1. Reinlichkeit.

[23] Das erste Erfordernis, die erste und unerläßlichste Pflicht des Menschen, der darauf Anspruch macht, von dem Nebenmenschen geliebt, geehrt und geachtet zu werden, ist die Reinlichkeit. Reinlichkeit ist Pflicht gegen unsere Ehre, gegen die anderen Menschen schuldige Achtung, gegen unsere Gesundheit, gegen unsere äußere und innere Bildung, gegen unsere Eltern und gegen unser Fortkommen unter den Menschen. Reinlichkeit ist das Zeichen eines reinen Gemütes, Unreinlichkeit zeugt[23] von Vernachlässigung der Seele und ist der Anfang körperlicher und sittlicher Verwilderung. Reinlichkeit gefällt allgemein, ehrt und empfiehlt den Menschen im Verkehr mit anderen und sichert sein zeitliches Fortkommen, Unreinlichkeit erfüllt die Menschen mit Ekel und Widerwillen gegen uns, und hindert so unser zeitliches Fortkommen. Reinlichkeit trägt endlich entschieden zur Gesundheit bei, Unreinlichkeit dagegen erzeugt und befördert Unwohlsein und Krankheiten aller Art. Kurz gesagt: Reinlichkeit ist die Grundbedingung aller guten Lebensart und alles Wohlbehagens, sie ist die Zierde und der Schmuck des Menschen. Darum halte in Deinem Aeußeren vor allem auf Reinlichkeit.

1. Wasche jeden Morgen gleich nach dem Auf stehen mit frischem, kaltem Wasser Kopf, Gesicht, Augenwinkel, Ohren, Hals, Nacken und Hände. Namentlich wasche das Gesicht sauber. Das Gesicht ist der Spiegel der Seele; je klarer und reiner dieser Spiegel ist, desto schöner das von ihm wiedergegebene Bild.

2. Nach dem Waschen, sowie nach Tische spüle den Mund aus und reinige die Zähne. Nichts ist widerlicher, als wenn man beim Sprechen mit anderen übel aus dem Munde riecht. Ueberdies erhält eine regelmäßige Reinigung der Zähne dieselben gesund.

3. Besondere Sorgfalt verwende auf die Hände. An reinen Händen erkennt man den Mann der guten Gesellschaft. Reinige daher die Hände öfter, besonders nach Verrichtungen, durch welche[24] dieselben beschmutzt wurden, und spare die Seife nicht.

4. Beschneide die Fingernägel, nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz, am besten halbmondförmig, nach der Form der Finger. Dies aber vor anderen zu thun, wäre ungezogen und unanständig, ebenso das Abbeißen der Nägel und das Nagen an denselben. Dulde keinen Schmutz an und unter denselben.

5. Wasche öfter Deine Füße und schneide die Zehennägel. Oeftere Fußbäder tragen zur Gesundheit bei und verhindern den übel riechenden Fußschweiß.

6. Kämme jeden Morgen nett und gefällig die Haupthaare und ordne sie so, daß Du weder durch Geckenhaftigkeit und eitle Ziererei, noch durch Nachlässigkeit auffällst. Laß sie nicht zu lang und ungeordnet herabhängen; die Stirne soll frei und unbedeckt bleiben. Salbe die Haare nicht nach Art eines Modegecken und wühle nicht mit den Händen in denselben.

7. Trage überall ein reinliches Taschentuch bei Dir und reinige die Nase nur mit Anwendung desselben möglichst geräuschlos und unbemerkt, also womöglich von den anderen etwas abgewendet. Lege dann das Taschentuch wieder sauber zusammen und stecke es, ohne auf oder in dasselbe zu blicken, wieder ein.

8. Beim Husten, Niesen, Gähnen halte die Land vor den Mund und wende Dich von den neben Dir oder Dir gegenüber sitzenden oder stehenden Personen ab.[25]

9. Mittel zur Beförderung der Reinlichkeit sind öfteres Baden, sowie öfterer Wechsel der Leibwäsche. Wasche überhaupt möglichst oft und regelmäßig den ganzen Körper mit kaltem Wasser; wer sich daran gewöhnt, trägt sehr zur Stärkung der Haut und der Nerven bei, erhält dem Körper die naturgemäße Ausdünstung, erkältet sich weniger und härtet sich überhaupt ab.

10. Die Reinlichkeit hat sich auch auf die Wohnung zu erstrecken. Halte daher Deine Wohnung nebst Zubehör stets reinlich und sauber und lege Wert darauf, daß es bei Dir trotz aller Einfachheit ordentlich und nett aussehe. Die Zimmer seien jederzeit gesäubert, Tische, Stühle, Bücher usw. möglichst von Staub frei. Spucke nicht auf den Boden. Reinige vor dem Eintritt in Deine Wohnung Dein Schuhwerk. Lüfte regelmäßig die Gelasse, damit jeder üble Geruch aus denselben verschwinde.

11. Mache Dir ein für allemal zur Regel, alles zu thun, was zur Reinlichkeit gehört, und alles zu vermeiden, was auf den reinlichen Menschen einen üblen Eindruck machen muß. Bedenke: Manche achten auch auf das Kleine, und andere bemerken oft mehr, als Du meinst.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 23-26.
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