Die »[114] En-tout-cas-Dame«.

Sind Sie eine solche? Nein? Dann müssen Sie es werden, sofort, auf der Stelle, ohne Überlegung! Sie verstehen nicht? Ach so – gut, ich erkläre:

Ihr Strumpf reißt – diese entsetzlich langsam quälende, rieselnde Naht bemerken Sie beim Eintritt in das Leuchtrondell am Arm Ihres Tänzers – Sie sind keine Sekunde verwirrt, in Ihrer Tasche ist eine Nadel rosé gefädelt – an Ihrem Tisch sitzt Fräulein L., die nebenan wohnt und Ihnen ein neues Paar herüberkommen läßt, oder aber der Fall liegt so günstig, daß der andere Strumpf schnell unter dem Tisch auch eine »Laufmasche« dazu bekommt. Weiter: Migräne – mitten in der Vorstellung. Die Apotheken geschlossen, keine Pagen vorhanden, aber – die »letzte[114] Frau«. In einer Viertelstunde haben Sie das Kopfwehpulver, das Sie jeweilig bevorzugen.

Fünfzig Kilometer vor dem Ziel platzt ein Pneu bei Wolkenbruch. Mißstimmung, nasse Füße, Hetzerei? Keine Spur, im Dorf: Telephon: »Wir kommen später,« Besuch bei fremden, aber sicher sehr netten Bewohnern, bis der Regen vorbei oder der Schaden geheilt. Auf der Landstraße? Eine Wolldecke um den zarten Leib, eine Gummikappe über den Bubikopf und Monteurhandschuh über die Manikürten, und »immer feste mit«.

Unmöglichstes wird selbstverständlich. Gewitter beim Shopping. Kein Taxi weit und breit, die Omnibusse und Trams überfüllt. Zwei Schritt vor der Dame hält ein Selbstfahrer – der Kavalier muß sich geehrt fühlen, wenn die Dame auch nur den Wunsch äußert, bis zum Kaiserplatz mitzufahren. In der Art, wie sie bittet, was sie vorschlägt und erreichen will, siegt ihre liebenswürdige Natürlichkeit. Der Schaffner wartet, wenn er sie kommen sieht, der Kaufmann wechselt jubelnd Hundertmarkscheine, der nebensitzende Herr bietet von allein sein Extrablatt an, sogar der Portier schließt von selbst die Haustür auf, der Coiffeur kommt freiwillig nach acht.

Wenn die gnädige Frau sagt: »Das wird gemacht«, oder: »Heute um sieben habe ich das Buch«, oder: »Morgen nachmittag fahre ich im ausverkauften Orientexpreß doch nach Budapest«, ja wenn sie, wie ich es neulich selbst auf dem Fernbahnsteig beobachtete, eine Minute zu spät zum Zug kommend, den Arm des soeben abwinkenden Stationsvorstehers festhaltend, entzückend kategorisch befiehlt: », Sie warten, bis ich eingestiegen bin«, und er wartet wirklich – dann – möchte ich den Fall eintreten sehen, dem sie letzten Endes nicht doch gewachsen ist![115]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 114-116.
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