Dominante.

[173] Kunst ist halb Profession, halb Politik geworden – die Künstler Zünftler, das Erlebnis eine Konstruktion. Sind dem von den Furien des Erwerbs gepeitschten Manne noch musische Dinge wahrhafte Erfüllung von Wunschträumen? Oder sind am Ende mit Schätzen beladene Galerien, Dichterwerke und metaphysische Angelegenheiten nur mehr imaginäre Werte, denen Nachfrage fehlt? Gegen den Strom schwimmen, heißt Kraft vergeuden, doch ohne Schwimmversuch zugrunde zu gehen – ist Feigheit. Es ist nicht wahr, daß die Kinoromanze, die drahtlose Kunstfabrikation und das Magazin dem Bühnendrama, der Symphonie, dem Essay den Todesstoß versetzen. Man braucht nicht zu wissen, was ein Quartsextakkord ist, noch die Unterschiede zwischen einer Originalausgabe von Alfred de Musset und Chateaubriand zu kennen, um aus sich selbst ein tiefes Verhältnis zur Kunst zu finden. Auch früher hat in den primitiven Volksschichten für literarische Belange kaum Verständnis vorgeherrscht. Der Nachahmungstrieb sorgt dafür, daß der Zug von oben nach unten geht – wie der Ton angeschlagen wird, so pflanzt er sich fort.

Verneint deshalb nicht die Daseinsberechtigung von Musik und Dichtung, auch wenn sie euch erst mit der Zeit näher kommt. Die technisch vollendetste Orchesterplatte kann ein philharmonisches Erlebnis nicht aufwiegen, ein Buddenbrook ist imstande, Feuilleton und Klischee für Wochen fernzuhalten – nur muß die Stunde hierfür reif sein. Laßt euch einfangen vom Erlebnis, das heute so grausam selten geworden ist. Habt den Mut, antiquiert zu sein und Stellung zu nehmen: dies gefällt mir – jenes mag ich nicht! Es bleibt eure eigenste Sache, der Kunst den Tribut zu zollen. Zwang ist nutzlos, gleichgültig, ob es sich um die erpreßte Klavierstunde beim Halbwüchsigen oder um gesellschaftliche Bindung handelt.


Dominante

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 173-174.
Lizenz:
Kategorien: