37.

[68] Schämen Sie sich der sanften Rührung nie und wehren Sie der Thräne nicht, die aus einem theilnehmenden freundschaftlichen Herzen in das Auge fließt, oder welche der hohe Enthusiasmus für das Große, Erhabene und Feierliche, die innig gefühlte Freude, die keine Worte hat, und die Hoffnung erregt; sie ist in dem männlichen Auge ein schöner Reiz, und verräht nichts weniger, als Weichlichkeit, sondern wahres starkes Gefühl. Aber Thränen des eignen Kummers oder des Unglücks lassen Sie wenig oder nie sehen, sie entstellen den standhaften Mann, und drängten sie dennoch das Herz einmal wider Ihren Willen, in Ihr Auge hinauf, so richten Sie sich schnell empor, und verwandeln Sie, zumal wo Sie bemerkt werden, dieselben in den gelassenen Blick des Mannes. Arbeiten Sie da gegen sich, es bringt Ihnen bei andern und in sich selbst Nuzzen.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 68-69.
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