»Der Winter wird in Weimar zugebracht.«

[135] Ich schrieb an meine Freunde den neuen Unfall, der mir zugestoßen, gewiß wieder ohne mein Verschulden. Unter diesen Freunden war auch Freund Gotter, dem ich's nach Gotha schrieb. Er, der mich kennt mit und ohne meine Fehler, aber trotz des ersteren des letzteren wegen nicht aufhören kann, mein Freund zu sein, schrieb mir von Herrn Bellomo, der mit seiner Gesellschaft in Gotha jetzt auf dem Rathaus spielte, den Sommer sich in Eisenach und Erfurt aufhalten würde. Der Winter aber würde in Weimar zugebracht. Wollte mir bei solchem Engagement anraten und verschaffen. Nie hatte ich in meinem Leben von einem Herrn Bellomo gehört. Aber die Worte »der Winter wird in Weimar zugebracht«, brachte in mir eine Art von guter Vorempfindung[135] hervor in demselben Grade, wie die schreckliche war, da ich die Spitzen von Hamburgs Türmen sah. Ich schrieb Freund Gotter »Ja«, und meine Bedingung: hauptsächlich dem Fach der ersten, ernsthaften Mütter mich zu widmen. Wäre dieses Vorgefühl bei dem Satz »der Winter wird in Weimar zugebracht« nicht gewesen, nie hätte ich mich für die jämmerliche Gage, 5 Taler die Woche, engagiert. Daß ich meine 315 Gulden, die ich in Bonn eingenommen, nicht verzehrt, kann man denken. Geld hatte ich, und war gesonnen, eine Reise in die Welt zu machen, hatte auch schon meine Orte, die ich besuchen wollte, im Sinn. Aber nun? Nach Weimar! Ja, nach Weimar!

Den 18. Mai reiste ich von Bonn ab und kam den 26. in Eisenach an. Wie ich durch Frankfurt reiste, ging ich, weil ich mich der Post wegen einige Tage dort aufhalten mußte, zum Theater. Wie ich sagte, ich ginge zu Herrn Bellomo, so sagte Herr N. zu mir: »Um Gotteswillen, Madame, tun Sie das nicht! Sie verlieren Ihr ganzes Ansehen bei allen Theatern.«

Ein kalter Schauer überfiel mich, und ich mußte mich fassen, um bei dem Donnerwort meine Ehre zu retten. Auch sagte ich keine ganze Lüge: »Der Winter wird in Weimar zugebracht, ich bin bei dem Hof in Weimar engagiert und« – ich stotterte die Worte – »nicht bei Bellomo.« Himmel, dachte ich, was ist das? Man verliert sein ganzes Ansehen und seine Theaterreputation, wenn man sich bei Bellomo engagiert? Und wie konnte, wenn Gotter das wissen sollte, wissen mußte, dir raten, dahin zu gehen? Herr N. sagte ferner, er hätte in Dresden im Bade gespielt mit zusammengerassten Leuten, wäre ganz erbärmlich im Rufe usw.

Alles spekulierte ich denselben Abend noch durch und hielt folgenden Monolog an die tapezierten Wände meines Zimmers in dem »Wirtshaus zum Schwan«: Bellomo muß also noch ein nagelneuer Direkteur sein. Hat bei Dresden im Bade gespielt. Seyler hat ja, wo dir recht ist, auch da gespielt. Spielen nicht mehr Direkteurs in Bädern? Warst du nicht selbst mit Ackermanns in Baden in der Schweiz und in Sulzbach[136] bei Kolmar? – Hätte zusammengeraffte Leute? Ist es den besten Direkteurs besser gegangen?

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 135-137.
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