Millionenerbe,

[51] als welcher man allerdings ausschließlich auf die sogenannten besseren Kreise angewiesen ist.

Ist man im Besitz eines Hosenknopfs, so bediene man sich seiner wie die Familie Humbert. Man behaupte nicht, daß man dergleichen nicht wiederholen dürfe, weil die sogenannten bessere Kreise durch Erfahrung klug geworden seien. Durch Erfahrung ist noch kein besserer Kreis klug geworden.

Hat man nicht viel Erfindungsgeist, so erfinde man einen alten Onkel und mache sich zum Universalerben des von ihm hinterlassenen Riesenvermögens. Als solches genügen billigen Ansprüchen schon zwanzig Millionen. Diese in sicheren Staatspapieren darzustellen, braucht man allerdings ein Packet alter Zeitungen, die nicht schwer zu beschaffen sein werden, und sperre dies Packet zu dem Hosenknopf in eine eiserne Kiste, die ebenfalls nicht schwer zu beschaffen sein wird.

Alsdann sei man einen Augenblick halb ehrlich, indem man den begüterten Freunden vorklagt, man dürfe die Zwanzigmillionenerbschaft in den ersten fünf Jahren nicht flüssig machen, und dann sei man sogleich wieder unehrlich, indem man anfängt, Schulden zu kontrahieren.

Man versammle reiche Bürger und Aristokraten um sich und schenke jedem das Vertrauen, daß er auf Grund solider Staatspapiere gerne eine größere Summe vorschießen werde. Statt plündern, rauben, oder rupfen nennt man dieses Vorgehen: vorschießen lassen. Man verletze keinen der reichen Aristokraten und Bürger durch Zurücksetzung, sondern man nehme allen alles oder teilweise ab, was sie besitzen. Auf diese Weise macht man sich keinen Feind, sondern sichert[51] sich das Vertrauen der Mitbürger und den Kredit der Reichsten.

Man spreche immer mit der größten Hochachtung von dem Seligen, den man beerbt haben will, mit Worten voll Bewunderung von seiner Sparsamkeit, die so überflüssig, von seiner Liebe, die so selbstlos gewesen sei, blicke dabei innig auf das Porträt, welches man bei einem Trödler gekauft hat und das eines vor hundert Jahren verstorbenen Ratsherrn ist, und lasse immer einen leisen Ton des einzigen Vorwurfs durchzittern, daß der liebe Onkel seinem kolossalen Nachlaß eine so unbequem Klausel angehängt habe, welche wohl aus der Furcht entstanden sei, der Erbe könne ein zu sehr lachender werden. Neckisch füge man hinzu: Etwas lache ich ja trotzdem.

Man nehme sich recht in acht, keine kleine Summe zu borgen, denn man bedenke stets, daß nur der große Schuldenmacher Vertrauen einflößt. Man gebe sich die unredlichste Mühe, nur erst eine halbe Million schuldig zu sein, denn dann sorgen die Gläubiger selbst dafür, daß man die ganze Million schuldig wird.

Hat man das seltene Unglück gehabt, sich einen Gläubiger aufzuladen, der sein Geld zurückfordert, so tröste man sich, indem man ihn mit dem Gelde eines anderen Gläubigers bezahlt. Man scheue dies Opfer nicht, denn es befestigt den Kredit.

Will man von einem Juwelier eine Kleinigkeit kaufen, so lasse man sich von ihm eine solche im Werte von mindestens 50000 Mark aufschwatzen und verweise den Verkäufer auf den Tag, wo man über die Erbschaft ganz frei verfügen kann. Hierauf wähle man noch eine ähnliche Kleinigkeit.

Man gebe glänzende Feste und lade die Gläubiger ein, welche sie bezahlen und für ihr Geld etwas genießen, vor allem aber die Überzeugung haben wollen, daß ihre Forderungen sicher sind.[52]

An Gaben der Wohltätigkeit lasse man es nicht fehlen, nur gebe man reichlicher als der Kurpfuscher, der doch ein Gewerbe betreibt, während der Millionenerbe nichts als ein Rentier ist, der kaum imstande ist, die Zinsen seiner Gläubiger zu verzehren.

Geht man aus, so sage man immer der Dienerschaft, daß man in die Kirche gehe, welche dies den Besuchern mitteilt, welche dann ihre Karte abwerfen und, in der Überzeugung gestärkt, daß ihre Forderung gut sei, sich wieder entfernen.

Man sorge auch dafür, daß man in jeder Gesellschaft, in welcher man natürlich etliche Gläubiger trifft, immer harte Worte über die Schwindler auf der Zunge habe. Man äußere sich höchst ungehalten über gebildete und gute Kreise, welche sich von den glatten Formen dieser Schwindler täuschen lassen und solches Lumpenpack aufnehmen. Sie seien aber nichts als Mitschuldige und sollten wie solche bestraft werden.

Man denke immer an den Hosenknopf und das Packet Zeitungen in der eisernen Kiste, und wenn man gefragt wird, worüber man nachdenke, so antworte man: Über die beste Art, einige Millionen mit gutem Nutzen anzulegen. Das ist wirklich nicht leicht, und niemand wird glauben, daß man über den Moment nachdenkt, wo die Polizei erscheint. Man sei aber überzeugt, daß sie zu spät erscheint und daß man dann schon mit vollen Taschen über alle Berge ist, an denen die Gläubiger stehen.

Ist man dann glücklich entwischt, so ruhe man vor allen Dingen von den Strapazen der Plünderung aus und sehe dem Kommenden mit jenem Gefühl entgegen, welches allein das Bewußtsein verleiht, nicht umsonst gearbeitet zu haben. Wird man dann vom Steckbrief erreicht, so lasse man sich willig in das Untersuchungsgefängnis der Heimat führen. Es wird nicht schlimm werden, da man kein kleiner Dieb ist.[53] Wenn man laufen gelassen werden will, so sei man ein großer Dieb.

Während der Gerichtsverhandlung braucht man sich nicht zu schämen, sondern man blicke unbefangen in das Auditorium. Denn wer sich schämt und befangen ist, wird mit Recht immer für einen der vielen Betrogenen gehalten. Dieser Scham und Befangenheit verdankt der Betrüger viel, weil namentlich die Betrogensten sich nicht melden, wodurch dem Gerichtssaal oft die wichtigsten Belastungszeugen fehlen.

Unter den Schwindlern gefährlicher Art nimmt


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 51-54.
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