Im Schlafcoupé –

[111] Ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt, auf alle Fälle ist dieses Thema viel besprochen, besungen und gern gehört. »Ach, Schlafcoupé!« lachen die Siebzehnjährigen, grinsen die dreißigjährigen Herren der Schöpfung, lächeln die jungen Frauen und kopfschütteln die Älteren.

Ein bewegliches Hotel. Alles, was extraordinär scheint, noch nicht zur Gewohnheit wurde, gibt zu Diskussionen, zu Proben, zu Amüsement Anlaß. Der Schlafwagen fordert zu diesem Hinweis ausgesprochen heraus!

Die fremde Umgebung, die Nähe und dabei das Getrenntsein von den anderen, das Gefühl des jagenden Tempos, das schnelle Überwinden von Zeit und Ort, das Monotone des Räderrollens, das alles spornt die Phantasie, die Sucht zu Erleben an, und daher – Sie verstehen!

Man weiß letzten Endes ja nie, wie es ausgeht – in der Zeit der vielen Unglücke, unwillkürlich denkt man daran, wenn man in seinen Pyjama schlüpft und die Pantöffelchen zurechtlegt. Deshalb soll man zu den Mitfahrenden auch besonders liebenswürdig und höflich sein! Tatsächlich kommen nach genauer Statistik die wenigsten Reibereien und Zwischenfälle in den Schlafwagen vor.

Das weiße viereckige Kissen unter dem Kopf, die rote Wolldecke über den Knien, einen Spalt des Vorhangs offen, um neugierig die Stationen zu lesen, die Hand an der Lichtschnur oder der Leselampe und den Schlafkamerad über oder unter sich – nicht immer geht das nach Wunsch, wenn auch oft nach Einigung – und »Der Weg ins Freie« wird abgerast.

»Fürchten Sie keine Entgleisung, auch im physischen Sinne, bei Ihren vielen Fahrten?« fragte eine boshafte Brünette eine Dame, die aber mit Rochefoucauld gewandt entgegnete:

»Das Herz ist vor Entgleisungen stets sicher auf den Schienen des Verstandes!«


Im Schlafcoupé -

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Im Schlafcoupé -

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 111-112.
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