»Man gibt sich die Ehre« –

[95] ist längst zur bloßen Formel erstarrt. Glaubt aber keinesfalls, daß die Hast unserer Zeit die Formen erstickt! Manche gelten und werden immer von Wichtigkeit sein. So die Einladungen, die Visitenkarten und die Danksagungen.

Je einfacher – desto vornehmer, je vornehmer – desto besser. Hier die Lithographie:


»Man gibt sich die Ehre« -

Genau so die Visitenkarten. Nie die Titel des Mannes – nie und unter keiner Bedingung. Ein »faux pas«, der sich gewisser Beliebtheit erfreut: »Frau Dr., Frau Sanitätsrat, Frau Oberleutnant«, unlogisch, unfein, nicht zum Anhören. Über Faksimile läßt sich streiten. Sind die eigenen Schriftzüge sehr schön, sehr individuell, sehr ausgeprägt – meinetwegen, aber es ist ein wenig aufdringlich, ein wenig zu deut lich, ein nicht mißzuverstehender Wegweiser auf sich selbst.

Visitenkarten – en tout cas! Man dankt mit ihnen, lädt zu kleinen Veranstaltungen auf ihnen ein, sagt ab oder zu und gibt sie – nicht zuletzt – bei Besuchen ab. Auch diese Sitte hat sich in unser Jahrhundert hinübergerettet. Man protokolliert sozusagen den Wunsch, miteinander zusammenzusein, sich wiederzusehen, eventuell mehr. Die Älteren fordern die Jüngeren auf – die Jüngeren geben die Karten ab. Die Dame nur der Dame, der Herr für den Herrn sowie die Dame, das Ehepaar gemeinsam auf einer Karte, außerdem gibt der Ehemann seine eigene Karte hinzu, falls es sich um einen Besuch bei Mann und Frau handelt.

Aber das genügt auch. Nicht wie einst muß ein feierlicher Kutscher und Diener auf dem Bock sitzen, nicht wie Anno dazumal brauchen die Besuchenden halbstündige gelangweilte Gespräche pflegen –[95] der kleine Kniff in die rechte Ecke der Visitenkarte besagt, daß die Herrschaften »leider« abwesend waren. –

Es gibt eine ganze Visitenkartensprache, die man zu lernen hat. Früher schrieb man gern in französischen Abkürzungen, heute hat man meist verdeutscht: U. A. z. n. (Um Abschied zu nehmen), U. A. w. g. (Um Antwort wird gebeten) usw. usw. Unbedingt vorteilhafter – um eventuellen Verwechslungen vorzubeugen, wie sie einer sogenannten »jungen Dame« passiert sind, welche das »p. p. c.« (pour prendre congé) als geheime Aufforderung gedeutet hat – und schwer enttäuscht gewesen sein soll ...

Obwohl dieses alles: Formalitäten, »façon de parler« – liebenswürdige Redensarten –, sind sie unumgänglich und gehören in den Sittenkodex der großen Frau von Welt. »Man gibt sich die Ehre« – einzuladen, zu was es auch sei. Und – »wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es heraus«. Oft schwankt man ein wenig und überlegt: »Wie danken, was antworten, ist es so richtig, scheint das auch passend?« Dabei ist es so einfach, genau in derselben Form, in der ihr eingeladen seid, erwidert! Ebenso sachlich oder ebenso schwülstig, ebenso poetisch oder prosaisch –

Eine Frage dieses Themas gibt die andere. Wenn nichts vorgeschrieben, ist, was ziehe ich an? Auch nicht schwer! Der Jahreszeit und Stunde entsprechend. Zum Essen nach acht Uhr: Smoking und korrespondierendes Kleid, wenn nicht ausdrücklich anderes befohlen. Zu Sommerausflügen oder kleinen Zusammenkünften in Restaurants und Bars dunkle Anzüge – Straßenkostüme und Komplets. Ins Theater nach Möglichkeit Abendanzug, zu Premièren sogar Bedingung! Zum Lunch Tageskleidung, die Dame mit Hut, wenn sie will. Frack und Smoking gehören nicht bei Tageslicht auf den Spielplan des täglichen Lebens – genau dasselbe gilt von der Kleidung der Lady im parallelen Vergleich.


»Man gibt sich die Ehre« -

Wenn ich eingeladen bin, schenke ich etwas? Zu ganz offiziellen Gelegenheiten überreicht man nichts. Sonst steht es dem Gast anheim, durch Blumen, Bücher oder Konfekt seinen Dank über die Einladung zum Ausdruck zu bringen. Diese kleine Geste wird nie abgelehnt, im Gegenteil. Durch ein aufmerksames Angebinde im richtigen Augenblick darf man sich dann öfter »die Ehre geben«, als man zu hoffen gewagt hat![96]


»Man gibt sich die Ehre« -

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 95-97.
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