Der feste Empfangstag.

[51] Der feste Empfangstag, deutsch jour fixe, wird durch Herumsprechen unter näheren und entfernteren Freunden des gastlichen Hauses bekannt. Einladungen dürfen auf keinen Fall erlassen werden, höstens können die Wirte es einem Unbekannten bei passender Gelegenheit an die Hand geben, wann ihr Empfangstag ist, und daß sie eine besondere Freude haben würden, auch ihn an demselben unter den Versammelten zu sehen.

Man wähle für diese Art Geselligkrit einen Wochentag. Von sieben Uhr abends an halten sich die Gastgeber bereit, Gäste zu empfangen. Doch ist niemand mit peinlicher Genauigkeit an die Minute gebunden. Jeder kommt, sobald er Zeit hat; der Geschäftsmann vielleicht erst um 8 Uhr, nach Schluß seines Bureaus, und die Mutter kleiner Kinder um 1/29 nachdem diese zur Ruhe gebracht sind. Jeder ist im einfachen Besuchs- oder auch nur Straßenanzuge, und die Damen bringen eine leichte Arbeit mit, die ihre Hände beschäftigen, aber ihren Geist keineswegs so in Anspruch nehmen darf, daß sie die Unterhaltung darüber vernachlässigen.

Man gruppiert sich nach Belieben und ist durchaus nicht an seinen Platz gebunden. Die älteren Damen bevorzugen gewöhnlich das Sofa, die jüngeren bewegen sich oder nehmen auf den niedrigen Sesseln und Tabourets Platz. Die jungen Herren beleben die Unterhaltung und machen sich bei den Damen beliebt, während die älteren ein Spielchen arrangieren oder ernste Tagesfragen besprechen.

Die Hausfrau oder ihre Töchter bereiten an einem Seitentische den Thee, welcher jedem Neuangekommenen gereicht wird; dazu giebt es Brödchen mit kaltem Aufschnitte und Gebäck. Es wird wiederholentlich angeboten, und jeder langt ungeniert zu.[51]

Musikalische und andere Vorträge würzen den Abend. Während derselben müssen die Handarbeiten der Damen ruhen, weil ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem Vortragenden zugewendet sein soll. Viele Sänger oder Sprecher lassen beim Vortrage die Augen umherschweifen und fühlen sich außerordentlich gestört, wenn sie wahrnehmen, daß ohne Rücksicht weitergearbeitet wird. Daß man während der Vorträge zu schweigen hat, erwähnten wir bereits.

Um 10, spätestens 11, trennen sich die Gäste, nachdem sie den Wirten ihren herzlichen Dank für den hübschen Abend ausgesprochen haben.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 51-52.
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