Mehr »M's« oder mehr »W's«?

[20] Um die Überschrift zu deuten, bedarf es einiger kurzer Sätze. Der verstorbene Weininger hat ein Buch herausgegeben, in dem im wesentlichen von den Eigenschaften der heutigen Geschlechter die Rede ist. Er stellt nun die These auf, daß jeder Mensch »Männliches« (»M's«) und »Weibliches« (»W's«) von der Natur mitbekommen habe, und diese sich in den Eigenschaften und Charakteren der einzelnen auswirken. Er statuiert an Exempeln, daß sich, um zu einer Ergänzung von hundert Prozent zu kommen, meistens die Extreme angezogen fühlen. (Eine Frau mit vierzig »M's« wird zum Beispiel einem Mann mit sechzig »W's« den Vorrang geben.)

Diese Theorie hat, besonders in den Gesellschaftskreisen moderner Jugend, Aufsehen erregt und zu Gesprächsstoffen Anlaß gegeben. »Soll der Mann auch, ›W's‹ haben?« wurde zur Frage des Tages! Ursprünglich gibt die Vorsehung dem stärkeren Geschlecht natürlich eine kleine Portion »W's« mit, und das ist gut so, denn ein Mann, dem jegliches Verständnis für Frauendinge, -kleidung, -art und -leben abgeht – also ein hundertprozentiger Mann, wird bei den Frauen keinen allzu großen Erfolg haben.

Doch der Lauf der Dinge bewegt sich in Extremen! Im Augenblick marschiert die männliche De-generation auf das Gegenteil zu, und der Durchschnitt derselben ist femininer geartet als der der Frau. »W's« an allen Ecken und Enden, in der Haartracht, der Kleidung, der Sprechweise, des »An-sich-herankommen-Lassens« und der Passivität. Die Frau reißt den Gang der Handlungen an sich, beginnt den Flirt und beendet ihn, wann sie will, sie ist »Herr der Situation«, nicht er. Es regnet Proteste – und ein Rückmarsch setzt ein. »Zurück zur Natur«, sagt Rousseau, undein kleiner frecher »flapper« meinte daher bei der Diskussion über dieses Thema: »Weininger up to date« – – » oh W, oh W, oh W!!!«


Mehr »M's« oder mehr »W's«

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 20-21.
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