der Automobilist

[113] zu zählen.

Das Automobil oder Töfftöff ist ein durchaus schätzenswertes Vehikel, das schon durch seine Herstellung segensreich, vielbelebend auf viele Arbeiterkreise wirkt und dadurch allerlei Nutzen schafft. In dieser Hinsicht ist es freudig zu begrüßen, und man könnte sagen, daß es in gutem Geruch stehe, wenn es, wenigstens vorläufig, nicht des nasenfeindlichen Benzins dringend bedürfte. Auch ist es nun einmal als ein bei Wohlhabenden beliebtes Luxusfuhrwerk in den Verkehr gekommen, aus dem es nicht mehr zu verdrängen sein, in welchem es sich immer mehr festsetzen wird. Wir haben uns also mit ihm ernsthaft zu beschäftigen und um so ernsthafter, je mehr Unheil[113] es seit seinem Eintritt in den öffentlichen Verkehr zu stiften pflegt.

Der Automobilist ist kein eigentlicher Selbstmörder, aber er tut alles, um in den Verdacht zu geraten, als ein solcher zu erscheinen. Er ist auch weit weniger ein Mörder, aber es ist ihm ziemlich unmöglich, dann und wann ein Unglück zu verhüten, durch welches ganz unschuldige Menschen vom Leben zum Tode gebracht werden. Dem Automobilisten erscheint dies sehr bedauerlich, aber dem Getöteten oder im besten Fall Verkrüppelten kann dadurch nicht das Leben oder die Gesundheit wiedergegeben werden.

Der Automobilist ist daran zu erkennen, daß er sich in einem Punkt von dem Selbstmörder, der es ernst mit dem Abschied vom Leben meint, wesentlich unterscheidet. Der ernsthafte Selbstmörder greift zum Revolver, zum Strick oder zum Gift, um seinem Leben ein Ende zu machen, während der Automobilist zu seinem Mordwagen ohne die Absicht greift, sein Leben zu beschließen.

In ähnlicher Weise unterscheidet sich der Automobilist von Totschläger. Der Totschläger fällt über einen Menschen her, um ihn zu mißhandeln, ohne zu bedenken, daß die Mißhandlung mit tödtlichem Ausgang verbunden sein könnte. Der Automobilist fährt in einen dichten Menschenhaufen hinein oder über einen lebenden Menschen hinweg, ohne überhaupt die Absicht zu haben, ein Leben zu gefährden oder zu vernichten, während er allerdings jenes oder diese zur Ausführung zu bringen pflegt.

Man hüte sich, mit einem Automobilisten sehr eng befreundet zu werden, da man in diesem Fall häufig von ihm eingeladen werden könnte, eine Fahrt mitzumachen. Ohne Zweifel wird man die Einladung schon aus Furcht, für feige gehalten oder gar für feige erklärt zu werden, annehmen und die Fahrt mitmachen,[114] und oft genug mit heiler Haut davonkommen, aber eines Tages wird man denn doch in weitem Bogen aus dem Benzinwagen geschleudert werden, und es ist dann die Frage, ob man wieder wird aufstehen können. Dann nützt es nichts, daß man recht oft mit heiler Haut davongekommen ist.

Man sei immer auf eine glaubwürdige Ausrede gefaßt, mit welcher man die Einladung zu einer Automobilfahrt ausschlägt. Ausnahmen gestatte man sich

1. wenn der Einladende bereits Unglück gehabt hat und infolge dessen allerlei Schmerzen erdulden mußte, auch noch nicht gänzlich wiederhergestellt ist. In diesem Fall ist anzunehmen, daß der Autofahrer vorsichtig zu Werke geht und nichts unternimmt, was ihm außer der Bewunderung und dem Glückwunsch seiner Klubgenossen und Sportfreunde einen Bein-, Arm- oder Rippenbruch einbringt;

2. wenn der Einladende selbst Chirurg ist und die für einen Unglücksfall berechneten Binden und Bandagen mitführt;

3. wenn der Einladende sich für den Fall eines Unglücks verpflichtet, für die Witwe und Kinder des Gastes zu sorgen, oder endlich

4. wenn der Einladende für den Fall, daß der Eingeladene während des Fahrvergnügens arbeitsunfähig werden sollte, die Verpflichtung übernimmt, für den Gast bis zu dessen Wiederherstellung zu sorgen.

Ist man selber so glücklich, Eigentümer eines Automobils werden zu können, so freue man sich, etwas zu besitzen, was nur die oberen Zehntausend besitzen können, man hüte sich aber, ein Unheil anzurichten und körperlich beschädigt zu werden, da man zwar bedauert würde, aber doch nur von solchen Freunden und Bekannten, die sich über die Existenz der Automobile ärgern und sich heimlich freuen, daß einmal wieder ein Exempel statuiert worden ist und einer dieser Fahrer[115] einen tüchtigen Denkzettel erhalten hat. Dies wird zwar nicht so ausgesprochen, daß man es deutlich hört, man darf aber überzeugt sein, daß es ausgesprochen wird.

Hat man mit dem Automobil einen Exceß begangen und zwar so, daß man von den Augenzeugen gelyncht wird, so freue man sich, daß man nichts Schlimmeres erlebt, z.B. eine gerichtliche Verhandlung und Bestrafung.

Hat man Familie, so nehme man kein Mitglied derselben mit, sondern fahre allein, oder nur mit Fernstehenden. Denn es ist doch recht traurig, wenn man sich den Vorwurf machen muß, an dem Unglück eine Familienmitglieds Schuld zu sein. Selbst solche entferntere Verwandte, welche man beerbt, lasse man aus dem Spiel, da dies zu den schlimmsten Gerüchten Anlaß geben könnte, welche nicht leicht zu beseitigen sind.

Ist man ein reicher Erbonkel oder dergleichen, so mißtraue man denjenigen Verwandten, von welchen man bei irgend einer passenden Gelegenheit ein Automobil geschenkt bekommt. Hat man dies Geschenk aber angenommen, so lasse man es unbenützt, denn man kann doch nicht wissen. Nach einiger Zeit verschenke man das gefährliche Fuhrwerk wieder, aber man sei vorsichtig in der Wahl dessen, den man damit beschenken will, wenn man sich keinen Feind machen will. Man hat gewöhnlich schon genug Feinde.

Indem der moderne Knigge hiermit seine Fingerzeige mit Bezug auf das Automobil abschließt und zugleich den vierten Band seines, wie er glaubt, nützlichen Leitfadens beendet, glaubt er keinen Augenblick, daß die Aufgabe, die er sich gestellt hat, erschöpfend gelöst ist. Schon das Automobil beweist, daß diese Aufgabe nicht zu erschöpfen ist. Denn es ist eine neue Erscheinung und gewiß nicht die letzte. Fast jeder Tag bringt Neues. Neue Typen tauchen in der Gesellschaft, neue Erscheinungen im Verkehr, neue Gefahren in der[116] Spekulation, neue Treiber in der Jagd nach dem sogenannten Glück auf. Neue Lügen werden laut, neuer Schwindel macht sich breit, neue Unsitte gibt sich für Sitte aus, und neues Strebertum ist zu bändigen. Der moderne Knigge wird immer Arbeit finden, ohne lange suchen zu müssen.[117]

Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 113-118.
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