Vom Sitzen, sich setzen und Aufstehen.

[71] Man setze sich auf den Sitz, nicht zu weit nach vorn, nicht von der Seite, sondern möglichst weit nach hinten, mit dem Kreuz an den unteren Teil der Lehne, wodurch der Oberkörper Halt bekommt. Läßt man sich auf einen Sitz, besonders einen niedrigen, nieder, so kommt dafür sowohl der allgemeine, wie der besondere – der Lage und dem Orte angepaßte – Anstand wohl in Betracht. Vor Leuten, denen[71] man Achtung, ja Ehrerbietung schuldet, wird ein erregtes Sichniederfallenlassen natürlich nicht am Platze sein, so wenig wie ein rasches Aufschnellen vom Sitz. Es wäre dagegen ein Verstoß, in Fällen, wo man gebeten, anderen etwas darzureichen, zu zeigen, sich langsam, gleichsam zögernd aufzurichten, während eine zuvorkommende Raschheit dabei dem schuldigen Gehorsam, oder der schuldigen Höflichkeit entsprechen würde. Es ist aber sehr wider den Anstand, ja eine Beleidigung, wenn Damen, wie bei Tanzgelegenheiten oft genug zu bemerken, selbst auf die artigste Aufforderung ihres Kavaliers nur höchst zaudernd, mit Widerwillen sich erheben. Eine Einladung zum Tanzen ist, wenn in den Formen respektvollen Anstandes gehalten, eben eine Höflichkeit, die erwidert werden muß – entweder mit dankendem Verzicht, oder dezenter Bereitwilligkeit. Undankbarkeit ist aber stets ein Zeichen eines Mangels an Bildung.

Der Oberkörper und die Füße behalten beim Sitzen dieselbe Stellung wie beim Stehen.

Die Kniee dürfen nicht einander berühren, auch nicht zu weit von einander abstehen, sondern sollen, eine Fußlänge von einander entfernt sein.

Die Hände müssen geschlossen, mit der Innenfläche mehr dem Körper als den Knieen zugekehrt, mit den Fingerspitzen einander zugewendet, auf den Beinen ruhen.

Bei einer andern Haltung stützt man die geschlossene Hand auf den Oberschenkel, oder legt die leicht geschlossene Hand auf denselben.

Da zwei gleiche Stellungen der beiden Hände unschön sein würden, so wähle man zwischen den angegebenen.

Die Arme und Ellenbogen dürfen nicht zu nahe am Körper, auch nicht nach vorn stehen, sondern mehr nach der Seite hin, in leichter und ungezwungener Haltung. Damen lassen ihre Hände im Schoße ruhen, doch ohne sie zu falten.

Mit dem Rücken bequem anlehnen, hin und herschaukeln, sich von der Seite auf den Stuhl setzen, oder so, daß die Lehne vor die Brust kommt, auf dem Stuhl knieen, oder den Fuß daraufstellen, sich anderen dicht gegenüber niederlassen, wenn noch andere Plätze im Zimmer frei sind.

[72] Kopf und Ellenbogen auf die Lehne stützen; Hände und Arme am Sitz hin- und herreiben, die Füße und Beine übereinanderschlagen oder weit ausstrecken sind mehr oder minder grobe Verstöße gegen die Regeln des Anstandes.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 71-73.
Lizenz:
Kategorien: