Geburtstage.

[136] Den Tag, an welchem einst ein Familienmitglied das Licht der Welt erblickte, festlich zu begehen, hat gewiß seine Berechtigung. Aber es ist entschieden ungehörig, bei Geburts- resp. Namenstagen kleiner Kinder eine Gesellschaft Erwachsener zu laden, in welcher dann das Geburtskind die Hauptrolle spielt. Wie verderblich dieses für seinen Charakter werden kann, müßte sich jeder verständige Mensch selbst sagen können. Kinder müssen gar nicht merken, daß sie beachtet werden, das zerstört ihre kindliche Unbefangenheit und Bescheidenheit. Es ist daher besser, sobald das Kind anfängt zu denken, also etwa vom dritten Jahre ab, die Gesellschaft auf einen anderen Tag zu verlegen, den Geburtstag aber in der Familie mit den kleinen Gespielen des Geburtstagskindes zu begehen.[136]

Am hübschesten ist es, kleinen wie großen Familienmitgliedern morgens gemeinsam zu gratulieren. Zu diesem Zwecke wird in der Wohnstube oder im Salon ein Tisch mit Blumen und Geschenken geschmückt und in die Mitte der Geburtstagskuchen mit den bunten Lichtlein nach der Anzahl der Jahre gestellt. Der ganze Familienkreis erwartet hier das Geburtstagskind, welches vom Vater oder der Mutter hereingeführt wird, alle Glückwünsche entgegennimmt und dann zur Bewunderung der Geschenke übergeht. Man mache es sich zur Regel, Kinder niemals mit Gaben aller Art zu überhäufen. Einige praktische und nötige Dinge, einige einfache Spielsachen, nützliche und unterhaltende Bücher und vielleicht ganz wenig Näschereien mögen erlaubt sein, und zwar je weniger desto besser. Für den Geburtstagstisch der Erwachsenen lasse man den Grundsatz walten: nur nicht alle möglichen sinnlosen Dinge schenken, blos um zu schenken.

Bei einigem Nachdenken wird jeder leicht das herausfinden, was dem anderen wirklich Freude macht; und es ist besser gar nichts zu schenken, als etwas, das diesen Zweck nicht erfüllt. Der Wert des Geschenkes liegt keineswegs im Kostenpunkte, sondern in der Liebe, mit der es gewählt und gegeben wird. Wenn wir zu bestimmen hätten, so würden wir die Geschenke auf den Familienkreis beschränken und höchstens noch an sehr liebe Verwandte erlauben, das Beschenken von Freunden und Bekannten bis ins siebente Glied aber als unpraktisch und kostspielig verbieten. Der gute Ton verlangt auch keineswegs ein solche Bethätigung unserer Freundschaft.

Den Familienmitgliedern untereinander sind selbstverständlich alle Arten von Gaben gestattet. Freilich wird es richtig sein, wenn die Kinder den Eltern gegenüber Dinge wählen, die viel Fleiß und Mühe und wenig Geld kosten. Die Eheleute mögen sich gegenseitig nicht nur Haushaltungsgegenstände schenken, sondern auch etwas persönlich werden, damit die Sache keinen zu kühlen Anstrich erhält. Auch begehe die Gattin nicht die Widersinnigkeit, ihrem Manne Stickereien, Teppiche, Malereien etc. zu überreichen, die nachher in ihr Zimmer oder in den Salon wandern.

Als Freund oder Freundin wähle man Dinge, die zweckentsprechend und verwendbar sind, niemals aber solche, die durch ihre Kostbarkeit in Verlegenheit setzen. Ein passendes Geschenk, in freundlicher Weise dargereicht, wird stets erfreuen und Dankbarkeit hervorrufen. Die Kunst des Schenkens ist entschieden ein Prüfstein seiner Bildung und wahrer Herzensgüte.

Ein Herr darf einer Dame nur einen Blumenstrauß, bei sehr naher Bekanntschaft allenfalls eine Bonbonniere, ein Buch, ein Bild[137] oder ein Notenstück überreichen. Er kann nie vorsichtig genug hierber sein, und es entspricht dem guten Tone besser, gar nichts zu schenken als durch eine unbedachte Gabe sich in den Ruf der Ungeschicklichkeit und Aufdringlichkeit zu bringen.

Man sendet das Geschenk entweder recht früh des Morgens mit einer Besuchskarte, oder man überbringt es selbst bei der Gratulation. Dieselbe wird am besten zwischen 11 und 1 Uhr mittags abgestattet In manchen Gegenden ist es Sitte, die Geschenke am Abende vor dem Festtage zu übersenden oder wohl auch personlich mit der Gratulation zu überreichen.

Mit herzlichem Danke nehme man das Geschenk entgegen, entkleide es sofort seiner Hülle und spreche, nachdem man der lebhaftesten Überraschung und Bewunderung Ausdruck verliehen, seinen nochmaligen Dank aus. So will es der gute Ton, auch in dem Falle, wenn das Angebinde unseren Erwartungen keineswegs entspricht. Die Absicht des Gebers wird in den meisten Fällen doch eine gute, liebevolle gewesen sein; darum vergelte man seinen guten Willen durch Dankbarkeit.

Die Gaben werden auf den Geburtstagstisch gelegt zu den übrigen und zwar die geringeren ebenfalls an einen bevorzugten Platz.

Beabsichtigt man an dem Festtage Gesellschaft bei sich zu sehen, so müssen in erster Linie diejenigen geladen werden, welche gratulierten, bittet man auch andere dazu, so geschehe es ohne jede Erwähnung der Familienfeier.

Sind wir von unseren Lieben räumlich getrennt, so ist es dennoch nötig, ihnen glückzuwünschen, und zwar ist hier ein Brief einer Karte oder einem Telegramm vorzuziehen, weil er zeigt, daß der ferne Gratulant dem Geburtstagskinde gern eine Stunde oder auch zwei gewidmet hat. Eine Gratulation durch Inserat, wie man sie neuerdings zuweilen in den Spalten der Tageblätter sieht, entbehrt nicht nur jedes Sinnes, sondern ist auch vollständig unvereinbar mit guter Lebensart.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 136-138.
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