das Weihnachtsfest

[22] wegen des diesem anhaftenden Charakters der Allgemeinheit sich ausführlich zu verbreiten, wogegen der Protest des armen Lesers ebenso ohnmächtig sein wird.

Namentlich die jüngere Generation erwartet vom Weihnachtsfest die Erfüllung weitgreifender Wünsche. Wünsche sind ja die Seele der jüngeren Generation, um die sie von der älteren beneidet wird. Der ältere Mann und, wenn es eine solche giebt, die ältere Frau wünschen eigentlich heute nur, von den Wunschzetteln der jungen Jahrgänge nicht allzuhart in Anspruch genommen zu werden. Das nützt ihnen allerdings wenig. Die Jugend wünscht, mag das Alter noch so ausdrucksvoll seufzen, und sie wünscht, daß ihr Wünschen augenblicklich in Erfüllung gehe, keine Freundin des hier schon zitierten Goetheschen Worts, nach welchen man im Alter die Fülle dessen hat, was man in der Jugend wünscht. Hic Rhodus, ruft sie dem Alter zu, hic salta, so schwer dem Alter das Springen werden möge.

Ich glaube, nicht zu irren, wenn ich annehme, – das Annehmen ist ja zum Weihnachtsfest eine der beliebtesten Thätigkeiten, – daß der größte Fehler welcher bei dem Herbeilocken von Festgeschenken begangen[22] werden kann, dadurch begangen wird, daß es zu offen betrieben zu werden pflegt. Mehr oder weniger, aber mehr mehr als weniger Staatskunst ist anzuwenden, oder, um es banal auszudrücken, es muß schlau angefangen werden. Das brutale Begehren macht die auserlesenen Opfer verdrossen und verstimmt und ermutigt sie, nicht recht zu verstehen. Wer etwas geschenkt haben will, muß von den Chinesen lernen, welche fortwährend und zwar am deutlichsten im Jahre 1900 den Wunsch hatten, die Fremden loszuwerden, dies aber so plump äußerten, daß sie bekanntlich die Fremden nicht nur nicht losgeworden sind, sondern sie in solchen Massen auf den Hals bekamen, daß ihr Hals sie bald nicht mehr hat tragen können. Der Wunsch muß diplomatisch geäußert werden, man darf die Absicht nicht merken lassen.

Dies mögen sich die jungen Frauen notieren. Sie müssen sich jetzt sehr in acht nehmen, ihre Wünsche laut werden zu lassen. Sie müssen thun, als dächten sie gar nicht an den Platz unter den Zweigen des Tannenbaumes. So kommt ihnen der Gatte, der durch das Schweigen nachdenklich geworden, geschlichen, und eines Tages rückt er mit der berühmten Frage heraus, was sich seine Mustergattin wünsche. Dieser Moment ist sorgfältig durch Verabreichung von Leibgerichten vorzubereiten. Ein Gatte mit zugeknöpften Taschen wird, wenn er sich vor ein Leibgericht zitiert sieht, milde gestimmt. Schon der Duft der Schüssel löst ihm einen Taschenknopf. Das darf aber die junge Frau nicht merken, selbst dann nicht, wenn der Gatte mit einigem Augenleuchten, oder mit Ausdrücken des Behagens die Serviette hißt und dann mit der Frage: »Sage mir doch, was willst du denn eigentlich zu Weihnacht haben?« diese Ceremonie, welche in der modernen Geschichte als Hissen der Flagge eine so beliebte geworden ist, begleitet. Ist diese Frage[23] gefallen, und sie fällt! – so hat die Diplomatie der Damen einen Hauptschlag auszuführen.

»Nichts,« hat sie energisch zu antworten.

Der Gatte macht ein Gesicht, als habe er nicht verstanden. Die Gattin kommt ihm in der liebenswürdigsten Weise zu Hilfe, d.h. eigentlich: sich, und wiederholt das bedeutende Wort. Der Gatte sitzt sprachlos da. Ein Achtungserfolg ersten Ranges! Endlich sagt er: Ich verstehe immer: Nichts.

Ich habe es ja auch deutlich genug geäußert, erwidert die Gattin mit einem leisen Anklang von Nervosität. Nichts, da hast du es dacapo, ohne daß du besonders begeistert applaudiert hast. Du klagst fort während über die schlechten Zeiten und mit Recht. (Dies wird auch gesagt, wenn der Gatte gar nicht geklagt hat.) Die Börse ist flau. Du hast Verluste gehabt. (Auch wenn die Börse nicht flau ist und wenn der Gatte keine Verluste hatte.) Und da sollst du noch das schöne Geld für Schmuck, oder für eine neue Balltoilette ausgeben? (Dergleichen wünscht sie sich nämlich.) Das geht nicht, das leide ich nicht. Es sind ja schöne Dinge (das trifft!), aber sie laufen uns ja nicht davon, wenn die Zeiten besser werden. Also seien wir vernünftig und sparen das schöne Geld. Basta!

Nun ist der Gatte gerührt! Man sieht ihn förmlich schon, wie er in die Läden geht, wo der Schmuck und die Balltoilette zu haben sind, denn er kann unmöglich solchem Edelmut seiner Gattin gegenüber an diesen Läden vorbeigehen. Er sagt sich, daß er merkwürdiger Weise das vernünftigste Weib des Vaterlandes zur Gattin erkoren hat. Das war eine Wahl!

Die im Hause verkehrenden Herren sind natürlich mit größerer Härte zu behandeln. Die Dame wird mit Leichtigkeit irgend eine Gelegenheit ergreifen, mit ihnen in der ersten Dezemberwoche in Streit zu[24] geraten und dadurch beleidigt zu erscheinen. Solche Gelegenheit ist leicht gegeben. Schon die Äußerung des Hausfreundes: »Sie sehen heute brillant aus,« an der es ja niemals fehlt, und die Antwort der Dame: »Warum gerade heute?« ist ein casus belli von außerordentlicher Nützlichkeit. Namentlich hat die Dame einen solchen hervorzurufen, wenn die Hausfreunde zu jenen Förderern des Konditorgewerbes gehören, die sich auf dem Gabengebiet in Torten verbissen haben, die alle zu essen keine Familie groß genug ist, so daß schon nach zwei Tagen die Portiersfrau mit gewaltigen Stücken entzückt werden muß, während bereits alle Kinder des Hauses über Magendrücken klagen. Ein speziell berlinischer Kuchenunfug ist der Baumkuchen, ein Ungetüm, welches unter den Geschenken dadurch sehr beliebt worden ist, daß die Geber nicht nachzudenken brauchen, und so in ganzen Wäldern da anzutreffen sind, wo solche Geber verkehren. Woher der Baumkuchen den Namen hat, wird kein Botaniker wissen. Vielleicht heißt er so, weil dafür gesorgt ist, daß solche Bäume nicht in den Himmel wachsen, indem alles Lebende im Hause sofort sich damit beschäftigt, ihn knabbernd zu fällen, woran wochenlang gearbeitet wird, bis seine klebrigen Überreste endlich in die Rumpelkammer kommen. Damen, in deren Haus solche Baumkuchengeber verkehren, ist jeder diplomatische Tric zu entschuldigen, welcher es erreicht, daß sie in sich gehen und, um die Tortengegnerin zu versöhnen, sie jenseits von Kuchengut und Böse mit anderen und nützlicheren Gaben zu überraschen.

Das Kapitel der Hausfreunde ist indes damit nicht abgeschlossen. Wenn auch nach der Geschenkrichtung hin viel von Hausfreunden gesündigt wird, so darf nicht vergessen werden, daß auch das Haus nicht immer richtig mit den Hausfreunden verkehrt.

Wenn der Hausherr in seiner Eigenschaft als[25] Rauchdilettant für seine Freunde nur Cigarren besitzt, deren Menschenfeindschaft sich durch Kohlen oder Strohcharakter äußert und die nicht stubenrein sind, indem sie jede anständige Nase verletzen, so führe der Hausfreund eine bessere Zeit dadurch herbei, daß er in die Familie eine Cigarre hineinschenkt, welche gut erzogen ist und so den Hausherrn allmählich an eine anständige Sorte gewöhnt. Dieser Egoismus ist wohl selbst um Weihnachten herum nicht sündhaft.

Ist ein Hausfreund in eine der Tochter verliebt und gedenkt er, nächstens im Frack zu erscheinen, um als Antragsteller einen feierlichen Eindruck zu machen, so fürchte er nicht, in den Augen der um das Wohl ihres Kindes besorgten Eltern als Verschwender zu erscheinen, wenn er reiche Geschenke bringt. Solchen gegenüber sind auch die besorgtesten Eltern von größter Nachsicht erfüllt.

Liebt der Hausfreund ruhige Abendstunden, so hüte er sich, die neuesten Tanzkompositionen unter den Tannenbaum zu stiften. Gewöhnlich sind die Damen Anfängerinnen, also grausame Klavierboxerinnen, welche keinen Pardon geben.

Hat er schon Dutzende von gestickten Handschuhen und Sofakissen, so mache er recht zeitig kein Hehl daraus, wenn er sich nicht später die bittersten Vorwürfe machen will, nachdem jene greulichen Stickereien vermehrt worden sind.

Schenkt man ihm eine mit Stickereien ausgestattete Cigarrentasche, so schenke er sie nicht weiter. Er hat gewiß ohnedies schon Feinde genug.

In der ersten Hälfte des Dezembers klopfe auch der intimste Freund des Hauses nicht an eine Thür, ohne auf ein deutliches Herein zu warten. Die in der Stube befindlichen Damen haben allerlei Stickereien vor, und es könnte doch eines dieser furchtbaren Dinge für den Besuchenden bestimmt sein, der aus Klugheitsgründen[26] der Stickerin Zeit lassen muß, die Arbeit zu verstecken, da im anderen Fall jede Überraschung fortfällt, welche möglicherweise das einzige Gute an dem Geschenk ist.

Wird nichts versteckt, so hat man dieses gleichfalls als eine scharfe Mahnung aufzufassen, sich rechtzeitig nach einem Weihnachtsgeschenk umzuschauen.

Man bereite sich durch tüchtige Übungen für den Moment vor, in welchem die Überreichung des Geschenks stattfinden wird. Diese Übungen haben darin zu bestehen, daß man gute Miene zum bösen Spiel macht, damit man eine solche im entscheidenden Augenblick virtuos machen kann, da das Geschenk doch gewöhnlich etwas ist, was man nicht zu gebrauchen und womit man nicht zu bleiben weiß, wenn man für derlei keine besondere Schreckenskammer in seiner Wohnung hat.

Wer ein humaner Mann ist, schenkt auch eine solche Gabe nicht weiter. Selbst demjenigen, der jemand etwas Böses zugedacht hat, mag zu überlegen empfohlen sein, ob es nicht edler sei, zu vergeben, als sich zu rächen.

Man schenke Damen keine Autographenfächer und auch kein Autographenalbum. Schriftsteller und Künstler sind ohnedies sehr in Anspruch genommen und, wenn dies nicht, doch schon eitel genug. Man soll überhaupt nichts auf Kosten anderer verschenken.

Wird ein Hausfreund durch ein Paar gestickter Pantoffel freudig überrascht, so finde er sich in Demut darein und tröste sich mit dem Bewußtsein seiner Unschuld. Solche Morgenschuhe sind ein elementares Ereignis, gegen welches der Mensch machtlos ist.

Liegt ein Gedicht dabei, so lasse er auch dies über sich ergehen. Alle Gedichte gehen vorüber, und es kommt auch wieder die Zeit leidlicher Prosa.

Hat man Kinder zu beschenken, so hat man vorher[27] festzustellen, ob sie Idealisten sind, oder sich der realistischen Richtung angeschlossen haben. Namentlich hat man secessionistischen Backfischen gegenüber in der Wahl der Geschenke sehr vorsichtig zu sein. Noch sind die Kinder, die sich noch nicht von den Puppen, vom Struwelpeter und Robinson, wie überhaupt nicht von allen Idealen losgesagt haben, glücklicherweise in der Majorität, aber die Minorität ist bereits sehr zahlreich, und es ist daher ein Mißgriff nicht ausgeschlossen, ja sogar wahrscheinlich. Also, wie gesagt, Vorsicht.

Mit den gesammelten Werken irgend eines deutschen Klassikers kann man sich heute großen Unannehmlichkeiten aussetzen, und dies wirkt um so unangenehmer, als es ja ein Leichtes ist, ihnen auszuweichen. Dies geschieht, indem man in Gegenwart des zu beschenkenden Kindes wie zufällig von Schillers Gedichten spricht. Zuckt bei dieser Gelegenheit das Kind mitleidig die Achsel, so weiß man genau, was los ist. Man gehe alsdann in eine Buchhandlung, teile den Vorfall mit, und man wird vor eine große Auswahl geeigneter Bücher gestellt werden, welche der antischillerschen Richtung angehören.

Bei Überreichung solcher Bücher an das Kind bitte man es aber, sie recht in acht zu nehmen, damit sie nicht von den vorlauten Eltern gelesen werden.

War das Kind um die vorigen Weihnachten herum noch idealistisch angehaucht und hat sich im letzten Jahr den Modernen angeschlossen, so findet man in allen Konditoreien und Gummi-Spielwarenläden Schweine in allen Größen und in großer Auswahl, die sich vor einigen Jahren durchaus nicht zu Geschenken an Kinder eigneten, und mit denen man jetzt sehr willkommen sein wird.

Kindern, welche noch an Bilderbüchern große Freude haben, schenke man unzerreißbare. Solche zu zerreißen, macht ihnen das meiste Vergnügen.[28]

Spielzeug mit Uhrwerk und einem ähnlichen Mechanismus erfreut sich gleichfalls in der Kinderwelt einer großen Beliebtheit, weil es sofort das Opfer des Wissensdranges der strebsamen Kleinen wird, der von Regeln, Leierkasten und leblosen Puppen nicht so angeregt wird.

Sind nach Ansicht der Geschenkspender Kinder schon ungezogen genug, so haben sie nicht nötig, ihnen lärmende Instrumente und dergleichen zu bringen, da es auch ohne solche in dem betreffenden Hause nicht auszuhalten sein dürfte.

Dieser Gegenstand ist nicht zu erschöpfen. Wir thun daher gut, uns zu einem anderen zu wenden, der ebenso wenig zu erschöpfen sein wird. Ein solcher ist leicht gefunden.

Wer ängstlicher Natur ist, hat sich zum Weihnachtsfest auf das Schlimmste vorzubereiten. Dieses Schlimmste ist das nutzlose Geschenk, das Geschenk, das man nicht in Gebrauch nehmen kann und das infolge dessen fortwährend im Wege steht oder liegt. Wer solches fürchtet und zwar leider mit vollem Recht, muß sich etwa eine Woche lang vor einem Musikstuhl fürchten. Dann kann ihn nichts mehr erschrecken.

Ich habe einen Freund, der einen Musikstuhl geschenkt bekam. Wenn er sich auf ihn setzte, so ertönte das Lied, das nur für Wanderer gedichtet und komponiert ist: »Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?« Nachdem sich aber der Beschenkte nach drei Tagen dieses prächtige und vielgesungene Eichendorffsche Lied aus dem Halse heraus gesessen hatte, dann aber nicht imstande war, dem Stuhl den musikalischen Charakter zu nehmen, und gleichzeitig nicht wagen durfte, ihn zu verstecken, oder ihn als Brennholz zu verwerten, auch nicht herzlos genug sein konnte, ihn weiter zu schenken, da diejenigen, welche ihn ihm geschenkt hatten, scharf aufpaßten, fing[29] er an, den Stuhl begeistert zu hassen. Man denke sich, wie traurig es ist, einen Stuhl hassen zu müssen, der doch an seiner üblen Gewohnheit unschuldig war, da sie ihm durch einen boshaften Fabrikanten aufgezwungen worden. Wozu noch kam, daß sich nun häufig nichtsahnende Besucher auf diesen Stuhl setzten und außer sich aufsprangen, wenn sie plötzlich unter sich die berühmte Frage nach dem Aufbauer eines Waldes ertönen hörten. Einmal fühlte sich sogar eine Erbtante, welche sich das Lied erfaß, einer Ohnmacht nahe und verließ, auf das Tiefste verletzt, das Haus, so daß es einige Mühe kostete, sie an einer rächenden Enterbung zu verhindern.

Außer solchem Musikstuhl giebt es übrigens noch andere Geschenkungeheuer, an die man, wie ich es empfahl, denken muß, um auf etwas Schlimmes so vorbereitet zu sein, daß man nicht allzu heftig erschrecke. Hier ist die Schreibmappe zu nennen, welche mit einem kostbaren hügeligen Deckel und einer herrlichen Einrichtung derart versehen ist, daß es absolut unmöglich wird, sie zu gebrauchen. Dann das ausgestopfte Tier. Ferner das große Trinkhorn, aus dem nie getrunken werden kann. Auch möchte ich hier den sprechenden Papagei verzeichnen, der den ganzen Tag »Schweinhund« sagt und in alle Finger beißt, die sich mit Liebkosungen in sein Bauer wagen. Übrigens wird ja jeder Leser irgend etwas Furchtbares besitzen, das er nie besäße, wenn es nicht ein Geschenk wäre, und an das er denken kann, um sich gegen neue Geschenkschrecken, die nichts sind, als häusliche Verkehrsstörungen, abzuhärten. Hier wäre nun auch Gelegenheit, von der sogenannten Geschenklitteratur zu reden, von den Werken, welche der Büchermarkt erzeugt und lediglich als Zierde eines im Salon oder gar im Vorzimmer stehenden Tisches dienen, gewöhnlich von schweren Einbänden umschlossene Kolossalbücher, die[30] nie geöffnet oder gar gelesen und auch von den Besuchern gemieden werden. Wir werden wohl noch Gelegenheit finden, von dieser merkwürdigen litterarischen Überfracht zu sprechen.

An die vielen zu wohlthätigen Zwecken arrangierten Weihnachtsbazare gehe man mit der größten Vorsicht heran, weil man leicht in Gefahr gerät, etwas auf ein Los zu gewinnen. Nicht allein wird man in die Lage versetzt, den Gewinn nach Hause zu transportieren, sondern man wird ihn auch so leicht nicht wieder los, weil man weder sein Dienstmädchen noch den Hausknecht verletzen möchte. Selbst auf das Pech, das man im Spiel zu haben pflegt, kann man sich im Wohlthätigkeitsbazar nie ganz verlassen, weil hier gerade Pech und Gewinn identisch sind. Damit will ich nicht etwa die Knauserei im Bazar empfehlen, ganz abgesehen davon, daß die eingeborenen Bazardamen eine Knauserei überhaupt nicht aufkommen lassen und selbst hartgesottene Geizhälse, die sich in ihre Nähe wagen, zur Strecke bringen. Aber ich empfehle den Wohlthätigen, ihr Geld in Getränken und Eßbarem anzulegen, da die Gewinne sich nur selten über das alte Geschlecht der Ladenhüter erheben und daher viel Ärger ins Haus bringen. Werden sie doch meist, wenn der Gatte mit ihnen eintrifft, von der Hausfrau mit einem Schrei des Entsetzens empfangen, der in die Worte austönt: »Nein, ich kann dich doch nie allein in einen Bazar gehen lassen!« Denn nicht jeder Familienkreis erfreut sich einer Tante, welche so häufig Geburtstag feiert, daß man alle Bazargewinne bequem an sie abzustoßen vermag. Zum Weihnachtsfest aber verlangt auch die mißbrauchteste Tante Geschenke ohne Bazargeruch.

Es wird um das kommende Weihnachtsfest herum keine leichte Aufgabe für den Geber sein, denjenigen Geschmack zu treffen, welcher sich völlig der modernen[31] Richtung zugekehrt hat. Er muß sich vor allen Dingen vom Hergebrachten und Konventionellen abwenden und hat sich unter dem Neuen, Ungewöhnlichen und Sonderbaren umzusehen. Das ist allerdings leicht gesagt, da das Umsehen keine Schwierigkeiten bereiten wird, dagegen dürften dem Entschluß bei der Wahl der Geschenke allerlei Hindernisse entgegenstehen. Die Meister des modernen Kunsthandwerks haben bei ihren Arbeiten ihr Augenmerk mehr auf das Eigentümliche, Verblüffende und Erstaunliche als auf das Praktische gerichtet. Wie die Maler dieser interessanten Richtung Bäume gemalt haben, auf dessen Zweigen sich freiwillig kein Vogel aufhalten könnte, und Gras, welches wegen seiner Farbe keine Kuh fressen würde, so haben auch die Kunsthandwerker Stühle ersonnen, auf denen man nicht sitzen, und Gläser erdacht, aus denen man nicht trinken kann, ganz abgesehen von der ungenierten Nacktheit, mit welcher die Frauengestalten die Vasen schmücken, oder als Leuchter und dergleichen ihre Aufgabe erfüllen, obschon sie, da sie sich nach unten meist in Fischschwänze verlaufen, nur teilweise der menschlichen Gesellschaft angehören. Auch die Verzierungen nehmen den verschiedensten Gegenständen das Lustige oder Angenehme, indem die stilisierte Lilie dem Beschauer und selbst dem Anhänger der Secession bereits aus dem Halse herausblüht und die Arabeske sich nur ungern von dem Porträt des Bandwurms oder der Schlange über Lebensgröße lossagt und somit auf einen erquickenden Eindruck verzichtet. Wer unter diesen Gegenständen zu wählen hat, setzt sich der Gefahr aus, von dem Beschenkten mit dem Vorwurf empfangen zu werden, daß das Geschenk entweder einem bereits längst überwundenen Geschmack angehört, der sich jetzt monatlich wenigstens dreimal ändert, oder dem seit acht Tagen herrschenden noch nicht gerecht wird. Man kaufe also ein Wertstück[32] aus dem Kunstschatz der Secession nur unter der Bedingung, daß man es gegen ein anderes umtauschen könne. Im Fall muß der Umtausch schnell bewerkstelligt werden, um nicht abermals durch den Beginn eines neuen Geschmacks in eine neue Verlegenheit zu geraten.

Liebt man eine Familie, so schenke man der Gattin und Mutter, wenn diese über ihre Köchin geklagt hat, kein Kochbuch, da solches mehr Unheil anzurichten pflegt, als die ungeschickteste Köchin. Äußert die bezeichnete Dame aber den Wunsch, ein Kochbuch zu besitzen, da sie beschlossen habe, sich nunmehr selbst dem Küchenherd zu widmen, so erfülle man diesen Wunsch, schlage aber beharrlich von diesem Zeitpunkt an jede ihrer Einladungen zum Mittag- und Abendessen aus, bis eine neue Köchin gewonnen sein wird.

Ein Mann, dem die Gattin nicht erlaubt, mit dem Hausschlüssel auszugehen, wünsche sich von ihr ein Etui zu dem erwähnten Instrument. Bekommt er das Etui, so kann er es in geeigneten Momenten seinen Freunden zeigen und dadurch die über ihn verbreiteten beschämenden Pantoffelgerüchte wenigstens scheinbar entkräften.

Wünscht sich ein Mann von seinem Hausfreunde eine Peitsche oder einen Revolver, so ist er wie gewöhnlich auf falscher Fährte. Trotzdem schenke der Hausfreund aus Vorsicht lieber etwas anderes, aber kein Trinkhorn. Das könnte denn doch verstanden werden.

Will man zum Weihnachtsfest etwas für die Litteratur thun, so gebe man das Abonnement in der Leihbibliothek auf und kaufe Bücher. Aber man will ja gewöhnlich nichts für die Litteratur thun. In diesem Fall kaufe man einige Reclam und Engelhorn.[33]

Wer als Beamter eine Weihnachtsgratifikation von seiner Behörde erwartet, versuche schon im Laufe des Jahres zu irgend einem Leiden (Zahnschmerzen, Gicht oder Schlaflosigkeit) zu lächeln, damit er dieses Lächeln auswendig wiederholen kann, wenn die Gratifikation erscheint. Zu einer solchen ein ernstes Gesicht zu machen, oder gar in Thränen auszubrechen, nützt durchaus nichts, da sie hierdurch nicht nennenswerter wird.

Da amtliche Weihnachtsgeschenke immer nicht nennenswert zu sein pflegen, so sage man beim Empfang, man wolle sich bemühen, sich die Gunst der Vorgesetzten zu erhalten. Denn es kostet wirklich Mühe, dies angesichts der kleinen Gabe zu thun.

Auch wenn bei solchen Gelegenheiten der Stolz erwacht und verletzt ist, so überreiche man das Geschenk beim Verlassen des Bureaus nicht dem Diener des Ressortchefs als Trinkgeld. Um als solches gelten zu können, ist es häufig zu wenig. Aber auch im anderen Fall macht es nur bei dem Diener einen vorteilhaften Eindruck.

Auch in den Restaurants, in denen man häufig über mangelhafte Bedienung klagen mußte, bekommt man nichts zum Weihnachtsfest geschenkt, sondern muß im Gegenteil etwas schenken. Wenn man dies aber mit Vergnügen thut, so unterlasse man es, denn man muß auch auf ein Vergnügen verzichten können, besonders wenn es ein überflüssiges ist.

Laß dich in der Woche vor dem Fest nicht in die Nähe, eines Fünfzigpfennigladens blicken. Das könnte etliche üble Folgen haben, vor allen die, daß man deine kommenden Geschenke zu niedrig taxiert und die dir zugedachten dieser Taxe anpaßt. Zu spät erst wird eingesehen, daß ein Irrtum vorliegt.

Will man sich überzeugen, daß man sehr geachtet wird und daß der Name, den man trägt, in hohem[34] Ansehen steht, so protestiere man in den Familien, mit denen man befreundet ist, gegen die Meinung, daß man durch ein Geschenk zu erfreuen sei, und versichere, daß man durch eine Gabe ernstlich böse werden würde. Man wird seine Eigenheit ehren und nicht wagen, ihn durch ein Geschenk zu erzürnen.

Man versuche nicht, durch eine simulierte Krankheit sich von der Ceremonie des Schenkens auszuschließen. Dies Mittel ist zu verbraucht und bleibt ohne Wirkung.

Hat man kein Geld, Geschenke zu kaufen, so schützt auch dieses nicht gegen die Verpflichtung, mit solchen zu erscheinen. Denn es fällt niemand ein, von einem Geschenk zu verlangen, daß es bezahlt ist. Im Gegenteil, da Geschenke, die auf Kredit angeschafft sind, reicher zu sein pflegen als bezahlte, so werden sie im allgemeinen bevorzugt.

Hat man die löbliche Absicht, einer Dame Handschuhe zu schenken, so verfahre man nach folgender Anleitung. Man knüpfe mit der betreffenden Dame ein Gespräch über die Hände einer anderen an und werfe ganz zufällig die Bemerkung ein: Sie haben, wie ich sehe, Nummer fünfdreiviertel. Nein, wird die Antwort beleidigt lauten: Nummer fünfeinhalb. Dann kaufe man Nummer sechsdreiviertel, und die Handschuhe werden nur ein ganz wenig zu klein sein.

Von den Geschenken an Damen schließe man Puder, Schminke, Schönheitswasser und dergleichen prinzipiell aus, da die Damen dergleichen schon in großer Auswahl besitzen.

Ein Rad verschenke man nicht, ohne nach dem Grundsatz »Noblesse oblige« eine Anweisung auf kostenfreien Unterricht und auf ebensolche ärztliche Behandlung bei vorkommenden Knochenbrüchen u.s.w. beizufügen.

Man hüte sich, Geschenke zu machen, welche an[35] irgend eine politische Strömung anknüpfen. Ich meine damit solche Geschenke, welche in ihrer äußeren Erscheinung durchaus aktuell sind, d.h. einen Kriegs-oder Friedenshelden des Tages darstellen oder in anderer Weise an die neuesten Leitartikel erinnern. Ich habe zu der Weihnachtszeit, welche in die Tage der chinesischen Wirren fiel, die schlimmsten Thatsachen gesammelt. Man durfte überzeugt sein, daß, wenn man mit einer Puppe in chinesischer Nationaltracht kam, schon eine solche vorhanden war. Ebenso ging es jedem, der eine den Staatsmann Li-Hung-Chang darstellende Nippesfigur anbrachte, oder dem, der den Feldmarschall Waldersee aus dem Papier wickelte. Auch der Boxer als Briefbeschwerer oder Feuerzeug konnte nicht zu den Seltenheiten gezählt werden. Es wird sich schon empfehlen, solche Puppen und Figuren ganz auszuschließen, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, mit dem Geschenk einen störenden Eindruck hervorzurufen. Da z.B. jetzt noch der Präsident Krüger an der Tagesordnung ist und dies noch längere Zeit bleiben wird, so hüte man sich ebenfalls, auf die Idee zu kommen, sein Porträt als Geschenk zu wählen. Es wäre ja möglich, daß man, was bei der vorhandenen Sympathie sogar wahrscheinlich wäre, sich mit dem siebenten oder achten eingerahmten Krüger einstellt, wodurch die beschenkte Familie in die peinlichste Verlegenheit versetzt werden würde, wenn sie nicht Lust haben sollte, in jedem Zimmer eine Wand mit einem Ohm Paul zu schmücken. Man kann ein großer Verehrer Krügers sein, ohne zu wünschen, z.B. auch im Schlafzimmer fortwährend sein biederes, aber doch sehr düsteres Angesicht zu sehen und an das traurige Schicksal eines wackeren Volks erinnert zu werden.

Schließlich glaube ich, mich mit meinem Leitfaden ein wenig nützlich gemacht zu haben. Wer mehr oder[36] Näheres zu erfahren wünscht, wende sich vertrauensvoll an jemand, der mehr oder Näheres weiß als ich.

Wir dürfen das Weihnachtsfest nicht verlassen, ohne uns zu entschließen, uns sofort zu dem Fest zu wenden, welches acht Tage später mit der gleichen Wucht eines allgemeinen Festes erscheint. Es ist dies


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 22-37.
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