152.

[123] Diese edle Natürlichkeit äußert sich gewöhnlich durch Freimüthigkeit und Offenherzigkeit, die freilich der Vorsicht, den eingeführten Verhältnissen der Sittlichkeit und Höflichkeit nicht zuwider seyn darf. Sie verheelt ihre Empfindungen oft eben so wenig wie ihre Meinungen über eine Sache, sagt frei, aber mit dem höflichsten Tone, mit der Miene, die nie beleidigen möchte, Wahrheit; gesteht ihrem Freunde ohne Verstellung ihre Fehler, aber nicht ohne Klugheit, das heißt, sie[123] gesteht nur solche, die sie nicht verhaßt machen können, und die sie sagen kann, ohne sich Schaden zu thun, die ihr Gutes vielmehr desto heller heraus heben.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 123-124.
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