79.

[84] Im Gesange darf sich die Stärke der Empfindungen, der Grad der Gefühle deutlicher[84] und erlaubter zeigen, als in der Sprache des Umgangs, und er wird schon dadurch ein vorzüglicherer Reiz. Man wird dadurch wie durch das Vorlesen in Lagen der Empfindung versetzt, in denen man sich im gewöhnlichen Leben vielleicht sonst nie zeigen kann. Die leisesten feinsten Empfindungen können sich hier eben so gut, als die stärksten äussern; Herzlichkeit, Wärme, Liebe, Geschmack, Phantasie, Enthusiasmus u.s.w., haben hier Gelegenheit, sich in ihrer ganzen Kraft zu zeigen.

Quelle:
Siede, Johann Christian: Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit. Dessau 1797, S. 84-85.
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