»Aladins Wunderlampe erwacht – – – «

[50] Die Nüance entscheidet! Sie ist siegreich auf der ganzen Linie. Mehr denn je ... Die Feinfühligkeit, Sensibilität, Kompliziertheit der modernen Frau hat sie erwählt – sich zu eigen gemacht. Im Gegensatz zu früher detailliert man, raffiniert – und mit Abwechslung.

Was sagte uns schon früher ein Parfüm? Es roch allenfalls gut, je mehr man davon übergoß, je stärker duftete es, um so auffälliger erschien die Wirkung. Betonen wir: schien!


»Aladins Wunderlampe erwacht - - -«

Und heute? Heute bemühen sich um die Ausbildung des »dritten Sinns« die Schönen unserer Erdteile. All die Scharen eleganter Frauen wurden zu Jüngerinnen der Wunderessenzen. Kultivierung mit seltsamen Folgen. Jede paßt auf die andere auf – beugt vor, um sich nicht übertrumpfen zu lassen. Der Robber wird unterbrochen, mitten in der Partie. Das schöne Gegenüber tuschelt der kastanienbraunen Künstlerin zu: »Sie haben es auch schon?«

Auf dem Golfplatz wirst die leidenschaftliche Spielerin den Club mitten im Drive zur Seite und schnuppert eifrig in die Luft. »Eine neue Mischung aus dreierlei Stoff –[50] köstlich zusammengestellt – alles verschiedene Essenzen. Nelly hat mich ausgestochen ...«

Beim Polo, auf den Centrecourts, beim Tanztee, im Vestibül – überall unsere Evastöchter auf Lauer nach Parfümwild. Ein Gesellschaftsspiel – das jede mitmacht, keine ausläßt – die Gefahr, rückständig zu werden, ist zu groß!

Die ätherische, helle Flüssigkeit in den aufreizendsten Umhüllungen, eigens geformten kristallenen Behältern, blinkenden Silberscharnieren, geschliffenen Stöpseln, seidigen Watten und knisternden Kordeln hat Wunderkräfte bekommen. Tarnkappen!

Keine aufgetragenen groben Mittel spielen mehr eine Rolle. Genau wie ein Kleid oder Schuh der betreffenden Person angepaßt sein muß, hat sich das Parfüm der Trägerin anzuordnen. Die wirkliche Lady kennt sich und ihre Bedürfnisse, sie weiß, was ihr fehlt, ahnt den noch mangelnden Hauch, der ihre Absicht, den Eindruck ihrer Erscheinung unterstützt, Sensationen hervorruft, Welten aufbaut und einstürzt. Winzigste Ursachen – allergrößte Wirkungen!

Sie muß mischen. Wie ein kleiner gewiegter Barkeeper wird sie sich die notwendigen Tropfen zu einem betörenden, individuellen Ganzen zusammenreimen. Mit Liebe, Muße, Ausdauer – solange – bis das ureigenste »Ich« aus dieser verlockenden Flüssigkeit strömt.

Eine neue Wissenschaft ist entstanden. Triebe und Instinkte, Wünsche und Begierden sind unmerklich, rein intellektuell zu regieren. Die gnädige Frau – aber auch – der Herr Gemahl – hat die Fäden dazu in der Hand – beide haben die Möglichkeit, sie zu knüpfen – oder zu lösen – sie auszunutzen oder achtlos zu übersehen.

Ausschlaggebend: ein kleiner Tropfen Parfüm! Aladins Wunderlampe zu neuem Leben erwacht ...[51]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 50-52.
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