Achten Sie auf Ihre mürrische halbe Stunde!

[68] Wie bitte, Sie sind überhaupt nie mürrisch? – Ja, kennen Sie sich denn so genau? – Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß Sie oft selbst daran schuld sind, wenn Menschen Ihrer nächsten Umgebung schlechte Laune haben. Wenn Sie nämlich ganz ehrlich wären, müßten Sie zugeben, daß die schlechte Laune von Ihnen ausgeht und nicht von den andern.

Die mürrische halbe Stunde zeigt sich mit ziemlicher Regelmäßigkeit bei den meisten Menschen. Bei denen am meisten, die sich frei davon dünken. Die Zeit des Auftretens, die Spannung und Dauer sind unterschiedlich. Sie braucht keinesfalls immer eine Folge zu späten Aufstehens zu sein, wie wir es bei unserm Freund Egon zu beobachten Gelegenheit[68] hatten, ihr besonderes Kennzeichen ist nämlich, daß sie unangemeldet, unerwartet und vor allen Dingen ohne jede Ursache bei uns anklopft und ausgerechnet in einem Augenblick, wo wir keinen Mut haben, ihr die Tür zu schließen.

Etwa eine halbe Stunde lang ist der Mensch dann wie ausgewechselt. Er erscheint völlig unnahbar, ist verschlossen und schweigsam. Sein Gruß ist unfreundlich und wenn man ihn anredet, läuft man Gefahr, angeknurrt zu werden. Versteht man seine undeutlich gemurmelten Worte nicht gleich, so wird er ungemütlich.

Sobald nun aber seine Zeit abgelaufen ist, ist er wieder der alte liebenswürdige, freundliche und heitere Zeitgenosse, wie wir ihn gewohnt sind. Man hat so das Gefühl, als habe jener in seiner kritischen halben Stunde eine Entschlackung seiner Seele vorgenommen.

Wie soll man solche Menschen behandeln, wenn sie ihre geistige und seelische Metamorphose durchmachen? – Darauf gibt es nur eine Antwort: in Ruhe lassen! Versuche, sie anzuregen oder aufzuheitern, werden regelmäßig im Keim ersticken. Ebensowenig wird es gelingen, sie von ihrem Grübeln abzulenken und sie innerlich aufzumöbeln. Alles werden sie nur als Belästigung empfinden. Sie zu schelten oder gar gehörig anzuschnauzen, wäre das Törichtste, was man machen könnte, denn damit würde man wahrscheinlich nur eine unwillkommene Verlängerung des kritischen Stadiums erreichen.

Wir wollen daraus eine Lehre ziehen: Wird ein lieber Arbeitskamerad oder ein guter Freund zu Ihnen plötzlich einmal ohne jede erkennbare Ursache patzig oder gar gehässig, schlucken Sie es runter! Um alles in der Welt fordern Sie nicht von ihm eine Erklärung oder gar eine Entschuldigung. Das würde die Sache nur gefahrdrohend komplizieren. Das schlimmste ist nämlich, daß der andre selbst gar nicht weiß, warum er eigentlich gegen Sie so ist.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 68-69.
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