G. Gegen Freunde.

[61] 53. Auch den Freunden ist man Höflichkeit und Anstand schuldig. Auch der beste Freund will mit Anstand behandelt sein, besonders vor fremden Menschen, wenn er auch nicht verlangt, daß man ihn mit derselben Etikette behandle, die man gegen Fremde beobachtet.

54. Freundschaft im edelsten Sinne des Wortes beruht auf gegenseitiger Achtung und Liebe. Verletzung[61] dieser Achtung ist das Grab der Freundschaft.

55. Sei daher gegen Deine Freunde höflich und dienstfertig, aufrichtig und redlich, nachgiebig und verträglich, nicht stolz, nicht rechthaberisch und zänkisch, nicht eigennützig, nicht zudringlich und nicht mißtrauisch, achte sie vielmehr, wie Dich selbst.

56. Zeige dem Freund auch vor anderen Deine Achtung; glaube ja nicht, daß er es nicht übel nimmt, wenn Du ihn unbeachtet lässest.

57. Mache ihn nie zum Gegenstand Deines Witzes und Deiner Laune; necke ihn nicht; auch der beste Freund wird das nicht ertragen. Gib ihm zu erkennen, daß Du seine Freundschaft schätzest.

58. Sei treu und verschwiegen und werde an Deinem Freunde kein Verräter; Du entehrst dadurch Dich und den Freund und gibst Aergernis.

59. Verlaß den Freund nicht in der Not, wenn auch alle Welt ihn verläßt; sei ihm ebenso teilnahmsvoll zugethan, wie in glücklichen Tagen.

60. Sei gerecht in Deinem Urteil gegen ihn, d.h. erhebe ihn nicht übermäßig, aber unterschätze ihn auch nicht.

61. Klagt Dir ein Freund seine Not, so höre ihn teilnahmsvoll an und hilf ihm, wenn Du kannst; speise ihn nicht mit leeren Redensarten ab.

62. Aus dem Umgang mit Freunden sei alle Verstellung verbannt; unter intimen Freunden muß Zutrauen und Aufrichtigkeit herrschen. Ebenso falle jede Schmeichelei weg, man muß das Herz[62] haben, die Wahrheit zu sagen und anzuhören, auch dann, wenn diese Wahrheit hart und bitter ist.

63. Alles, was unserem Freunde gehört, sein Vermögen, sein bürgerliches Glück, seine Gesundheit, sein Ruf, die Ehre seiner Angehörigen sei uns heilig, sei ein Gegenstand unserer Sorgfalt und Schonung.

64. Zu Deinen besten Freunden zähle jene, die Dich auf Deine Fehler liebevoll aufmerksam machen.

65. Hört die Freundschaft auf, so nimm deshalb keine feindselige Gesinnung an, überhäufe den früheren Freund nicht mit Schmähungen, bereite ihm nicht Unannehmlichkeiten und Verlegenheiten, mißbrauche nicht das Dir früher geschenkte Vertrauen.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 61-63.
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