Abenteuer mit einer Schlange

[50] Nachdem ich mich von meinem Fall etwas erholt hatte, eilte ich meinem Viehe nach und trieb es an einen entlegnen Ort, wo ich mich ganz entkleiden und meine Sachen waschen konnte. Sobald ich dieses getan und am Rande des Grabens sie zum Trocknen ausgebreitet und meinen durchnäßten Brotbeutel dabeigelegt hatte, mußte ich wieder das Vieh zurücktreiben, welches unterdessen wieder weitergelaufen war. Aber, o Himmel, wie erschrak ich, als ich zu meinen Sachen zurücke kam und gewahr wurde, daß eine Schlange von meinem Mundvorrate Besitz genommen hatte. Ich schrie laut auf für Schrecken und ergriff nackend die Flucht, indem ich glaubte, sie würde mich, wie Adam und Even im Paradiese, verfolgen. Endlich nötigte mich der Mangel an Odem, stille zu stehen, und nun betete ich überlaut, was ich nur konnte. Zuletzt fiel mir der Spruch ein: »Fürchte dich nicht, ich bin dein Gott, ich helfe dir!«, und indem ich die Augen auf die Seite warf, bemerkte ich eine lange Stange; ich ergriff sie und ging, mit ihr bewaffnet, langsam nach meinen Sachen zurück, um damit den Satan unter der Gestalt einer Schlange totzuschlagen. Allein[50] der böse Feind mußte meinen Vorsatz gemerkt haben, denn als ich kam, hatte er sich wieder auf und davon gemacht. Ich eilte nun mit meinen Sachen aufs Freie, zog sie an und trieb eben unter dem Gelübde weiter, so bald gewiß nicht wieder an diesen Ort zu kommen, als ich jemanden querfeldein auf mich zulaufen sah. Es war Bostel, der mir zornig entgegenrief: »Wo heft thi dei Satan huete heen nefährt? Eck heft thi soicken laten wi nicks Gaues!« (Wo hat dich der Satan heute hingeführt? Ich habe dich suchen lassen wie nichts Gutes.)

Ich erzählte ihm nun meine heutigen Abenteur und sagte ihm, daß ich meinen Proviantsack am Rande hätte liegenlassen. Er lachte laut auf, ging mit mir dahin, nahm das Brot, schnitt es ringsum ab und reichte mir es unter den Worten: »Da it, dat schad thi nicks!« (Da iß, das schadet dir nichts!) Ich tat es, und es schmeckte mir recht wohl, so wie die Butter, welche nicht zerschmolzen war. Er nahm darauf die beiden Pferde, um, wie er sagte, Korn in die Mühle zu reiten, weil sich der Wind etwas erhoben hätte, ich aber mußte das Hornvieh bis zum Abend hüten, wo ich es eintrieb. Die Frau Bostel bedaurte mich herzlich, als ich ihr meine Tagesgeschichte erzählte, und ließ mir das Hornvieh nicht eher auf die Nachtkoppel treiben, als bis ich mir im Essen und Trinken was Rechts zugute getan hatte.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 50-51.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers