der Globetrotter,

[92] ein Herr, der fremde Weltteile durchquert, dies meist ohne Zeugen unternimmt, oder mit solchen, welche später nicht aufzufinden sind, Abenteuer besteht, welche[92] jedem andern das Leben zu kosten pflegen, und Dinge erlebt, welche beinahe die Wirklichkeit streifen.

Man darf getrost annehmen, daß man auch Globetrotter kennen lernen kann, welche sich streng an die Wahrheit halten. Man amüsiert sich nur nicht so, wenn man ihnen zuhört, und auch sie selbst amüsieren sich nicht so, wenn sie erzählen. Der moderne Knigge glaubt nur, diese die Wahrheit berichtenden Globetrotter gegen diejenigen ihrer Kollegen in Schutz nehmen zu müssen, welche mehr Phantasie als sie haben.

Der Globetrotter weiß, daß er gläubige Hörer findet, namentlich aber gläubige Hörerinnen. Das Muster einer solchen ist Desdemona, welcher Othello erzählt


»Von manchem harten Fall,

Erschütternder Gefahr zu See und Land,

Von knapper Rettung aus toddroh'nder Bresche,

Von Kannibalen, die einander fressen,

Anthropophagen, Menschen, deren Köpfe

Unter den Schultern wachsen.«


Hörer und Hörerinnen lauschen atemlos und sind in der beneidenswerten Lage, nicht fürchten zu müssen, daß sie irgend eine Erzählung zweimal hören müssen, da der Globetrotter solche immer anders erzählt.

Man habe in der Gesellschaft des Globetrotter kein gutes Gedächtnis, mit dessen Hilfe man ihn darauf aufmerksam zu machen vermöchte, daß seine Erzählung früher anders gelautet habe, da der Globetrotter vielleicht am Tropenkoller gelitten und infolge dessen noch immer eine Nilpferdpeitsche bei sich hat. Der Tropenkoller ist eine sehr ungemütliche Erscheinung und die Nilpferdpeitsche kann unter Umständen eine noch ungemütlichere sein.

Berichtet der Globetrotter, er habe unter irgend einem schwarzen Völkerstamm hundertmal in Lebensgefahr[93] geschwebt, so nehme man nicht an, daß dies noch häufiger der Fall gewesen sei. Man darf ihm gegenüber auch nicht zu mißtrauisch sein. Mißtrauen ist an sich schon etwas häßliches, wenn auch oft ganz wichtiges, aber man darf es nicht übertreiben.

Bei solchen Erzählungen lache man nicht, sondern höre ernsthaft zu. Das hundertmalige Schweben in Lebensgefahr z.B. ist kein Spaß. Man darf auch nicht vergessen, daß der Globetrotter seine Erzählungen so oft wiederholt, bis er sie selbst glaubt.

Sollte man häufig den Globetrotter erzählen hören, so gewöhne man sich dennoch nicht die Vortragsweise dieses Herrn an, zu welcher man eben ein Weltreisender sein muß, wenn man nicht peinliche Scenen heraufbeschwören will, indem man ertappt wird. Dies geschieht aber nur dem Globetrotter nicht, auch dann nicht, wenn er zu seinesgleichen spricht, oder richtiger: dann erst recht nicht.

Hat man selbst schon Reisen gemacht, so erzähle man dem Globetrotter nichts, denn da er weiß, wie von Reisenden gelogen wird, wird man keinen Glauben bei ihm finden.

Will man dem Globetrotter sehr lästig werden, so sage man ihm, nachdem er ausführlich von der Ostküste Afrikas erzählt hat, man sei gleichfalls dort längere Zeit gewesen. Alsbald wird er allerlei von dem Erzählten berichtigen und von da an manches erzählen, was man glauben darf. Aber es wird nicht mehr so amüsant sein, und dies hat man dann selbst verschuldet.

Schenkt der Globetrotter einem Museum vieles aus seinen Sammlungen und erhält er dafür einen Orden, so ist der Orden ganz echt.

Ein Antipode des Globetrotter in des Worts verwegenster Bedeutung ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 92-94.
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