[43] Wenn viele Leute meinen, im eignen Hause dürfe man sich alles erlauben, da dürfe man sich ganz und gar gehen lassen, da dürfe man sich über die Gesetze, welche uns Anstand und gute Sitte im Verkehr mit anderen vorschreiben, hinwegsetzen, so ist das eine vollständig irrige Ansicht. Gerade im Hause muß man ganz besonders auf Anstand und Höflichkeit sehen, denn gerade ein lässiges Benehmen im Hause kann uns in der guten Meinung anderer, an der uns ja viel gelegen sein muß, herabsetzen, so daß all unser persönliches Entgegenkommen nicht hinreicht, um einen etwaigen üblen Eindruck zu verwischen. Wie das Aeußere des Menschen ein Spiegel seines Inneren ist, so läßt auch die äußere Form eines Hauswesens fast immer einen sicheren Schluß auf die Bewohner des Hauses zu. Die peinlichste Beobachtung des Anstandes auch inmitten des engsten Familienkreises ist das beste Kennzeichen wahrer Bildung und eines wirklich vornehmen Wesens, das auch im gewöhnlichen bürgerlichen[43] Kreise anzustreben ist und hier einen doppelt guten Eindruck machen wird. Dieser Anstand, dieser gute Ton, der innerhalb einer Familie, im häuslichen Kreise beobachtet wird, ist überaus wohlthuend nicht nur für die Familienangehörigen selbst, sondern auch für den Fremden. Auf ihn senkt sich beim Eintritt in ein solches Haus unvermerkt ein Teil des darin herrschenden Friedens herab, der es ihm wohl und behaglich macht, so daß er eine Achtung empfindet vor den Menschen, die hier schalten und walten, wie er sie vielleicht noch nie empfunden und gekannt hat. Darum soll jedes Mitglied der Familie darauf bedacht sein, durch Uebung des Anstandes auch im engsten Kreise das häusliche Leben so angenehm als möglich zu gestalten.

Dieser Anstand, dieser gute Ton, der in der Familie herrschen soll, kommt nun zum Ausdruck zunächst in der inneren Harmonie der einzelnen Familienglieder; in ihrem Betragen gegeneinander, und dann in gewissen Aeußerlichkeiten, die nicht zu unterschätzen sind.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 43-44.
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