[165] Gesellschaftstänze.


Diese sind über die ganze zivilisierte Welt verbreitet und derartig beliebt geworden, daß die Menschen sie bei keiner fröhlichen Zusammenkunft entbehren wollen.[165]

Bei der allgemeinen Verbreitung des Tanzes muß man denselben als ein notwendiges Erfordernis zum gesellschaftlichen Umgang bezeichnen, und es dürfte die Behauptung gerechtfertigt sein, daß mindestens ebensoviel Fleiß auf die Erlernung des Tanzes zu verwenden sei, wie auf die Aneignung eines feinen Tones und wohlgefälliger Umgangsformen, eines gehört zum andern.

Die Fähigkeit zum Tanzen wird als so natürlich und selbstverständlich vorausgesetzt, daß es kaum begreiflich ist, wie es noch Leute geben kann, die sich dem Tanze verschließen, ihn nicht erlernen wollen, ja selbst andere vom Tanzen zurück zu halten suchen.

Derartige Leute mögen wohl für das Nichttanzen ihre Gründe haben, jedenfalls aber sind sie nicht berufen, über die Vorzüge und Vorteile, die der Tanz gewährt, zu urteilen. Das »Tanzenkönnen« ist ein unerläßliches Erfordernis zum gesellschaftlichen Umgang.

Wie wir uns durch die Art des Sprechens, durch die Ausdrucksweise sowie durch Umgangsformen von einander unterscheiden, so sind wir auch inbezug auf die Art des Tanzens verschieden. Einem Naturtänzer sieht man den Mangel des Unterrichts gleich an. Daher darf sich niemand in besserer Gesellschaft sehen lassen, wenn er nicht nach den Regeln der Kunst wenigstens einigermaßen Gutes leistet.

Da man in den Kinderjahren am leichtesten auffaßt und begreift, so eignen sich diese auch am besten zur Erlernung des Tanzens, und wenn schon dem Kinde die eleganten zierlichen Bewegungen des Tanzes beigebracht worden sind, so werden diese dem Jüngling und der Jungfrau in viel größerem Maße zu eigen sein.

Wenn dann das Kind die Schule verlassen hat, dürfte ein weiterer Kursus einige Jahre nach der Konfirmation zu empfehlen sein, um das Erlernte, das ja beim Einführen in die Gesellschaft zur Anwendung gelangen soll, noch einmal zu repetieren.

Nun heißt es auch freilich hierbei »nur den Mut nicht sinken lassen«, denn es ist noch kein Meister geboren[166] worden. Man traue sich in dieser Hinsicht niemals zu wenig zu, denn ein wenig Courage ist zu allen Dingen nütze, warum nicht auch zur Erlernung des Tanzens?


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 165-167.
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