Die Kinder.

[111] Wie sehr in Anspruch genommen eine Hausfrau immer sein möge, sie vergesse nie, daß, wenn Gott sie mit Kindern segnete, diese das erste und heiligste Anrecht an ne haben. Dasselbe beginnt mit dem Tage der Geburt des kleinen Wesens.[111]

Der gute Ton verlangt, daß eine Mutter, wenn nicht physische Unmöglichkeit vorliegt, es selbst übernimmt, ihrem Kinde die natürliche Nahrung zu reichen. Das Gedeihen des jungen Erdenpilgers, wie ihr eigenes, hängt von der Erfüllung dieser einfachen Pflicht ab.

Alles in der Umgebung des Kindes sei von untadeligster Reinlichkeit. Vor allem aber trage man Sorge, durch fleißiges Lüften und schleuniges Entfernen jener Dinge, welche die Luft verunreinigen, dem Kinde und allen, die das Kinderzimmer betreten, eine Luft zugänglich zu machen, welche nicht Beleidigendes für die Nase und nichts Gefährliches für die Lunge hat.

Ist man so eifrig bestrebt, das leibliche Wohl des Kindes sicherzustellen, so vergesse man darüber doch nicht die stete Sorge für seine geistige Ent wicklung. »Früh übt sich, was ein Meister werden will!« Darum können wir es gar nicht genug empfehlen, mit der Erziehung sehr zeitig zu beginnen, insonderheit aber mit der Gewöhnung zu seiner Sitte.

Um das Gewünschte zu bitten, für das Erhaltene zu danken, werde dem Kinde früh zur zweiten Natur gemacht. Sobald es zu reden anfängt, gewöhne man es an eine verständige, deutliche Sprechweise, und für die Folge halte man darauf, daß seine Art zu reden edel und gewählt sei. Es gewöhne sich, Fremde mit dem ihnen gebührenden Titel und, »Sie« anzureden. Man präge ihm ein, daß es in Gegenwart Erwachsener ungefragt nicht reden darf, dann aber verständlich und bescheiden zu antworten hat.

Wahrheitsliebe, Gehorsam, Höflichkeit, Dienstfertigkeit, Bescheidenheit, Ordnung und Sauberkeit müssen in einem Hause, das Anspruch auf Lebensart macht, die Kardinaltugenden jedes Kindes sein. Hierin wird, wie in allem, das gute Beispiel wieder die Hauptrolle spielen. Erwarte keine unbedingte Wahrheitsliebe von deinem Kinde, wenn es dir selbst auf kleinere oder größere Unwahrheiten nicht ankommt. Darum zahle lieber ein Billet und mache dein Kind nicht jünger, laß dich nicht vor dem Besuche verleugnen und vermeide es, die Unarten der Kleinen vor dem Vater oder anderen Respektspersonen zu »vertuschen«.

Lehre sie auf Worte und Blicke merken; denn Ermahnungen oder Schelte in Gegenwart Fremder würden der guten Sitte widersprechen, und doch ist es oft nötig, sie auch vor anderen zu berufen. Hat man sie gelehrt, einem Winke der Augen zu gehorchen, so macht sich das in diesem Falle sehr leicht. Ein Befehl von Vater, Mutter, Lehrern, Erziehern oder sonstigen Respektspersonen muß ohne Widerrede erfüllt werden, bloß weil er gegeben ist. Nur keine großen[112] Disputationen mit Kindern: der Vater, die Mutter will, – und das Kind muß, so ist es guter Ton.

Lehre die kleinen Knaben fleißig das Mützchen ziehen und eine Verneigung machen. Mädchen grüßen durch einen Knicks, der gar nicht anmutig und zierlich genug sein kann. In vielen Gegenden ist es guter Ton, daß die Knaben, sowie die heranwachsenden Jünglinge und jungen Männer, die Damen durch einen Handkuß begrüßen, die Mädchen und die jüngere Damenwelt küssen den älteren Damen die Hand. Man achte darauf, den Handkuß elegant auszuführen, ein täppisches Zufassen ist unschön.

Der Höflichkeit nahe verwandt ist die Dienstfertigkeit, sie ist die Krone des Zartgefühls und ein echter Gradmesser des guten Tones. Erlernen läßt sie sich kaum; denn: »Alles kann der Mensch sich geben, alles lernen, nur Zartgefühl nicht.« (Feuchtersleben.) Dennoch kann man viel thun, um das schlummernde Zartgefühl zu wecken. Lehre dein Kind, gern und freudig sein eigenes Vergnügen dem anderer nachzustellen, gewöhne es früh an kleine Opfer, so wirst du den Hauptgegner des Zartgefühls und der Dienstfertigkeit, die Selbstsucht, langsam und sicher bis auf das kleinste Maß herabdrücken.

Denke aber nicht, daß nur die Mädchen zur Selbstverleugnung da sind, sondern präge sie deinem Knaben noch viel sicherer ein. Übe ihn früh in kleinen Ritterdiensten. Beim Spielen muß er den Mädchen den Vorrang lassen und das Wegräumen der Spielsachen übernehmen. Schirme und Tücher trage er bei Spaziergängen und hole das im Garten vergessene Taschentuch der Schwester ohne besonderen Befehl.

Hast du dein Kind zum Gehorsam, zur Höflichkeit und Dienstfertigkeit gewöhnt, und sein Benehmen befriedigt dich, so zerstöre durch überflüssiges Loben nicht seinen schönsten Schmuck: die Bescheidenheit. Je vollkommener ein Mensch ist, desto bescheidener ist er, das präge dir und deinem Kinde ein. Daß überall die Kinder zuletzt kommen, ist natürlich.

Gewöhne dein Kind zum ruhigen bescheidenen Anhören eines Tadels; Widerspruch sei in deinem Hause ebenso streng verpönt, wie Unordnung und Unsauberkeit.

Dulde nie Schmutzsinger bei den Kleinen und sollten sie 24 mal des Tages gewaschen werden, laß es dich nicht verdrießen, selbst wenn du es allein besorgen mußt. Zerrissene und unsaubere Kleider, zerflederte Bücher und Hefte sind Dinge, die für wohlerzogene Kinder nicht schicklich sind.

Durch eine verständige Strenge ersparst du dir und deinen Kindern viele Ungelegenheiten.[113]

Denke niemals, daß deine Kleinen liebenswürdiger sind, als die Mehrzahl ihrer Genossen, und belästige deinen Besuch nicht mit Vorführen der Wunderkinder. Kinder gehören überhaupt nicht in das Besuchszimmer; denn ihre Gegenwart wirkt für die meisten Erwachsenen störend. Nur auf Wunsch des Gastes dürfen sie ans Tageslicht kommen, um so bald wie möglich wieder zu verschwinden.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 111-114.
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