IX. Wehe dem Fröhlichen!

[50] Einer meiner Prinzipale starb, und der andere fühlte sich, da er vermögend genug war, nicht veranlaßt, sein Geschäft weiterzuführen. Es wurde aufgelöst. Hätte ich damals genug Mittel besessen, so hätte ich bei den gestellten günstigen Bedingungen das Geschäft übernehmen können. Aber leider, wo's am Besten fehlt, kann man solche Konjunktur nicht ausnutzen.

Ich fuhr nun zunächst wieder einmal nach Tilsit zurück, in der Absicht, von da aus Verbindungen mit dem Westen Deutschlands anzuknüpfen, und es gelang mir, eine Chance nach Potsdam zu finden.

Auf dem Wege dahin begegnete mir auf dem Bahnhofe in Bromberg ein sehr guter Freund aus Lodz, der mir während meines dortigen Aufenthaltes lieb und wert geworden war. Augenblicklich war er noch in Lodz in Stellung und reiste nach Obornik, um sich mit einem älteren Fräulein zu verloben. Ich mußte ihm das bindende Versprechen geben, der Hochzeitsfeier beizuwohnen.

Als ich später in Potsdam in Stellung war, erhielt ich wirklich von ihm einen Brief, in dem er mir den Hochzeitstag mitteilte und mich aufs dringendste bat, mein Versprechen einzulösen. Ich machte mich auf einige Tage frei und fuhr seelenvergnügt nach Obornik. Diese Hochzeitstage waren für mich die letzten Ruhepunkte einer glücklichen Lebensperiode.[51]

Unter den Hochzeitsgästen befanden sich auch einige jüngere Herren aus Wronke. In unserer frohen Stimmung beschlossen wir, den Weg von Obornik nach Wronke zu Fuß zurückzulegen.

Meine richtige Tour wäre über Schneidemühl gewesen. Meine Begleiter aber redeten mir zu, von Wronke aus über Kreuz zu fahren. Da es mir auf ein paar Stunden Umweg nicht ankam, so ließ ich mich bereden und ging mit. Wir waren im ganzen etwa 18 Damen und Herren, von denen einige, je nach ihrem Wohnorte, vom Wege abzweigten, während wir anderen plaudernd und singend unsere Straße zogen.

Es war eine wunderschöne Maiennacht, und als wir zirka eine halbe Wegstunde von Wronke entfernt waren, ließen wir uns zu einem Picknick in der Nacht vor dem Schützenzelte nieder.

Einer der Gäste, ein junger Sattlermeister mit seiner Frau, die an dem Orte genau Bescheid wußten, erklärte, daß in dem Zelte ein Musikinstrument stehe. Mit Jubel wurde der Vorschlag, es einmal herauszunehmen und eine lustige Weise in der Maiennacht zu tanzen, aufgenommen. Das Instrument wurde zur Stelle geschafft, und wir verlebten zum Schluß noch eine fröhliche Stunde, die leider einen bitteren Nachgeschmack haben sollte.

Da dieser Platz an einer ziemlich viel begangenen Chaussee lag, so hatten uns verschiedene Passanten in unserer Fröhlichkeit beobachtet.

Des Tanzens müde, verabschiedeten wir uns gegenseitig, und mich lud der junge Sattlermeister ein, die vier Stunden,[52] die mir noch etwa bis zum Abgang des Zuges blieben, in seiner Wohnung von den Anstrengungen des Tanzes auszuruhen. Ich verschlief die Abfahrtszeit und betrat erst um etwa elf Uhr morgens die Straße.

Zu meinem Erstaunen trat, nachdem ich etwa hundert Schritte weit gegangen war, ein Polizeibeamter an mich heran und bat mich, auf einen Augenblick beim Bürgermeister vorzusprechen.

Hier lag bereits ein großes Protokoll vor, nach welchem aus den Räumen des Schützenzeltes ein Musikinstrument mittels Einbruchs gestohlen wäre. Von den Passanten hatten mich einige als einen der Teilnehmer an dem Tanze erkannt und denunziert.

Ich sollte nun angeben, wer den Einbruch verübt hätte. Mittlerweile war das Instrument aufgefunden. Es stand am Rande eines Roggenfeldes.

Nichtsdestoweniger hatte sich der Bürgermeister in die Idee verrannt, die ganzen Teilnehmer an der Ausfahrt zur Stelle zu schaffen, und da er bei mir keine physische Folter anwenden konnte, so versuchte er es mit der moralischen.

Allein ohne Erfolg, denn ich konnte unmöglich die Hochzeitsgäste für die kurze Lust einer Stunde in für sie so verderblicher Weise büßen lassen.

Ich fertigte den Bürgermeister deshalb kurz ab, und aus diesem Grunde befahl er meine Verhaftung, wollte sie aber sofort zurücknehmen, wenn ich die bei der Sache sonst Beteiligten namhaft machen würde. Auch dieser Köder verfing bei mir nicht, und


[53] ich hatte meine Generosität mit einem Jahr Gefängnis zu büßen!


Es war ja an und für sich hart genug, und angenehm war es mir nicht. Aber ich wußte doch, daß ich viele junge Leute vor einem Ruin ihrer Lebensexistenz bewahrt hatte. Denn wer einmal Besitzer von Vorakten ist, der hat der bei uns herrschenden Anschauung zufolge so ziemlich keine Hoffnung mehr, im Leben weiterzukommen.

Zur Verbüßung meiner Strafe wurde ich nach Posen übergeführt.

Hier lernte ich einen Gefangenen namens Kallenberg kennen, der sich mir näher anzuschließen suchte.

Anfangs zurückhaltend, gab ich mich doch der Unterhaltung mit ihm hin, und da er in seinem Auftreten noch keineswegs innerlich versumpft schien, so bildete sich zwischen uns beiden ein erträgliches Verhältnis heraus. Dazu kam noch, daß sowohl seine Eltern wie auch seine Brüder durchaus ehrenhafte Leute waren, die sich auch heute noch zum Teil in ganz ansehnlichen Staatsstellungen befinden.

Quelle:
Voigt, Wilhelm: Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde: mein Lebensbild. Leipzig; Berlin 1909, S. 50-54.
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