ihnen zu Mittag mit einer tüchtigen Portion leckeren Gerichts von frischen Aalfischen regaliert, die sie unter Weges gefangen und mit Zwiebeln und Paradiesäpfeln in einer Casserolle gekocht hatten. – Ganz unbefangen fand sich am Abend der Signor Giacomo bei uns auf dem Verdecke ein und nach mehreren lügenhaften Aufschneidereien erzählte er ganz ernsthaft, er sei vor ungefähr einem Jahre auf einem von Lecce nach Messina fahrenden Schiffe seines Onkels von algierischen Korsaren wirklich gekapert und in einem Städtchen unweit Algier an einen sarazenischen Kaufmann, dessen Haus nahe an der Stadtmauer von innen lag, als Sklave verkauft worden. Von überstandener harter Behandlung, wie er unter anderem neben einem Ochsen vor den Pflug gespannt, das Feld habe pflügen müssen u.d.g. mehr, wußte er viel zu sagen. Nach einigen Monaten sei er endlich durch einen Kapuzinerpater, der mit einem spanischen Handelsschiffe angekommen in der Abendstunde am Ufer betend auf und abging, und dem er weinend zu Füßen fiel, in der Mitternachtsstunde, wo die meisten Schiffleute vor der Abfahrt sich noch in einer Schenke der Stadt gütlich taten, unter Kisten und Ballen versteckt gerettet worden, nachdem er durch eine Kloake unter der Stadtmauer sich hervorgearbeitet hatte. Noch unter Weges sei er in der Gefahr gewesen, von dem Kapitän des Schiffes umgebracht zu werden, der sich daheim wegen der Klage und Strafe, einen Christensklaven heimlich entführt zu haben, fürchtete. Nur der Kapuziner sei auch da als sein Retter aufgetreten.

Dies war ungefähr der Inhalt des mit vielen Späßchen vermengten Märchens. Der Padrone, der einigemal vor uns ganz ernsthaft auf und abgehend selbes vernommen hatte, wandte sich mit schmunzelnden Blicken zu mir und sagte halbleise: »Non c'è vero niente – è un bugiardo.« »Es ist kein wahres Wort daran – er ist ein Lügner.« Das war er wirklich – ein lebendiger Typus der Lügenhaftigkeit bei der besten Laune!

Am Abend des sechsten Tages, als das Schiff in weiter Ferne dem Hafen von Livorno vorbeigekommen war, brach aus Süden ein fürchterlicher Gewittersturm, wie ihn die Matrosen seit vielen[22] Jahren nicht erlebt zu haben versicherten, auf selbes heran. Schon früher wurde ich an diesen eine auffallende Unruhe gewahr. Die älteren von ihnen legten sich am Rande des Schiffes öfters nieder und sahen stundenlang in die Wellen hinunter, in welchen ein häufiges Aufperlen des Wassers das Nahen eines Sturmes lange vorher verkünden soll. Endlich zogen sie alle leichteren Segel ein, und erhöhten nur ein einziges, von stärkstem Faden gewebtes an dem mittleren Maste, welches der Gewalt des Sturmes zu widerstehen und im selben leichter zu regieren war. Auch sah ich sie heute zur Stunde des Ave Maria, zu welcher wir täglich abends sieben Uhr auf dem Verdeck uns versammelten und dem Schiffspatron knieend die lauretanische Litanei nachsangen, mit erhöhtem Eifer erscheinen. Nach vollendetem Gebete sah ich unverwandt nach Süden hinab, von wo eine schwarze Wolkenmasse immer schneller an dem Abendhimmel heraufzog. Das Murren des Donners war stets häufiger zu hören und rotglühende Blitze zuckten hie und da aus den Wolken; heftig rauschte es auf; endlich hob sich in der Ferne die grünliche Flut wie ein breiter Wall empor, während weit um das Schiff herum sie noch ruhig ergossen schien; doch endlich und endlich hatte uns der brausende Sturm erreicht, das Meer wogte allwärts fürchterlich vor ihm auf, und nächtliches Dunkel hatte den dämmernden Abend verschlungen. Es gibt kein größeres, furchtbareres Schauspiel, als solch ein Sturm auf dem Meere! Ich hielt mich innen mit beiden Händen fest an der Kajütentüre und sah im lauten Donnergebrüll, im Brausen der von den Blitzen erleuchteten Wogen, die sich bald himmelan erhoben, bald in den Abgrund zu versinken schienen und bald links, bald rechts sich über das Verdeck des Schiffes ergossen, im Geprassel des strömenden Regens und im wilden Zuruf der hie und da beschäftigten Matrosen in all die Schrecken begierig hinaus, bis ein darüber erzürnter Schiffsjunge die Türe zuwarf und draußen eine Kiste vor dieselbe zog. Nachdem mich später ein heftiger Wogensturz aus meiner Hängematte auf den Boden hinabgeworfen hatte, blieb ich daselbst liegen und schlief dann fest bis zum frühen Morgen fort. Gegen acht Uhr vormittags fuhr das von dem Sturm in gerader Richtung zum Ziel gejagte Schiff in den Hafen von Genua ein, wo das Wasser in spiegelglatter Fläche sich ergoß, während draußen auf dem offenen Meere nach dem langverhallten Sturm die Flut noch rastlos auf und nieder wogte. Schrecklich war für mich der Anblick, in der Seitenwand des Hafens gegen den Leuchtturm hin gefangene Korsaren in Ketten hinter eisernen Gittern in engen Höhlen gleich wilden Tieren liegen zu sehen, und dachte mir, die in Algier oder Tunis gefangengehaltenen Christensklaven dürften kaum ein härteres Schicksal als diese Unglücklichen erfahren. Obschon der Schiffslohn von Neapel bis Genua nur 30 Carlini, ungefähr 10 F.C.M. betrug, so ward doch meine Börse dadurch[23] sehr verringert, und ich sah auf die lange Strecke, die jetzt vor mir lag, mit tiefer Besorgnis hin.

Nur wenige Stunden hielt ich mich in der herrlich gelegenen Stadt Genua auf und ging denselben Tag zu Fuß noch bis Campo Marone. Dort besah ich im Vorübergehen nur die große Börsehalle, von außen den vormaligen Palast des Andreas Doria und auf den Rat meines Führers ein großes Hospital, in welchem Nonnen, wahrscheinlich Elisabetherinnen, die Krankenpflege übten. Eine bewundernswürdige Stille und Reinlichkeit herrschte in den weiten Sälen, und die freundlichen Nonnen hatten eine Freude daran, mich durch selbe zu führen.

Von Campomorone zog ich mit einer Schar von Maultiertreibern, welche Waren auf selbe geladen und auf eines derselben auch meinen kleinen Reisebündel aufgelegt hatten, über Alessandria und Novara bei einer unerträglichen Hitze und von Wolken Staubs umgeben bis Arona am Lago Maggiore, wo wir spät abends ankamen, fort. Am zweiten Tag unserer Hinreise sah ich, vor einem Gasthofe sitzend, wo jene Rast hielten und die Lasttiere fütterten, erstaunt den mutwilligen Wiener, Sigr Giacomo, wie er seither hieß, auf einem schlechten zweirädrigen Kabriolett, vor welchem ein dürrer Gaul gespannt war, daherkommen. Ich senkte mein Haupt weit vorwärts und hoffte, von ihm nicht erkannt zu werden; er aber sprang eilig an mich heran, bezeugte große Freude, mich zu treffen, und lud mich ein, mit ihm bis Mailand zu fahren, da wir in dem Kabriolett, eng aneinander gepreßt, beide Platz finden würden. Ich lehnte diesen Antrag mit der Erklärung ab, daß ich in meinen dürftigen Umständen den kürzesten Weg nach Wien über Chur und Graubünden, über Lindau und Ulm, wo die Fahrt auf der Donau hinab mein größter Trost sei, wählen müsse, und zeigte ihm diese Strecke auf der damals üblichen Homann'schen Karte, die ich bei mir hatte. Nun meinte er, müßten wir doch zusammen speisen, ehe wir uns vielleicht auf immer trennten. Da ich seit ein paar Tagen meinen Hunger nur mit etwas Reisbrei, trockenem Brot, und einem Stückchen von jenem Käse, welchen mir der gute neapolitanische Freund besorgte, gestillt hatte, so war mir seine vermeintliche Einladung nicht unwillkommen. Man tischte uns auf sein Geheiß einige Gerichte auf, unter welchen aber eine Schüssel mit gebackenen Fröschen war, die ich von Kindheit auf verabscheute, und die mir nun alle Eßlust benahmen. Er lachte, stichelte und log indessen in einem fort und da er sich nach dem Speisen entfernte, so schlief ich vor Ermüdung und drückender Hitze, mein Haupt auf beide Arme auf den Tisch legend, ein. Als mich nun die Maultiertreiber zur Weiterreise weckten, und ich ihnen folgen wollte, vertrat mir der Gastwirt den Weg und sagte, jener Herr, mit dem ich heute zu Mittag gespeist, und vor anderthalb Stunden fortgefahren wäre, hätte ihn wegen der Bezahlung des[24] Essens an mich gewiesen. All mein Protestieren half nichts, und es halfen die Tränen nichts, die mir dieser schändliche Betrug auspreßte, und ich mußte von den zwei bayrischen Talern, die ich noch hatte, den einen zurücklassen, da sich Herr Giacomo auch am süßen Wein gütlich getan hatte!

Nicht fern von Arona, als schon Abenddunkel auf dem flachen Lande lag, sah ich zum ersten Mal hoch in der Luft drüben die eisigen Gletscherspitzen im Rosenlichte glühen und konnte mir dies herrliche Schauspiel nicht gleich erklären, obschon ich früher davon in Meiners Briefen über die Schweiz gelesen hatte.

Endlich langten wir in dem Städtchen Arona, das an der äußersten südwestlichen Spitze des Sees liegt und wegen der über ihm errichteten kolossalen Statue des hl. Karl Borromäus von Reisenden häufig besucht wird, an. In dem Gasthofe, nahe an dem kleinen Hafen des Sees, den ich aber in der Dunkelheit nicht ersehen konnte, erkundigte ich mich, ob nicht am folgenden Morgen ein Schiff nach Locarno gegen Bellinzona hin abfahren und mich aufnehmen würde. Da hieß es, eine piemontesische Dame, die für sich und ihr Gefolge ein eigenes Schiffchen gemietet hatte, wolle ein paar Stunden vor Mitternacht aufbrechen, die Fahrt durch die Nacht und den folgenden Tag mittels der Ruderer fortsetzen, um dann am Abend eine Stunde oberhalb Locarno bei ihrem Landsitz anzukommen. Für mich würde es nicht leicht möglich sein, in dem Schiffe aufgenommen zu werden, da mein Paß so spät in der Nacht nicht das Viso des Kommandanten erhalten könnte. Indes – so flüsterte der Aufwärter mir in das Ohr – würde es wohl dennoch angehen, wenn ich dem wachhabenden (piemontesischen) Offizier, der drinnen im Speisezimmer sich mit einigen Bekannten vergnüge, bei dem Aufbruch ein tüchtiges Stück Geldes in die Hand drücken würde, und eilte zurück in jenes Zimmer. »Ich und ein Geschenk geben!« so stammelte ich leise für mich hin, legte meinen Reisebündel auf die steinerne Bank, die sich vor dem Hause fand, und streckte mich darauf aus, um die Nacht dort unter freiem Himmel zuzubringen! Kaum mochte ich so eine halbe Stunde im Gefühl meiner hilflosen Lage gelegen sein, so ging die Türe des Hauses auf, Lichter erschienen, die Schiffsleute riefen zum Aufbruch, und der Offizier führte bloßen Hauptes die Dame, der ihr Onkel und Dienerschaft folgte, nach dem Schiffe hinab. Auf das erste Zeichen des Aufbruchs erhob ich mich von der Bank, faßte meinen Bündel unter den Arm, und schritt tollen Mutes den Abgehenden nach; der Offizier packte mich am Arm und wollte mich zurückhalten; ich aber drückte ihm das letzte Stück Geldes, was ich noch hatte, den bayer(ischen) Taler, in die Hand, sprang in das Schiff hinein und legte mich sogleich auf die dort befindlichen Segeltücher nieder. Die Schiffer stießen vom Land, und bald lag ich in tiefem Schlafe, aus welchem mich erst[25] die Strahlen der aufgehenden Sonne weckten. Im ersten Augenblick den endlos hin ergossenen See und links und rechts die hochaufragenden Berge schauend, glaubte ich schon, jenseits zu einem neuen Leben erwacht zu sein; doch ließ die Gegenwart mich bald ihre bittre Wirklichkeit fühlen! Als gegen Mittag die ganze Gesellschaft, die mich, den zurückgezogenen, düster Schweigenden, gar nicht beachtete, ausstieg, um sich in einem am Ufer liegenden Gasthof mit Speise und Trank zu erquicken, saß ich draußen auf einem Felsriff allein und starrte in die Wellen des Sees hinab – meine Lage grenzte beinahe an Verzweiflung! Bald weckte mich der Ruf der Schiffer aus meinen trüben Gedanken; sie ruderten weiter, bis die Dame mit den Ihren vor ihrem Bergschloß ausstieg, und sie gegen Abend vor dem Städtchen Locarno landeten. Mit beklommener Brust gestand ich ihnen endlich, daß ich kein Geld habe, ihnen den Fahrlohn zu bezahlen, und bot ihnen aus meinem Bündel einige Stücke Wäsche hin, aus welcher sie sich das Gebührende zueignen möchten. Sie nahmen aber nur eines, ein weißes Sacktuch, an und zahlten mir noch beinahe die Hälfte des Wertes aus. Mit erleichtertem Herzen, als ob mir jemand einen großen Schatz geschenkt hätte, kam ich denselben Tag noch bis Bellinzona und den folgenden bis an den Fuß des Kleinen Bernhardsberges. Von der langanhaltenden Wanderung zu Fuß sind mir die Fersen und Sohlen wundgeworden; ich zog öfter aber des Tages meine Fußbekleidung aus und hielt die Füße in die vorüberfließenden Bäche, wodurch ich wieder in Stand gesetzt ward weiter zu gehen. In der letzteren Herberge, einer Dorfschenke, wies man mir die Schlafstätte in einem Dachstübchen zu. Kaum hatte ich mich auf das Bett, eigentlich einen rußigen Strohsack gelegt, so liefen einige Mäuse, gegen welche ich ebenfalls von Jugend auf einen großen Abscheu hatte, über mich hin; ich sprang auf und setzte mich vor die Türe des Stübchens, zu welchem vom Hofraum eine offene Treppe hinaufführte, um dort, wenn auch schlaflos, die Nacht zuzubringen; allein man bemerkte mich, und es wurde mir darauf in einer Scheune auf frischeingebrachtem Heu eine Schlafstätte angewiesen, infolge dessen ich den nächsten Tag über an heftigen Kopfschmerzen litt, denn ich müsse mich, sagte der Hauswirt, durch Ruhe und Schlaf zur Weiterreise stärken, indem ich einen hohen und steilen Berg zu besteigen hätte. Dieser war der Kleine Bernhardsberg, St. Bernardino, auf dessen höchster Ebene ein Hospiz zum Besten der Reisenden von Bernhardinern, d.i. Cisterziensern, besorgt, sich befand. Noch hatte ich damals auch nicht die entfernteste Idee davon, daß diese bald meine Ordensbrüder sein würden, und überhaupt so wenig Kenntnis von dem Klosterstande und den Obliegenheiten insbesondere dieses einsam gelegenen Ordenshauses, daß es mir gar nicht beifiel, um die Mittagsstunde wegen einer gewiß mit Freundlichkeit gereichten Labung dort[26] einzusprechen. Ich setzte mich in einiger Entfernung von den Klostermauern unter einen schattigen Baum nieder; löschte erst an einer nahen Quelle mir den Durst und stillte meinen Hunger wieder mit schwarzem Brote und dem Überreste des trockenen Käses, den ich noch von Neapel mitgenommen hatte. Zu jener Zeit führte noch keine Fahrstraße über den Kleinen Bernhardsberg, sondern der sogenannte Mailänder Bote, etwa auch jene von Turin und Genua führten die Passagiere bis an den Fuß des Berges, dort blieben die Wägen stehen, und Menschen und Waren wurden auf Saumtieren wieder jenseits bis an den Fuß des Berges nach dem Orte Rheinwald und Splügen geschafft, wo andre Wägen bereit standen, sie über Chur bis an den Bodensee zu befördern.

Im Hinabsteigen bewirtete mich ein Alpenhirt (Sente) in seiner Hütte mit frischer Milch, Käse und Butter reichlich und trug mir Grüße an meine Eltern auf, denen ich erzählen sollte, wie freundlich er mich bewirtet hätte; gewiß war er ein guter Sohn, da er durch meine Äußerung gerührt ward, wie sehr ich mich freue, jene wiederzusehen. Erst spät in der Abenddämmerung gelangte ich an den Fuß des Berges und war an Kräften so erschöpft, daß ich bis zu dem naheliegenden Dorfe Rheinwald statt weniger Minuten über eine volle Stunde mich mühsam vorwärts schleppend zubrachte. Groß war meine Freude, als ich mich in diesem äußersten Winkel Graubündens nach mehreren Monaten wieder unter deutschen Bewohnern befand und allgemein deutsch sprechen hörte. Nach zwei Tagemärschen kam ich über Splügen und Thusis nach Chur. In Thusis sprang ein freundlicher Bürger an mich heran und fragte mich, ob der Mailänder Bote bald nachkommen würde? Ich konnte ihm keinen Bescheid geben. Drauf maß er mich lange mit den Augen und sagte kopfschüttelnd, ich würde wohl nicht immer so mühsam zu Fuß gereist sein, ich solle mich daher in Chur bei dem Weißen Kreuz angelangt an jenen wenden, und er, ein Mann von bestem Herzen, würde mich dann gewiß bis an den Bodensee ohne Entgelt mitnehmen. So geschah es denn auch. Da aber der Postwagen ganz mit Reisenden besetzt war, so wurde mir auf dem nachfolgenden Frachtwagen neben dem Fuhrknecht, einem jungen, heiteren, gutmütigen Schwaben, ein Platz angewiesen, immer noch eine große Wohltat für mich, der ich von der langen Wanderung zu Fuß und Notleiden sehr erschöpft war. Mein geringer Vorrat an Gelde, den ich mir wieder durch Überlassung eines Teils meiner Wäsche an den Besitzer jener Schenke jenseits des St. Bernhardins ermittelt hatte, war wieder zu Ende. Ich brachte die Mittagsstunde, während welcher die Pferde abgefüttert wurden, zu Feldkirch im Vorarlberg vor dem[27] Gasthofe sitzend und hungernd zu. Mein guter Vater hatte mir vor meiner Reise nach Italien in der Stunde der Trennung eine Sackuhr mit einem silbernen Gehäuse zum Geschenk gemacht. Sorgfältig verbarg ich diese an mir und wollte mich um keinen Preis davon trennen. Nun in dieser unglücklichen Lage zuckte meine Rechte nach ihr; ich sprang ergrimmt auf und ging mit verdunkelten Augen rasch nach dem Marktplatz des Städtchens hinein, sah nach allen Seiten herum, um etwa den rechten Käufer für mein letztes, an sich geringes, aber mir so teures Eigentum zu finden. Endlich hielt ich vor dem Fenster eines Bäckers, an welchem Brotgebäck von jeder Gattung aufgeschichtet war, still und sah mit starren Blicken nach der Stube hinein, bis mich der herangetretene Hausherr selbst mit rauher Stimme fragte, was ich wünsche. Meine Hand zog an der Sackuhr, sie entfiel ihr wieder! Meine Augen hafteten gierig an all dem Brote; ich zweifle nicht, hätte ich nur ein Wort gesprochen, und der dickleibige Mann da innen würde mir freudig ein tüchtiges Stück davon gereicht haben; doch betteln? Nein! Ich ging eilig wieder nach dem Gasthof zurück, wo eben alles zum Aufbruch bereitet war. Der Fuhrknecht fragte mich bei der Weiterfahrt, wo ich denn zu Mittag gegessen hätte. Ich zuckte die Achseln und sagte ihm kurz meine Lage; er aber gab mir seine Mißbilligung, daß ich davon nicht früher gesprochen hätte, durch einige abgebrochene Worte kund und bestellte für mich und sich in der nächsten Herberge ein reichliches Nachtessen. Noch gedenke ich dessen mit Rührung, wie er mit entblößtem Haupt und schüchtern in der Trinkstube neben mir zu Tische saß und sich mit solcher Ehrerbietung benahm, als ob er wäre von mir zu Tische geladen worden. Auch berichtigte er unaufgefordert für mich den Schifferlohn von Rorschach nach Lindau hinüber, steckte mir mit Gewalt einen Kronentaler in die Westentasche, und wir weinten beide, als wir uns zum Abschied die Hände reichten. Ihr guten, guten Menschen! Du guter Handwerkergeselle von Salzburg in Neapel! Du guter schwäbischer Fuhrknecht; du guter, alter Schiffspatron von Chioggia! Nie werde ich aufhören, euch den innigsten Dank meines Herzens zu weihen!

Von Lindau führte mich mein Weg über Ravensburg und Biberach, wo ich mir das Haus, in welchem Wieland geboren ward, zeigen ließ, nach dem langersehnten Ziele meiner Fußreise – nach Ulm. Zu meinem großen Glücke kam ich dort nur um eine Stunde früher an, als das wöchentlich einmal nach Wien abfahrende Ordinarischiff, wie sie es nannten, vom Ufer stieß. Sowohl in Hinsicht des Schifflohns, als auch der während der Reise nötigen Verköstigung traf ich mit dem Eigentümer desselben die Verabredung, daß er in Wien von einem meiner Bekannten die Bezahlung erhalten sollte, was dann auch erfolgte. Nun bestieg ich mit frohem Herzen das Verdeck, denn es war mir, als ob ich mich schon unter[28] den Meinen befunden hätte, blickte im Geiste noch einmal die ganze lange Strecke bis nach Genua hin, die ich größten Teils zu Fuß unter Erduldung so mancher Not und Beschwerde zurückgelegt hatte, und dankte dem Himmel für die Kraft und den Mut, der mich dabei aufrecht erhalten hat! Zehn Tage währte die Fahrt von Ulm bis nach Wien, während welcher wir bei Günzburg, Donauwörth, Ingolstadt, Regensburg, Passau u.s.w. gelandet und übernachtet hatten, und meine Ankunft erfolgte daselbst zu Anfang des Monats September. Ich war nicht wenig erstaunt, daß mich ein paar Bekannte, die ich dort vor einem halben Jahre verließ, wegen meiner gebräunten Gesichtsfarbe und sonstigem üblem Aussehen nicht gleich erkennen konnten. Nur auf vierzehn Tage verfügte ich mich zu meinen Eltern nach Ungarn, die mich mit der größten Freude aufnahmen, und kehrte dann nach Wien in der Absicht zurück, um in dem Dragonerregimente des Generalen Nostiz, der mir mit Bezeugung besonderen Wohlgefallens bereits eine Kadettenstelle in demselben zugesagt hatte, meine langersehnte Laufbahn zu beginnen. Allein die Vorsehung wollte es anders! Ich erhielt von dem Generalen die Weisung, mich zu dem Depot des Regiments nach Ungarn zurückzubegeben, um dort assentiert zu werden. Da mir dies durchaus nicht zusagte, so begab ich mich betrübt zu einem Wiener Bekannten, Herrn Raphael, Beamten im Geheimen Zahlamte des Kaisers, den ich früher in Ofen kennen gelernt hatte. Und dieser Mann war es, der meinem vorgehabten Lebenslaufe eine ganz andere Richtung gab. Er erzählte mir nämlich, daß er, von Geburt ein Böhme, früher in das Cisterzienserstift Hohenfurt im Königreiche Böhmen als Mitglied aufgenommen, allein durch die Aufhebung jenes Klosters unter Joseph II. wieder gezwungen worden sei, in den Laienstand zurückzutreten, und noch bedaure er es, daß er gegen seinen Willen in seinem Berufe gestört wurde. Er riet mir daher, daß ich mich jetzt, wo nach dem geendeten Türkenkriege kein anderer, folglich auch kein Avancement zu hoffen sei, (er ahnte nicht, daß bald ein weit furchtbarerer, vieljähriger Kampf für Österreich beginnen sollte!) nicht dem Soldatenstande, sondern bei meiner ihm bekannten Neigung zur Literatur lieber dem geistlichen, und zwar dem klösterlichen widmen solle; beschrieb mir die anmutige Lage des Cisterzienserstiftes Lilienfeld in Unterösterreich und versprach mir, ein Empfehlungsschreiben an den sehr humanen Abten desselben mitzugeben. Dieser Rat kostete mich eine schwere, schlaflose Nacht und darauf noch einige derselben. So einladend die Aussicht war, meinen Stand auf diese leichte und anständige Art zu fixieren, so wollte ich doch nicht leichtsinnig zu Werke gehen, sondern mich und jenen während der drei Wochen, die ich noch in Wien zubrachte, sorgfältig prüfen und mich durch einen weisen und frommen Priester, als welchen man mir den Prior des Benediktinerstiftes zu den[29] Schotten rühmte, beraten zu lassen. Ich besuchte daher selbes wiederholt und ich muß gestehen, daß ich mich davon nichts weniger als angezogen fühlte. Damals bestand noch das alte Konvent, das Gebäude, wo die Stiftgeistlichen, außer der Prälatur, unter Klausur wohnen, mit seinen finsteren Gängen; sowohl diese, als auch die strengen Forderungen, die der gute alte Prior an mich, der ich von dem Klosterstande keinen rechten Begriff hatte, machte, schreckten mich zurück; auch wollte mir die Lage eines Klosters in der Hauptstadt nicht recht gefallen; ich dachte sie mir geeigneter draußen auf einsamen Höhen oder in den waldigen Tälern. Herr Raphael riet mir, mich nach der Ankunft des Prälaten von Lilienfeld, der damals in Wien erwartet wurde, in dem sogenannten Lilienfelderhofe, einem palastähnlichen Zinshaus des Stiftes in der Weihburggasse, öfter zu erkundigen. Jede Woche fragte ich bei dem Inspektor des Hauses an; allein immer hieß es: »Er sei noch nicht angekommen, werde aber stündlich erwartet.« Nun wollte ich mich wie durch das Los bestimmen lassen. »Heute«, dachte ich mir, »gehst du das letzte Mal hin, dich zu erkundigen; ist der Erwartete noch nicht angekommen, so sei es dir ein Zeichen, daß du von deinem Vorhaben abstehen und in Hinsicht der Standeswahl deiner früheren Neigung folgen sollest.« Nahe vor dem Tor des Lilienfelderhofes kam mir der einstige Signor Giacomo, nun in seine Vaterstadt zurückgekehrt, Herr Jakob S+ + +, auf allerlei Erwerb sinnen der, lustiger Taugenichts, laut lachend und gestikulierend entgegen. Bald nachdem ich den Rat erhielt, ein Mitglied des Stiftes Lilienfeld zu werden, traf ich ihn das erste Mal in der Hauptallee des Schönbrunner Schloßgartens. Er lief auf mich in größter Heiterkeit zu und tat so bekannt und unbefangen, als ob es zwischen uns nichts abzurechnen gäbe, ja er versicherte sogar, er habe wegen des nichtbezahlten Mittagessens auf der Straße nach Mailand nur einen Spaß vorgehabt, und er hoffe, mir noch einst einen tüchtigen Dienst erweisen zu können. Ich war eben über die projektierte neue Standeswahl sehr ernst gestimmt und wollte ihm kein Gehör geben; doch als er mich wiederholt über die Ursache meiner üblen Laune befragte, so eröffnete ich ihm ganz kurz, in welcher Absicht ich dieser Tage in den Lilienfelderhof gehen würde. Er klatschte freudig in die Hände und sagte, der Rat sei köstlich. Der Inspektor jenes Hofes sei ein Freund seines Vaters und sein Taufpate, er würde mich bestens bei ihm empfehlen. Ich hielt dies und alles, was aus seinem Munde kam, für eine bare Lüge und eilte weiter. Als er mir jetzt auf meinem vermeintlich letzten Gange in jenen[30] Hof begegnete, rief er mir im Vorübergehen nach seiner gewohnten Manier lachend zu, er habe sein Versprechen gehalten, hoffe alles Gute und wünsche mir eine glückliche Reise. Ohne ihm zu antworten, trat ich mit beklommener Brust in den Torweg des Lilienfelderhofes ein. Seit diesem Augenblick habe ich ihn nicht wieder gesehen; er soll nach Kalabrien zurückgekehrt und nicht wieder zum Vorschein gekommen sein; auch sein Vater war bereits gestorben ... so viel hörte ich, als ich mich nach vielen Jahren bei den Hofleuten nach ihm erkundigte. Dieser Mensch trat mir auf meinem Lebenswege wie ein neckender, böser Dämon entgegen. Nicht nur, daß mir seine Physiognomie, sein Reden und Treiben von dem ersten Augenblicke unseres Zusammentreffens höchst zuwider war, so sollten die Folgen desselben, wie man gleich hören wird, auch noch lange in der Zukunft öfters peinigend für mich werden, indem er in Bezug auf jene Meeresfahrt meiner Jugendzeit einen sonderbaren Anstrich gab.

Der Inspektor des Lilienfelderhofes und zugleich Beamter der landständischen Kanzlei von stattlicher, wohlbeleibter Gestalt, heller Stirne und überaus freundlichen Augen hatte mich jedes Mal sehr wohlwollend empfangen und bedauerte stets, mir noch keine befriedigendere Auskunft geben zu können. Als ich ihm jetzt eröffnete, warum ich eigentlich wegen der Ankunft des Herrn Prälaten öfters Nachfrage getan habe, sagte er mir lächelnd, dies sei ihm besonders seit einigen Tagen kein Geheimnis mehr gewesen, da mein Reisegefährte auf dem mittelländischen Meere und durch die Lombardei es ihm entdeckt und auch noch etwas höchst Merkwürdiges von mir mitgeteilt hätte. Ich machte große Augen und sah ihn lange verwundert an. »Nun, nun«, fuhr er weiter fort »ich weiß wohl, daß Sie nicht gerne davon sprechen hören, das sagte mir der Lumpazius auch; aber im Grunde gereicht es Ihnen ja zu keiner Schande; im Gegenteil ist es für Sie nur empfehlend. Ich habe auch vorläufig den Herrn Prälaten in Kenntnis davon gesetzt, der indessen, von mir informiert, Sie darüber nicht leicht angehen wird, wenn Sie nicht selber davon sprechen wollen.« Als er dieses vorbrachte, trat seine Gemahlin mit seinen beiden Söhnen, 13- und 14-jährigen Knaben, aus dem Nebenzimmer, stellten sich seitwärts und sahen mich, ohne ein Wort zu sagen, neugierig an. Meine Verlegenheit wurde immer größer. Als diese sich auf seinen Wink entfernt hatten, ergriff er meine Hand und erzählte mir die Geschichte von meiner Gefangenschaft in Algier von Wort zu Wort so, wie sie Signor Giacomo erdichtet, dann zuerst auf sich und jetzt auf mich angewendet hatte. »Es ist alles rein erlogen!« – rief ich aus, stand lange verstört und stumm da und fing zuletzt zu weinen an. Der Inspektor streichelte mir mit den Worten die Wangen: »Wie kindisch, sich über so etwas zu grämen!« Er wußte nicht, daß mich nicht die Erinnerung meiner nie erlebten Gefangenschaft,[31] sondern die mir unbegreiflichen Quälereien dieses Menschen, den ich oben den lebendigen Typus der Lügenhaftigkeit nannte, so schmerzlich ergriffen hatten!

Es trat ein Herr in das Zimmer ein, und der Inspektor schrie freudig auf: »Welch ein glücklicher Zufall! Herr Alt, Lehrer und Musikdirektor der Knabenschule in Lilienfeld, kömmt eben von dort und wird Sie mit Freuden dahin mitnehmen.« Seine Abreise erfolgte schon am folgenden Tage nachmittag; er bestellte mich hinaus nach Hietzing nächst Schönbrunn; wir fuhren die ganze Nacht durch und kamen am 8-ten Oktober, an einem Sonntag, vormittag in dem Stifte Lilienfeld an. Dieses Stift (Cisterzienserkloster) zehn Stunden von Wien und drei von der an der sogenannten Reichsstraße liegenden Stadt St. Pölten entfernt liegt an dem Fuße der Alpen, in einem ungemein reizenden Gebirgstal, welches der nicht unbeträchtliche Traisenfluß mit lautem Geräusche durchströmt. Bei Erblickung desselben erhoben sich vor mir all die Ideale meiner frühesten Jugend, die mir dort nach den vielfältigen Schilderungen von dem tirolischen Gebirgsland einen solchen Aufenthalt so wünschenswert erscheinen ließen. Dennoch war meine Brust sehr beklommen. Ich dachte meines erst jüngst gefaßten, schnellen Entschlusses, einer dunklen, verhängnisvollen Zukunft und vieler, noch nicht recht gekannter, vielleicht schwer zu erfüllender Pflichten mit bangem Herzen, und das im Sonnenlichte strahlende Kreuz des Turmes, das mir mit der hohen Kirche und all den freundlichen Stiftsgebäuden von ferne entgegenwinkte, stimmte meine vorige Heiterkeit, in welche mich mein Reisegefährte zu versetzen wußte, in tiefen Ernst um; ich konnte ihm auf seine häufigen Fragen nichts Rechtes mehr antworten. Meine ernste Stimmung wurde noch drückender, als er mich durch die große, herrliche Stiftskirche von echt gotischem Bau, durch die hochgewölbten Kreuzgänge und durch das sogenannte Schlafhaus (Dormitorium), einem achtzig Schritt langen, durch doppelte Säulenreihen getragenen gotischen Saal, der nach der Errichtung des Klosters im J. 1202 durch den Herzog Leopold dem Glorreichen den Brüdern zur Wohn- und Schlafstätte diente, in das Refektorium führte, denn die Stunde des Mittagessens war indessen herangekommen. Der Herr Prälat wollte mich erst nach Tische in der Prälatur empfangen. Als ich vor ihn trat, hielt er den Brief meines Freundes Raphael in der Hand und sah mich einigemal während des Durchlesens desselben freundlich an; dann wies er mich an den Stiftsprior und Novizenmeister und entließ mich mit einigen günstigen Äußerungen. Der algierischen Sklaverei erwähnte er nicht, wofür ich ihm tiefen Dank im Herzen wußte! Desto mehr wußte aber der P. Novizenmeister darüber zu reden und zu fragen, obschon er die Erklärung, er wisse gar wohl, daß ich nicht gerne davon sprechen wolle, gleich anfangs vorausgeschickt hatte. Bei[32] jedesmaligem Ablehnen der ganzen Geschichte von meiner Seite lächelte er nur ungläubig, bis ich ihm in der Folge aus meinen Zeugnissen bewies, daß ich erst im Monat März von der Statthalterei in Ofen meinen Abschied erhalten, der vom Minister Acton in Neapel ausgestellte Reisepaß, den ich noch in Händen habe, vom 1-sten Juli datiert war, und somit es schon nach dem materiellen Ablauf der Zeit eine Unmöglichkeit war, die algierische Gefangenschaft bestanden zu haben. Was weiter in dieser Hinsicht geschah, werde ich tiefer unten erzählen. Schon nach zehn Tagen, deren drei letzten einer ernsten Geistesversammlung, den sogenannten Exerzitien gewidmet waren, nämlich am 18-ten Oktober 1792, wurde ich unter dem Namen Ladislaus als Mitglied des Stiftes eingekleidet.

Ich muß zur Steuer der Wahrheit bekennen, daß dieser Signor Giacomo, nun Jakob S+ + +, mir wirklich, wie er sich dessen hier rühmte, gegen seine Absicht einen nicht unwichtigen Dienst geleistet habe. Weit entfernt von der Idee, in den geistlichen, vielweniger in den Klosterstand zu treten, war ich weder mit dem Taufschein, noch mit den nötigen Schulzeugnissen aus der Philosophie, ohne welchen im vorschriftmäßigen Laufe der Dinge die Aufnahme gar nicht stattfinden darf, nach Lilienfeld gekommen, und als mich zu meiner großen Bestürzung der alte Novizenmeister darum befragte, so brachte ich ihm in größter Verlegenheit die Entschuldigung vor, daß mich Herr Raphael, ein Bekannter des Herrn Prälaten, erst kürzlich für das Klosterleben disponiert habe, und ich der erforderlichen Zeugnisse früher gar nicht gedenken konnte, daß ich sie aber, wie der Erfolg bewies, in einigen Wochen von zu Hause zu erhalten gewiß sein könne. Die vorgebliche algierische Gefangenschaft hatte den guten alten Mann so fasziniert, daß er darauf einging, und ich schon nach acht Tagen die wirkliche Aufnahme im Stifte fand! Das hätte der ernste Prior bei den Schotten gewiß nicht gelten lassen. Nach Wien zurückgekehrt, ohne die beabsichtigte Aufnahme in dem Stifte gefunden zu haben, hätte ich den Plan, in den geistlichen Stand treten zu wollen, für immer aufgegeben, und meine Laufbahn wäre dann eine andere gewesen!

Quelle:
Pyrker, Johann Ladislaus: Mein Leben 1772–1847. Wien 1966 (Fontes Rerum Austriacarum, Abteilung I: Scriptores, Band 10)., S. 1-33.
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