Beilage 4.

[47] Beschreibung

der

Gratulations-Cour, welche bei Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Charlotte von Preussen aus Veranlassung Höchst- deren Verlobung mit Seiner Hoheit dem Erbprinzen von Sachsen-Meiningen am 29. December 1849 im Königlichen Schlosse zu Berlin stattfand.

Am 29. December, Mittags nach 121/2 Uhr, geruhte Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Charlotte von Preussen, aus Veranlassung Höchstihrer Verlobung mit Seiner Hoheit dem Erbprinzen von Sachsen-Meiningen, in Gegenwart des Hohen Verlobten, in den Appartements der Hochseligen Königin Friederike Majestät im Königlichen Schlosse zu Berlin die Glückwünsche des diplomatischen Corps entgegenzunehmen und nach 1 Uhr die Generalität, die Minister, die Hofstaaten, die Geistlichkeit, die hoffähigen Damen und Herren aus der Stadt, so wie die Offizier-Corps der Garnisonen von Berlin, Potsdam, Spandau und Charlottenburg zur Cour zuzulassen.

Die Anordnungen des Empfangs und der Cour hatten Seine Majestät der König dem Vice-Ober-Ceremonienmeister Freiherrn von Stillfried zu übertragen und demselben auf sein Ansuchen die Kammerherren Grafen von Pückler und vou Lucchesini zur Hülfe beizugeben geruht.

Zur Dienstleistung hei Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Charlotte waren an diesem Tage auf Allerhöchsten Befehl berufen: die Gräfin von Meuron als Ober-Hofmeisterin, die Fräulein von Schuckmann und von Massow, sowie die Gräfin von Waldersee – als Hof- und Ehrendamen, die Grafen von Pfeil und von Finckenstein als Kammerherren.

Ihre Königliche Hoheit kleidete Sich im Königlichen Schlosse an, wozu die an den kleinen Marmorsaal angrenzenden, nach dem Schlossplatze zu gelegenen Zimmer, zu welchen man von der Treppe im Eck des ersten Schlosshofes neben der Schlosswache gelangt, in Bereitschaft gesetzt worden waren. Sobald Ihre Königliche Hoheit die Toilette vollendet hatte, begab Sich Seine Hoheit der Erbprinz von Sachsen-Meiningen, unter Vortritt des Kammerherrn Grafen von Finckenstein, gefolgt von Ihrem Adjutanten Capitain von Türke und dem Herzoglichen Staatsrath Seebeck, so wie von dem Hochdemselben zur Dienstleistung beigegebenen Königlichen Rittmeister von Rauch, nach den zur Cour bestimmten Appartements, um daselbst im kleinen Marmorsaal Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Charlotte zu empfangen.

Der Hofstaat Ihrer Königlichen Hoheit versammelte sich bald nach 12 Uhr in dem kleinen Marmorsaal, woselbst auch 2 Pagen, welche Ihrer Königlichen Hoheit die Schleppe zu tragen hatten, Höchstdieselbe erwarteten.

Um 121/2 Uhr erschienen die Mitglieder des diplomatischen Corps, die Damen desselben und die durch die betreffenden Gesandtschaften vorgestellten[48] Fremden. Die Anfahrt für dieselben war vom Lustgarten aus durch Portal Nr. 5. in Portal No. 1.

Der Aufgang war im Portal Nr. 1. über die zum Sternsaal führende Treppe. Im Sternsaal wurde von dem Kammerherrn Grafen von Lucchesini das diplomatische Corps erwartet und nach dem zum Empfange desselben bestimmten, an den kleinen Marmorsaal angrenzenden Gelben Zimmer geleitet, woselbst es sich en cercle aufstellte, und zwar so, dass die Fensterseite ganz frei blieb und die Damen an dem Eingange zum kleinen Marmorsaale zu stehen kamen.

Sobald das diplomatische Corps versammelt war, machte der Vice-Ober-Ceremonienmeister Freiherr von Stillfried hiervon Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin und Seiner Hoheit dem Erbprinzen geziemende Meldung. Die Prinzessin begab Sich darauf an der Hand des Erbprinzen in das Gelbe Zimmer. Die Kammerherren Grafen von Pfeil und von Finckenstein traten Ihrer Königlichen Hoheit vor, die Ober-Hofmeisterin hielt sich zur linken Seite etwas rückwärts Höchstderselben, die Hofdamen blieben noch weiter zurück. Seine Hoheit der Erbprinz folgte der Prinzessin Braut, um auch Seinerseits die Glückwünsche des diplomatischen Corps entgegenzunehmen, und führte hierauf Ihre Königliche Hoheit nach dem kleinen Marmorsaal zurück.

Das diplomatische Corps entfernte sich auf demselben Wege, auf dem es eingetreten war.

Inzwischen hatten sich die zur Cour Erschienenen versammelt:


1. in dem an das Gelbe Zimmer angrenzenden, nach dem inneren Schlosshofe zu gelegenen Rothen Zimmer: die Damen, welche den Titel Durchlaucht, Fürstliche Gnaden oder Excellenz führen, und die nicht zum diplomatischen Corps gehören;

2. im Grünen Zimmer, unmittelbar neben dem vorigen: die Hofdamen Ihrer Majestät der Königin und Ihrer Königlichen Hoheiten der Prinzessinnen, sowie die übrigen hoffähigen Damen, welche nicht Excellenzen sind;

3. im Blauen Zimmer, links vom grossen Saale, nach dem Schlosshofe zu gelegen:

die anwesenden Mitglieder standesherrlicher Fürstlicher Familien,

der Minister-Präsident,

der Ober-Befehlshaber in den Marken,

die Obersten Hofchargen (Ober-Marschall Freiherr von Werther).

die Generale der Infanterie und Kavallerie, die Staatsminster, die General-Lieutenants und die General-Adjutanten Seiner Majestät des Königs, insofern sie General-Lieutenants- Rang haben, die Ober-Hofchargen, die Wirklichen Geheimen Räthe und die Ober-Präsidenten, insofern sie Excellenzen sind, die Bischöfe und die Präsidenten der Kammern;

4. im grossen Marmorsaale:

die General-Majors, die Räthe erster Klasse, die Kammerherren und die Flügel-Adjutanten Seiner Majestät des Königs,

die Räthe zweiter Klasse,

die Geistlichkeit, insofern sie nicht höheren Rang besitzt,

der rector magnificus,

der Ober-Bürgermeister, der Bürgermeister und der Stadtverordneten-Vorsteher der Stadt Berlin.[49]

5. im Blauen Saale und in den angrenzenden beiden Rothen Zimmern bis zum Sternsaale:

die Offizier-Corps der Garnisonen von Berlin, Potsdam, Spandau und Charlottenburg. Die corpsweise Aufstellung geschah unter Leitung der von dem General von Wrangel hierzu kommandirten Offiziere.

Laut der zu diesem Feste vertheilten gedruckten Ansage war die Anfahrt für alle bei der Cour erschienenen Personen von der Lustgartenseite aus durch das Portal No. 5. in Portal No. 1. Die leeren Wagen fuhren über die lange Brücke durch die Burgstrasse und stellten sich längs des Schlosses am Lustgarten auf. Die Abfahrt geschah durch dieselben Portale nach der Langen Brücke oder Breitenstrasse zu, indem durch den Weihnachtsmarkt die übrigen Passagen gehemmt waren.


Aus dem Marmorsaale führt an der Schlossplatzseite eine kleine Galerie zu dem mit rothem Damast ausgeschlagenen Zimmer, in welchem zum Behuf der Gratulations-Cour bei Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Charlotte ein Thronhimmel aufgeschlagen worden war. Es stand unter demselben kein Thronsessel, auch waren keine Stufen angebracht, sondern nur ein Teppich gelegt. Ausser einer Console am Pfeiler waren alle Möbel aus dem Gemach entfernt, so dass die Wände ganz frei blieben.

Die Unteroffizier-Garde hatte 4 Doppelposten gegeben, wovon 2 an der Thür innerhalb des Thronzimmers aufgestellt waren. Das Oeffnen und Verschliessen der Thüren wurde von Kammerdienern überwacht. An den übrigen Eingängen und an der Treppe waren Hoflakaien in Galalivreen aufgestellt.

Unmittelbar vor Beginn der Cour begaben Sich Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Charlotte, geführt von Seiner Hoheit dem Erbprinzen von Sachsen-Meiningen, aus dem kleinen Marmorsaal in das Thronzimmer und stellten Sich unter den Thron, und zwar in die Mitte, der Hohe Verlobte zur Linken Höchstderselben, etwas rechts gewendet. Zur Rechten des Thrones stellten sich die Ober-Hofmeisterin Gräfin Meuron, die Hof- und Ehrendamen und die Kammerherren Ihrer Königlichen Hoheit, zur Linken das Gefolge Seiner Hoheit des Erbprinzen von Sachsen-Meiningen. Der Vice-Ober-Ceremonienmeister Freiherr von Stillfried erbat von Ihrer Königlichen Hoheit den Befehl zum Beginn der Aufwartung und gab sodann das Zeichen zur Oeffnung der Eingänge.

Obgleich vermieden wurde, durch Aufruf die zur Cour Versammelten nach den zu unterscheidenden Rangstufen in das Thronzimmer eintreten zu lassen, so war die angegebene Ordnung doch so viel wie möglich aufrecht erhalten worden. Die Damen gingen einzeln, die Herren paarweise. Man bewegte sich in einer Bogenlinie nach dem Throne und zog sich, ohne dem Throne den Rücken zuzukehren, nach dem Ausgange zurück, welcher sich der Eingangsthür gerade gegenüber befindet. Vor dem Throne wurden 2 Verbeugungen gemacht, und zwar die erste an Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin, die zweite zugleich an den Erbprinzen.

Sobald die zur Cour Erschienenen das Thronzimmer passirt hatten, konnten dieselben sich durch den Sternsaal entfernen, während das Hohe Brautpaar Sich unmittelbar nach der Aufwartung aus dem Thronzimmer in den kleinen Marmorsaal zurückbegab, womit die Feierlichkeit geschlossen war.

Quelle:
Stillfried-Alcántara, Rudolf von: Ceremonial-Buch für den Königlich Preußischen Hof I. - XII. Berlin 1877, S. 47-50.
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