Temperamente.

[13] Die subjektive Empfänglichkeit gegen die Einwirkung der Außenwelt auf die einzelne Person bezeichnen wir mit dem Namen »Temperament«. Jeder hat gewissermaßen sein eigenes Temperament. Aber dennoch lassen sich Grundzüge zusammenstellen und einteilen. Wir geben der von Galen gewählten Einteilung der Temperamente den Vorzug und unterscheiden ein cholerisches, phlegmatisches, sanguinisches und melancholisches Temperament. Man vergleicht die obengenannten Haupttemperamente ganz passend mit den 4 Elementen (nicht im chemischen Sinne) Feuer, Wasser, Luft und Erde, und zwar würde das cholerische Temperament dem Feuer, das phlegmatische dem Wasser, das sanguinische der Luft und das melancholische der Erde vergleichbar sein.


Wohltätig ist des Feuers Macht,

Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,

Und was er bildet, was er schafft,

Das dankt er dieser Himmelskraft;

Doch furchtbar wird die Himmelskraft

Wenn sie der Fessel sich entrafft,

Einhertritt auf der eignen Spur,

Die freie Tochter der Natur.

Wehe, wenn sie losgelassen,

Wachsend ohne Widerstand.


Der Choleriker ist hitzig.

Wenn er sieh in der richtigen Bahn hält, vermag er Großes zu vollbringen. Sein Geist verrät eine rege Tätigkeit, es wohnt ihm eine Tatkraft inne, die keine Hindernisse scheut, vor keinen Beschwerden zurückschreckt und ihn ungehindert[13] auf sein Ziel zusteuern läßt. Wo aber viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Der Choleriker wird leicht ungestüm, er lodert auf wie Strohfeuer. Im Jähzorn begeht er Handlungen, die er später bereut. Sein ungestümer Geist muß austoben, und wehe, wenn man versucht, ihm Widerstand entgegen zu setzen. Er wird dadurch zur Wut gereizt. Gerade so, wie man sich beim Brande, wenn die Löschmittel dem zu weit vorgeschrittenen Feuer gegenüber nicht ausreichen, darauf beschränken muß, die noch nicht ergriffenen Gegenstände zu schützen, so tut man wohl, einen Choleriker durch Nachgeben zu besänftigen oder ruhig ausrasen zu lassen und sich selbst einfach zurückziehen, um nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Mit majestätischer Ruhe breitet sich der Wasserspiegel aus. Klare Fluten bespülen das Land, Fruchtbarkeit und Segen der grünen Flur bringend. Auf ihrem Rücken tragen sie stolze Schiffe, welche die Produkte der Landwirtschaft, des Gewerbefleißes und der Kunst von einem Weltteil zum andern führen. Zahllosen Fischen und sonstigen lebenden Geschöpfen dienen sie als Wohnung, im Wasser finden sie ihre Nahrung und ihren Unterhalt. Der fließende Bach treibt die Räder der Mühle, und die murmelnde Quelle erfrischt mit ihrem kalten, klaren Naß den dürstenden, erschlafften Wanderer. Aber alles dieses ist keine eigene Tätigkeit des Wassers, es ist selbst nur Mittel zum Zweck, und sogar die Wogen, welche gepeitscht durch den Sturm an der Brandung zurückschlagen, sind nicht der eigenen Urkraft des Wassers entstammend, sondern erst durch die Gewalt des Orkans mit jener Kraft begabt worden.

So auch der Phlegmatiker.

Mit eiserner Ruhe, aber mit schablonenhafter Einförmigkeit verrichtet er die ihm zugewiesenen Aufgaben, aber auch nur diese. Einen anderen Wirkungskreis, als den ihm ursprünglich bestimmten, wird er sich selten suchen, eine eigene Tätigkeit wohnt ihm nicht inne. Er ist wie das Wasser das Bild der Passivität, ja sogar unter Umständen der Trägheit. Wie das Wasser nur schwer und nur durch die mächtige Gewalt des Sturmes aus seiner Ruhe gebracht wird, so auch der Phlegmatiker.[14] Er vollbringt nichts, was besonders in die Augen springt.

»Veränderlich wie die Luft« ist ein bekanntes Sprichwort. Und in der Tat, es ist nichts einer so großen Unbeständigkeit unterworfen, als die Luft.

Das Naturell des Sanguinikers ist feucht und warm wie die Luft am Sommermorgen, und so lind, wie die milden Winde, so weich ist sein Gemüt. Er hat einen regen Geist und eine lebhafte Phantasie, und sieht lauter Schlösser, die aber nicht auf dem Erdboden erbaut sind, sondern in der Luft schweben. Wenn er nun aber das Trügerische seines Wahns eingesehen hat, dann ist er ebenso zaghaft und mißmutig, wie die Luft schwül ist und er sinkt in eine Apathie, welche ihm alles um ihn her gleichgültig sein läßt. Er läßt alles über sich ergehen, läßt das Unwetter ruhig austoben und wenn ihm wieder die Sonne des Glückes lacht, dann zeigt auch sein Gesicht wieder den Sonnenschein der Zufriedenheit. Er verhält sich dem Ungemach gegenüber passiv; aber mit bewunderungswürdiger Empfindung genießt er die ihm beschiedenen Freuden.

Die Erde, unser aller Mutter, ist das Bild des Schweigens. »Schweigsam wie das Grab«, ist eine bekannte Redensart, und wahrlich, die Erde deckt das in sie Versenkte ewig mit ihrer kalten Hand zu. Zwar läßt sie das Samenkorn, daß ihrem Schoße anvertraut wird, keimen, wachsen, blühen, gedeihen und Frucht tragen. Aber – welch' eine große Einwirkung aller anderen Elemente und welch' ungeheure Arbeit des Landmannes ist notwendig, damit die Frucht geerntet werden kann. Das Feuer der Sonne muß seine belebenden Strahlen auf die Erde hernieder scheinen lassen, das Wasser der Wolken muß den Boden befeuchten, die Luft muß der aufgehenden Pflanze in die geöffneten Poren dringen und der Landmann muß den Boden urbar machen, ihn pflegen und düngen, um ihm die Frucht dessen zu entlocken, von dem er ihm das Samenkorn anvertraut hat. – In der Tat, es erfordert Zeit, Fleiß, Geduld und Ausdauer, um die Schätze des Erdbodens zu heben. – Auch Edelmetalle birgt die Erde in sich, aber sie hält sie verborgen. Nachdem der Mensch tief in ihren Schoß eingedrungen ist, findet er endlich was er haben[15] will und muß dann noch unter unsäglichen Mühen und Gefahren das zu Tage fördern, was seine Forschungsgabe entdeckt hat. – Aber nicht immer schweigt die Erde, sie zeigt sich auch in fürchterlicher, gewaltiger Tätigkeit. Der Vulkan schleudert mit mächtiger Allgewalt seine Lavamassen empor, alles unter seiner glühend heißen Flut begrabend, was ihr im Wege liegt, und wenn er auch manchmal ruht von seiner Tätigkeit, ehe wir uns dessen versehen, speit er wieder seine vernichtende heiße Schlacke aus, nicht eher aufhörend, bis er ausgebrannt ist!

Hier haben wir das Bild des Melancholikers.

Auch er ist schweigsam, und es kostet viel Mühe, ihm etwas zu entlocken. Kalt und trocken, wie die Erde im Urzustände ist sein Naturell, und wie die Ruhe die vornehmste Eigenschaft der Erde ist, so ist es auch die seinige. Der Melancholiker birgt gewöhnlich viel in sich, entwickelt aber aus eigener Kraft wenig aus sich heraus. An dem was er sich einmal vorgenommen hat, hält er fest. Die Beständigkeit ist ihm ebenso eigen wie die Erde, welche den nie zu umgehenden Naturgesetzen gehorcht. Wenn er aber einmal in Zorn gebracht ist, dann ist er unversöhnlich. Sein Haß verlöscht nie, und wie die Eruptionstätigkeit des Vulkans zuweilen wohl ruht, aber nicht eher ganz aufhört als bis er ausgebrannt ist, so wird auch der Melancholiker zuweilen seinen Haß zurückhalten, aber dieser wird erst mit seinem Träger begraben werden.

Die soeben geschilderten Haupttemperamente findet man nicht rein und unvermischt vor, sondern es ist bei jedem Menschen ein Temperament vorherrschend, während von den anderen nur einzelne Merkmale vorhanden sind.

Der cholerisch-sanguinische Mensch (Feuer und Luft) ist von einer Natur, die epochemachende Wirkung erzielt, er ist voller Tatkraft und versteht es, sie am rechten Orte anzuwenden. Alle Großen der Erde, Napoleon I., Friedrich II. etc. waren demnach cholerisch-sanguinisch.

Cholerisch-phlegmatische Menschen (Feuer und Wasser) sind äußerst selten, aus dem einfachen Grunde, weil diese beiden Eigenschaften nebeneinander fast unmöglich sind und sich gegenseitig aufreiben würden. Hat man aber einen von[16] den wenigen gefunden, so wird man bemerken, daß diese beiden Extreme in ihnen ewig abwechseln. Sie sind die wankelmütigsten Geschöpfe, die es geben kann und taugen im Grunde genommen zu nichts, da ihnen die Beständigkeit abgeht. Sie sind schwer zu irgend einem Unternehmen zu bestimmen. Hat man sie aber einmal soweit gebracht, dann fangen sie mit einem sich selbst verbrennenden Eifer an, um bald darauf, kurz vorm Ziel in Apathie zu verfallen.

Cholerisch-melancholische Leute (Feuer und Erde) sind unschädlich, wenn sie keine Gewalt in Händen haben. Sie sind wie der Tiger im Käfig, dessen Blutgier nicht gestillt werden kann und verdienen gewissermaßen Mitleid, nicht, weil sie ihren Drang nicht befriedigen können, sondern sie sind zu bemitleiden, daß ihnen überhaupt dieser Trieb innewohnt. Wehe aber, wenn diese heute Machthaber sind, Chicane ist das geringste, womit sie ihre Untergebenen quälen, aber nicht selten sind sie grausam, rachgierig und ungerecht.

Pflegmatisch-sanguinische Menschen (Wasser und Luft) sind die glücklichsten, die es gibt. Ihre Lebensregel ist: »Genieße, was dir Gott beschieden, – Entbehre gern, was du nicht hast.«

Pflegmatisch-melancholische Menschen (Wasser und Erde) sind die unerträglichsten Geschöpfe, weil sie sich selbst zur Last sind und allen andern durch ihre paradoxen Anschauungen erst recht zur Plage werden.

Die melancholisch-sanguinischen Menschen (Luft und Erde) werden anderen zwar nicht zur Qual, reiben sich aber selbst auf, indem sie den Zündfaden eines Pulverfasses anzünden, sich dann selbst aufs Faß setzen und gern in demselben Augenblick vom Fasse herunter möchten, wenn die Explosion erfolgt. Betrachte dieses Kapitel als einen Spiegel und erkenne selbst, welches Temperament das in Dir vorherrschende ist, beobachte Dich und suche die weniger guten Seiten Deines Temperaments zu bessern.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 13-17.
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