Theaterfesten

[44] werden gewöhnlich die Porträts der Künstlerinnen und Künstler verkauft, welche mit eigenhändig unterschriebenen Gedankensplittern geschmückt sind. Meistens findet man den Schillerschen Gedanken: »Ernst ist das Leben heiter ist die Kunst« gesplittert. Am beliebtesten sind Schauspieler und Sänger im Kostüm und Künstlerinnen im Gegenteil.

Die Tombola auf Schriftstellerfesten enthält viele Autographen. Auf ein Los, das gleichfalls nur eine Mark kostet, gewinnt man ein Autograph, das, wenn man es in teueren Zeiten in einer Autographen-Apotheke kauft, fünfzig Pfennig kostet. Da der Autor es bereits hundertmal geschrieben hat, so ist es derart unleserlich, daß man es nicht lesen kann. Dies erhöht seinen Wert.

Wird einem ein Künstler oder ein Schriftsteller vorgestellt, der, je häufiger man seinen Namen hört, desto unbekannter wird, so rufe man freudig Ah! um ihn nicht dadurch zu kränken, daß er merken muß, er sei in den weitesten Kreisen gänzlich unberühmt. Er ist durch das Ah! schon vollständig befriedigt. Man lasse sich auch nicht darauf ein, von seinen Werken zu sprechen. Allerdings existieren solche von ihm, aber man nennt ihm doch nur gar zu leicht solche, die von einem andern herrühren, und das würde ihn gleichfalls kränken.

Lernt man einen unbedeutenden Schauspieler kennen, so freue man sich namenlos, endlich dem ersten jetzt lebenden Darsteller gegenüber zu stehen. Statt Darsteller kann man auch Seelenmaler, Schöpfer, Interpret des Dichters und Menschenbildner sagen. Lehnt der Schauspieler die Bezeichnung ab, er sei der erste jetzt lebende, so sehe man sich nach einem Arzt um, denn dann ist er eben verrückt geworden.

Eine ältere Schauspielerin, auch solche, welche so[44] kalt ist, daß sie sich jung schminken muß, wenn sie die Hexe im »Faust« spielt, frage man, ob sie dieselbe sei, die man vor etlichen Jahren die Jungfrau von Orleans darstellen sah. Sie wird sich über diese Frage freuen und sie bejahen, obschon sie sie der Wahrheit gemäß verneinen müßte. Dann füge man hinzu, daß man sie noch einige Jahre früher als eines der Kinder der Norma bewundert habe. Auch dies wird für richtig erklärt, und man wird die dankbare Künstlerin den ganzen Abend nicht wieder los.

Tanze nicht mit einer Dame vom Ballet, denn sie kann gewöhnlich nicht tanzen, sondern nur springen, was nun Du wieder nicht kannst.

Sagt man einem mittelmäßigen Schauspieler, sein Wallenstein sei so gut wie der Sonnenthalsche, so denkt er: »Der Esel weiß nichts von mir,« denn er ist überzeugt, daß sein Wallenstein besser sei.

Ist das Künstlerfest ein


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 44-45.
Lizenz:
Kategorien: