16.

[29] Der große Anstand will Ehrfurcht vor sich gezeigt sehen, will mir seinem Blicke begnadigen, mit seine Winken befehlen, mit seinem Ernste Ehrfurcht gebieten, und mit seiner freundlichen Miene belohnen. Hierzu bedarf er einer gewissen Gravität, eines feierlichen Ansehens, einer festen und geraden Körperhaltung, die sich wenig beugt und gar nicht schmiegt, den Kopf zuweilen sanft erhebt und zurücklegt, aber nicht wirft und sich überhaupt nicht so gelenkig und gewandt zeigt, nicht schnell geht, eines Ernstes, durch den nur zuweilen ein Lächeln hindurchblickt, und vor Allen der weisen, nachdenkenden Miene, die überlegt und abwägt, und die Hände so wenig als möglich bewegt. Eben dieser Anstand, wenn er die väterlich ernste Miene zu sich herübernimmt, läßt sich den Kanzelredner empfehlen, denen der zu geschmeidige nicht fest genug gehaltene Anstand, das Fechten und Schlagen mit den Händen sehr schlecht steht, und die sich Würde, die sich vorzüglich in den genannten Bezeichnungen des großen Anstandes äussert, empfohlen seyn ließen.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 29.
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