Der Lehrer und der Schüler.

[71] Wir wollen hier nicht von den öffentlichen Lehranstalten und das durch sie bedingte Verhältnis des Lehrers zum Schüler sprechen, weil dieses durch die Schulgesetze vollständig klargestellt ist, sondern wir wenden unsere Aufmerksamkeit den Fällen privater Lehrthätigkeit zu.

Welche Gründe uns bestimmen, die Kraft eines Lehrers für uns allein zu beanspruchen, ist hier gleichgültig. Nur dürfen wir nie vergessen, daß man demselben zwar seine Zeit, niemals aber die aufgewandte Mühe und das rege Interesse, welches er an der Förderung des Schülers nimmt, bezahlen kann: diese Schuld läßt sich nur durch Dankbarkeit ausgleichen.

Vor Beginn der Unterhandlungen ziehe man genaue Erkundigungen über den Lehrer ein. Seine Methode, sein Charakter, der Stundenpreis u.a. sind Dinge, aus denen man ein Urteil gewinnt, ob die geeignete Persönlichkeit gefunden ist. Dem Betreffenden gegenüber sind solche Fragen nicht leicht zu erledigen; wenigstens gehört ein sehr sein ausgeprägtes Zartgefühl dazu, und nicht jeder kann sich eines solchen rühmen. Nach Beendigung der Präliminarien begiebt man sich, um das Nähere zu besprechen, zu dem Lehrer, falls der Unterricht in dessen Behausung stattfinden soll. Wünscht man im eigenen Hause Stunden zu nehmen, so kann man den Herrn in einem besonders höflichen Briefe um seinen Besuch bitten und mit ihm die Einzelheiten ordnen.

Die Honorarfrage muß selbstredend berührt werden, denn die Erkundigungen geben immer nur einen gewissen Anhalt; der Preis kann durch den Unterrichtsgegenstand, den Schüler u. dgl. sehr leicht verschoben werden. Man wende die größte Geschicklichkeit auf, um dieses peinliche Thema erträglich zu erledigen. Erscheint einem der Satz zu hoch, so bleibt nichts übrig, als auf die Stunden zu verzichten. Feilschen ist an dieser Stelle einfach unmöglich und ließe sich vor dem guten Tone durch nichts rechtfertigen. Es sei erwähnt, daß Stunden, die man im Hause des Lehrers empfängt, stets[71] niedriger im Preise stehen, als solche, zu denen er sich zum Schüler bemüht. Manche Lehrer verstehen sich überhaupt nicht dazu, außer dem Hause Stunden zu erteilen, und wer ihrer Geistesschätze teilhaftig werden will, darf sich den Weg zu ihnen nicht verdrießen lassen. Der gute Ton kann durchaus nichts dagegen haben; höchstens erfordert er in dem Falle, wo es sich um ein junges Mädchen und einen noch jugendlichen Lehrer handelt, die Begleitung einer älteren, verständigen Person. Freilich empfehlen wir bei einem solchen Zusammentreffen auch die Gegenwart eines Dritten, wenn der Unterricht in der Behausung der Schülerin stattfindet.

Die festgesetzte Zeit pünklichst innezuhalten, ist für Lehrer und Schüler einfache Pflicht der Höflichkeit. Sollte es ja einmal nicht möglich sein, mit dem Glockenschlage anzutreten, so hat sich der Verspätende mit größter Artigkeit zu entschuldigen. Wünscht einer von beiden die Stunde ausfallen zu lassen, so benachrichtigt er den anderen zuvor in höflicher Weise davon. Bei einem Honorarabkommen pro Stunde finden wir es unschicklich, wenn der Schüler häufig absagt. Wird dieses dringend nötig, dann hat er sich wenigstens zu erbieten, das Versäumte nachzuholen. Im umzekehrten Falle, nämlich bei monatlicher Bezahlung, hat der Lehrer wiederum sehr peinlich im Innehalten der Stunden zu sein und seinerseits jede überschlagene nachzugeben.

Beim Bezahlen nach Stunden vermeidet man Ungewißheiten und Irrtümer am besten durch Marken, welche dem Lehrer am Schlusse jeder Stunde ausgehändigt und am Ende des Monats durch das Honorar eingelöst werden. Die Bezahlung muß selbstverständlich sehr prompt erfolgen; nichts wäre unschicklicher, als wenn man es erst zu einer Erinnerung vonseiten des Lehrers kommen ließe. Der Betrag wird im geschlossenen Couvert überreicht, wenn irgend angängig in Gold oder Papier oder doch wenigstens in großen Silberstücken; Kleingeld zu geben ist unschicklich. Auch finden wir es anständiger und taktvoller, wenn nicht der Schüler, sondern die Eltern, oder deren Stellvertreter, dem Lehrer das Couvert mit einem passenden Dankesworte aushändigen. Bleibt der Unterricht ohne sichtbaren Erfolg, so ist es einfache Pflicht des Lehrers, dieses den Eltern mitzuteilen und ihnen die Fortsetzung desselben anheimzustellen.

Es ist zweckmäßig und Sache seiner Lebensart, den Lehrer zu bitten, das Unterrichtsmaterial gefälligst selbst zu besorgen; denn es wäre sehr anmaßend, ihm zuzumuten, seine Methode dem etwa vorhandenen anzupassen. Man kann ihm dasselbe wohl vorlegen, sobald er es jedoch verwirft, muß ihm vollständig freie Hand zu[72] weiteren Anschaffungen bleiben. Überhaupt wird man beim Ankaufe von Dingen, die in sein Fach schlagen, seinen Rat gern hören und befolgen. Ist der Lehrer einmal um seine Meinung befragt, so wäre es eine große Unart, derselben nicht zu folgen, und man könnte sich durchaus nicht wundern, wenn eine solche Nichtachtung ihn dauernd verstimmte oder vielleicht gar zur Aufgabe des Unterrichts veranlaßte.

Wir können den Schülern Hochschätzung und strengstes Beachten der äußeren Form gegen ihren Lehrer nicht genugsam empfehlen. Damit sie aber in diesen Dingen fest bleiben, ist das gute Beispiel der Eltern und sonstigen Erwachsenen im Hause dringend nötig. Wir sagten fest bleiben; denn daß jedes unverdorbene Kind seinem Lehrer ursprünglich mit hochachtungsvoller Scheu entgegentritt und in ihm eine Art höheres Wesen erblickt, ist gewiß. Die Zweifel an der Vollkommenheit derselben werden erst in das arglose Herz gestreut durch die abfälligen Kritiken, welche vor seinen Ohren laut werden. Darum mögen es sich die erwachsenen Familienmitglieder zur festen Regel machen, in Gegenwart des Schülers nie Ungünstiges über den Lehrer zu sprechen, und wo sie persönlich mit letzterem zusammentreffen, sich der rücksichtsvollsten Höflichkeit und größten Hochschätzung zu befleißigen. Am dritten Orte behandelt man ihn wie einen sehr lieben Bekannten; ein Übersehen wäre höchst unschicklich. Im eigenen Hause aber, vorzugsweise bei geselligen Zusammenkünften, wird man jederzeit bestrebt sein, ihm ganz besondere Ehre zu erzeigen.

Am Geburts- oder Namenstage, wie zu Neujahr, darf der Schüler nicht verfehlen, dem Lehrer durch eine Karte seine Aufmerksamkeit zu beweisen, und es ist ein Zeichen liebenswürdiger Teilnahme, wenn die Eltern sich ihm anschließen. Im umgekehrten Falle kann eine ähnliche Artigkeit von dem Lehrer nicht erwartet werden, doch wird derselbe sie den Eltern sicherlich erzeigen, wenn er auf Lebensart hält. Seines Schülers an solchen Tagen freundlich zu gedenken, steht ihm ebenfalls sehr wohl an. Auch Geschenke dürfen dem Lehrer vonseiten des Schülers gemacht werden. Doch warte man dazu passende Gelegenheiten ab und sei bedacht, recht vorsichtig und zart dabei zu Werke zu gehen. Erfolgt der Unterricht unentgeltlich, wie es bisweilen, durch besondere Umstände veranlaßt, geschieht, so hat man sich selbstverständlich durch ein größeres Geschenk dafür zu revanchieren.

Der gute Ton erfordert, daß der Schüler nach Abschluß des Unterrichtes dem Lehrer entweder einen Besuch in Begleitung des Vaters oder der Mutter macht oder schriftlich nochmals seinen Dank[73] ausspricht, nachdem es in der letzten Unterrichtsstunde bereits mündlich geschehen ist. Stand der Lehrer stets auf herzlichem Fuße mit den Angehörigen des Schülers, so erwidert er den Besuch nach etwa zwei bis drei Wochen, was durchaus kein zwingender Grund für einen weiteren Verkehr ist.

Daß alles, was wir hier vom Lehrer und Schüler sagten, ebenso gut für die Lehrerin und Schülerin gilt, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Zum Schlusse aber möchten wir es den Lehrenden noch besonders ans Herz legen, ihren Anzug stets tadellos zu halten und sich eines mustergiltigen Benehmens zu befleißigen. Auch im eigenen Hause darf es ihnen nicht beikommen, Stunden im Schlafrocke zu erteilen oder während derselben zu rauchen, und sehr unschicklich wäre es, in einem Zimmer zu unterrichten, das von Störungen nicht frei gehalten werden kann.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 71-74.
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