Nahe dem Meistertum.

[124] (Dialog in der Loge.)


Er: Sie denken an etwas ganz anderes – – –

Sie: Als an das eben Gehörte? Wie gut Sie beobachten!

Er: Die Folgen des letztenGespräches! Aber Offenheit gegen Offenheit, was ist los?

Sie: Die Sehnsucht nach einem Ideal versuch' ich zu formulieren – –

Er: Ich verstehe nicht ganz – werden Sie deutlicher ...


Nahe dem Meistertum

Sie: Kinohelden, Tenöre sind nicht mehr das, was sie waren. Das Vorbild der Männlichkeit sehen wir Frauen in einem körperlich gestählten Körper. In unserem Jahrhundert, in dem die Verweichlichung des stärkeren Geschlechtes auffällig zunahm, imponiert uns nichts mehr, als ein gut trainierter Corpus, der vielen anderen zum Trotz etwas aushalten kann. Der Schrei nach dem Champion liegt uns im Blut!

Er: Wir kommen einander näher!

Sie: Das höre ich gern, rücken Sie zu mir.

Er: Sehen Sie, teuerste Eva, Ihr Wunsch ward Befehl. Seit Monaten vernachlässigt unsere männliche Jugend den Geist zugunsten des Fleisches! Ein Fußballtor ersetzt eine »5« in Mathematik, und ein guter »Stürmer« beim Eishockey ist unersetzlicher als der Klassenerste. Die Kollegs sind Nebensache – Hauptsache die Übungen im Skullerboot; ehe Sie einen Flirt beginnen, müssen Sie Ihr Handikap im Golf und Tennis vorweisen, der Führerschein in der Tasche eines jeden ist Ehrensache ...

Sie: Herrlich, wo sind die Jungens, die gut gewachsen, blühend frisch und guter Dinge sein müssen..?

Er: Ich stelle sie Ihnen vor, sobald der Vorhang aufgeht, aber bedenken Sie, nur Sport – ist das nicht ein wenig übertrieben?

Sie: Beunruhigen Sie sich nicht, lieber Adam, wir einigen uns schon auf der goldenen Mittelstraße! (Vorhang auf.)[125]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 124-126.
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