Die Frau als Zuschauerin.

[139] Sie gehört dazu – an den Boxring, auf die Holzbänke der Sechstagenächte, ins Stadion, auf die Tribünen der Reitkampfarena, unter die Hunderttausende einer Fußballschlacht, kurzum – sie hat dabei zu sein.


Die Frau als Zuschauerin

Aufreizende Parfüme, zarte Puderdüfte mischen sich mit Rauchwolken, kleine Taschentücher wehen gleich Siegesfähnchen verheißungsvoll in beringten Händen: »Wir sind euretwegen da, wir sind keine Schablonen mehr, wir verstehen etwas davon, wir haben unser eigenes Urteil, nun strengt euch an, wir bangen und beben für euch, aber wir belohnen auch, zeigt, was ihr könnt, unsere Herzen schlagen für euch ...«

Unwillkürlich putscht diese Wahrnehmung, die unverkennbare Tatsache, diese mittelalterliche Tradition die Ringenden auf – sie sollen sich überbieten, den wirklichen oder symbolischen Lorbeer aus der Hand der jeweiligen Schönen erhalten, nicht der andere vor oder neben ihnen. Der Blick des beinahe erschöpften Boxkämpfers gleitet unwillkürlich zu einem jadegrünen Rockzipfel in der Logentribüne, die Augen des Rennreiters suchen schnell noch die schwarzgekleidete Dame auf der rechten Seite, ehe er zum Sprung ansetzt, der 100-Meter-Läufer wendet kurz vor dem Start noch einmal den Kopf, um sich zu überzeugen, daß eine vornübergebeugte Gestalt die Hände ineinandergepreßt –[139]

Solche leidenschaftumbrandeten Tage und Nächte ziehen ihre weiten Kreise. Roués und Favoritinnen der exklusiven Nachtlokale fiebern danach, den heißen Boden einer »Six-day-Arena« noch in später Stunde zu betreten. Flanieren und Flirt, Anknüpfen und Verabreden gehört zum amüsanten Nebenbei dieser »145 Stunden«. Was man nicht alles sieht: schneeweiße Hermeline über staubigen Bretterschlag gestreift, die gewagtesten Dekolletés verlieren mit Eintritt der Morgendämmerung ihre Absonderlichkeit, und ein nie dagewesenes Konglomerat merkwürdigster und eindringlichster Dispute zieht sich bis in die fernsten Winkel des Kasinos oder der Wandelgänge.

Unterschiedslos erleben wir »die Frau als Zuschauerin« in allen Städten der Welt – bei allen nur möglichen Ereignissen und Veranstaltungen. Überall stimmt »das schwache Geschlecht« ausschlaggebend in den Orkan des Beifalls ein – den Effekt steigernd. Das hinreißende Fluidum überkommt die Frau nicht anders als den Mann, wenn sie nach den ersten Resultaten den Stand der Dinge übersehen kann.


Die Frau als Zuschauerin

»Sie« ist der spannungsladende Pol zwischen dem Lager der Kämpfer und dem Reich der elektrisierten Masse ...[140]


Die Frau als Zuschauerin

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 139-141.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon