Die erste Zigarette.

[59] Frühmorgens – »wenn die Hähne krähen« – Hähne in Gestalt des klingelnden Postboten mit Gerichtszustellung oder des Schneiderlehrlings mit der Rechnung – wenn das Uhrwerk ohrenbetäubenden Spektakel vollführt oder aber gar ein dienstbarer Geist mit sanfter, aber höchst eindringlicher Gebärde zum Aufstehen mahnt – bei all diesen kleinen und »großen Wecken« ist es Zeit für die erste Zigarette.


Die erste Zigarette

Morgenstunde ist – aller Laster Anfang, heißt es so schön – erst recht natürlich, wenn wir uns selbst einen blauen Dunst vormachen wollen. Doch einige Züge aus dem glimmenden Papyros können nicht schaden – nur Übertreibung oder das gefährliche und ungesunde »Im-Bett-Rauchen« sind verderblich. Der Ehemann und ähnliche Kategorien des Maskulinums haben natürlich in der Häuslichkeit vor der Mittagszeit nur in ihren eigenen Räumen zu rauchen – Brandflecke auf Marmorplatte und Frisiertisch sind Zeichen von ungezügeltem Temperament, von nicht unterdrücktem Bohèmetum.

Dem nervengeplagten Großstädter kann die erste Zigarette das Gleichgewicht der Sinne schenken, welches hinterher »punchingball« und heißer Tee restlos herstellen sollen. Müder Ausdruck verschwindet bei der Lektüre des Morgenblatts und der eingelaufenen Post, nur verfrühter Telephonanruf und heftiger Fragenansturm – am Ende gar während der Waschprozedur – sind nicht auszudenken für die Stimmungstendenz.

Die Ouvertüre des Tages steht unter dem Vortragszeichen: Pianissimo, bis der Blick auf den vollgeschriebenen Notizblock den Einsatz zum Furioso der Arbeitsjagd gibt.[59]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 59-60.
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