Sprechende Blumen.

[109] »Say it with flowers« – selbst der kühle, nüchterne und oft prosaische Engländer hat es erfaßt und zusammen mit seinem »keep smiling« zum Volksmotto gemacht.


Sprechende Blumen

»Durch die Blume« ist nicht nur Redensart, sondern eine alte Weisheit, die nicht ausstirbt. In geschmackvoller Weise hat die Natur Parallelen zwischen den Blüten und den Frauen gezogen, die man nicht oft genug zum Vergleich heranziehen kann.

Zerbrecht euch nicht den Kopf, ihr Adams von heute und morgen – selbst die modernste Frau liebt Blumen und kann nicht ohne sie sein. Mit kundiger Miene betretet die duftschwere Blumenhalle und greift nicht wahllos zu, sondern sondiert und vergleicht. Die prächtig lila Cattleyen, diese exotischen Wunderblüten neben ihrer großen Schwester, der Otondoclossum (gelbe Rispe), passen besser zur glutäugigen Südländerin oder zur dunklen Russin, dahingegen die Cipribetien[109] und die aus ihnen erzeugten Wandakelche unterstützen die blonde Kühlheit schlankgewachsener Girls.

Die Fabel von der Lilie im Hochzeitsbukett ist überholt. Weiße Rivieranelken, elfenbeinfarbener Flieder, schneeige Cattleyen, Tuberosen und Fresien passen besser zu den Bräuten unserer Tage.

Auf der Festtafel wechseln glühende Malmaisonnelken, Maréchal Niel und Teerosen ab, lose verstreut, Maiglöckchen und rote Rosen geschickt kombiniert oder Teppiche aus Veilchen und Narzissen.

Der raffinierten Frau, der man um die Teestunde seinen Besuch macht, legt man Anthurien in den Arm. Der jungen Dame, die man abends ins Theaterbegleitet oderzum Essen im Restaurant erwartet, überreicht man ein pastellgetöntes »Corsage« (Ansteckbukett), daszujeder Farbe der Abendtoilettepassen muß. Schenkt keine Chrysanthemen zu festlichen Gelegenheiten – sie haben die Würde und Feierlichkeit von Totenblumen.

Auch der verheiratete Mann hat seine Blumenpflichten. Die Tatsache, mit seiner Frau zusammenzuleben, verpflichtet mehr als früher zu Aufmerksamkeiten; diese stiften Freude und Frieden auf Erden.

Kakteen in ihrer wilden Gezähmtheit, Azaleen in ihrer grellen Blättersprache, süßlich duftende Hyazinthendolden, hochgewachsene Alpenveilchen, kalt scheinende Kamelienstanden – überbieten sich in ihrer Individualität – in ihrem lebendigen Atem, ihrer Kunst, zu dekorieren.

Es kann nicht jeder von euch ein Harry Pilcer sein, der in seinem überschwenglichen Gefühl für Blumen bei dem ersten Affekt für irgendeine Frau in den Luxusladen eilt und 30 Orchideen nebst 400 Mandelblütenzweigen auswählt – aber alle von euch, ihr vollendeten Adams, sollten unwillkürlich das englische Gebet beherzigen: »Laßt Blumen sprechen!«[110]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 109-111.
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