Hüte deine Zunge!

[99] Über den Mißbrauch der Sprache haben wir schon mancherlei gesagt. Wir hörten, wie Ironie und Sarkasmus verletzten können. Wissen auch, wie es uns selbst schmerzt, wenn wir mal in einer Stunde schlechter Laune einem unsrer Angehörigen oder andern Mitmenschen wehegetan haben, ohne es zu wollen. Das wäre nicht geschehen, hätten wir in dem kritischen Augenblick des Wortes Freiligraths gedacht:


»Und hüte deine Zunge wohl,

bald ist ein böses Wort gesagt.

O Gott, es war nicht bös gemeint!

Der andre aber geht und klagt – –«


Es gibt einen noch schlimmeren und gefährlicheren Mißbrauch der Sprache. Das sind Klatsch und Tratsch über die lieben Mitmenschen.[99]

Geschmeidige, wohlgesetzte und feingeschliffene Worte brauchen nicht immer Zeichen eines großen Geistes oder tiefen Gemüts zu sein, sondern können – im Gegenteil – einer schwarzen Seele entstammen. Sie können der Mantel für bittere Ironie, für beißenden Sarkasmus oder üble Nachrede sein. Wer die menschliche Sprache so mißbraucht, daß er andre Menschen in versteckter, nicht greifbarer Form aufs tiefste verletzt, daß er ihnen damit vielleicht sogar die Ehre abzuschneiden trachtet, wird von der Menschheit bald durchschaut und verabscheut werden.

Dazu gehört auch die niederträchtige Angewohnheit, über jemanden zu sprechen, ohne zu sprechen. Das ist eine scharfe spitze Waffe, die nur im Dunklen angewandt wird.

»Was halten Sie von dieser Frau X?« – Der andre antwortet nicht. Ein kaum wahrnehmbares, zynisches Lächeln spielt um seine Mundwinkel. Das ist alles. Wenig und doch sehr viel, mehr als hundert Worte.

Dieser feige Heckenschütze greift den Abwesenden mit unsichtbaren Waffen, noch dazu rücklings an, weil ihm der Mut fehlt, für seine Worte eine Verantwortung zu übernehmen.

Harmloser ist schon die leichte Ironie, die in Gesprächen von Frauen hin und wieder zutage tritt. Man sagt, weibliche Falschheit sei echte Weiblichkeit und es gäbe unter Frauen keine Feindschaft, sondern nur eine befeindete Freundschaft. – Seien wir einmal Mäuschen!

»Wie findest du meinen Frühjahrshut, Eva?«

»Entzückend. Das muß ja prima Qualität sein. Viermal umgearbeitet und noch so gut!«


*


»Ursel, sieh mal, diesen entzückenden Pelzmantel hat mir Bruno geschenkt.«

»Fabelhaft,« erwidert die Freundin, »und rührend von deinem Mann, wo er doch ein so bescheidenes Gehalt hat.«


*


Dazu noch ein kleines persönliches Erlebnis:[100]

Daß ich mit meiner Frau alljährlich einmal zum Topfmarkt gehe, ist sozusagen Tradition. Ich gestehe, daß ich immer gern mitgehe. Erstens natürlich meiner Frau wegen, zweitens der Marktleute wegen, drittens der Käufer wegen und erst viertens der Töpfe wegen.

Ich habe für das Los jener Menschen, die da hinter den hoch mit Geschirr aller Art beladenen, langen Tafeln stehn, volles Verständnis, denn sie haben es nicht leicht.

Nun stehn wir also, meine Frau und ich, zwischen den langen Tischreihen. Meine Frau handelt um einige Keramikstücke, während ich alles mögliche beobachte. – Hinter mir unterhalten sich zwei junge Frauen, die sich hier anscheinend zufällig getroffen haben, über eine gemeinsame Bekannte, die kürzlich geheiratet hat. Eigentlich ganz gegen meinen Willen höre ich zu.

»Na, was sagen Sie nun zu der Aussteuer? – Anrichte nur einssechzig und Bücherschrank kaum einsachtzig. Nach einem Entwurf angefertigt? – Haha, lächerlich.«

»Na, bei dem bescheidenen Einkommen des Mannes mag es ja genügen.«

»Verdient er so wenig?«

»Na, augenblicklich soll er ein ganz gutes Gehalt haben. Aber wer weiß denn, wie lange? – Das Herrenzimmer hat er übrigens selbst angeschafft – –«

Und so geht es in fröhlichem Geplätscher weiter. Nicht einmal Namen werden verschwiegen.

Plötzlich drehe ich mich ostentativ um. Die Hauptsprecherin erschrickt, verstummt, ahnt peinliche Zusammenhänge, errötet über beide Ohren und versucht, so schnell wie möglich meinem Blickfeld zu entfliehen.

Aber – der Topfmarkt hat seine Mucken! – In ihrer nervösen Hast reißt sie mit ihrer großen Handtasche beim Umdrehen eine Teekanne von der Ecke einer Tafel herunter.

Die Tülle ist ab. –

Jetzt hat der immer scharf beobachtende Markthändler das Wort:

»Ach, liebe Frau, Sie wollten die Kanne wohl mitnehmen? Bitte zwei Mark vierzig!«[101]

Ein kurzer Wortwechsel, aber schon klappern zwei Mark vierzig auf den hölzernen Tisch.

»Danke sehr. Darf ich Ihnen dir Teekanne etwas einschlagen?«

»Nein, danke, es genügt so.«


*


Ein Lebenskenner hat einmal gesagt: »Wenn über irgend eine dumme Sache Gras gewachsen ist, kommt bestimmt ein Kamel, das es wieder abfrißt.« Mit dieser Bezeichnung hat man einen Menschen bedacht, der mit einem Eifer, der wirklich einer besseren Sache würdig sein dürfte, fortgesetzt nach Gelegenheiten sucht, das in seiner schwarzen Seele aufgespeicherte Gift zu verspritzen, um andre Menschen um ihren guten Ruf zu bringen oder ihnen kaltblütig die Ehre abzuschneiden.


Hüte deine Zunge!

Wir können es uns ersparen, auf dieses ebenso betrübliche wie häßliche Thema des langen und breiten einzugehen, denn wohl jeder Mensch sammelt im Laufe seiner Jahre genügend Erfahrungen, die ihm zum besten Lehrmeister werden. Es sei nur auf einige besondere Gesichtspunkte hingewiesen.

Was bezwecken eigentlich die stark zu Klatsch neigenden Menschen mit ihrem verwerflichen Tun? – Einmal sind die Gründe Neid und Mißgunst, die auch heute noch in der Menschheit leider tief eingewurzelt sind. Daß jemand, der einmal größere Ausgaben macht, in den Augen des Neiders zu diesem Geld auf »höchst fragwürdige« Weise gekommen ist, ist für ihn eine ausgemachte Sache, wenn ihm auch die geringste Spur eines Beweises fehlt. Aber er behauptet ja auch gar nichts. O nein, das bereits erwähnte vielsagende, frivole Lächeln und ein gleichzeitiges[102] Achselzucken genügen durchaus. Man sagt aus Feigheit nichts und doch sehr viel.

Keineswegs ist der Grund für das Schmähen immer eine ehrliche Entrüstung über das angeblich unwürdige Treiben des andern, wenn es auch noch so geschickt vorgetäuscht wird. Nein. Einmal ist es die unverkennbare Sucht, andre Menschen in ihrem Ansehen zu schädigen und vor allem das Bestreben, bei einer Gegenüberstellung mit diesen »nichtswürdigen« oder »unmoralischen« Menschen besser zu erscheinen.

Wenn wir im Begriff sind, uns ein Paar neue Schuhe zu kaufen, dann werden die neuen Schuhe erst dann recht elegant wirken, wenn sie neben den ausgezogenen und vielleicht schon abgetragenen alten stehn. Ähnliche Motive spielen bei der Klatschsucht eine große Rolle.

Nur an eins scheinen die ewig schmälenden Menschen nicht zu denken, nämlich daran, wie man sie selbst einschätzt. Zu der Gemeinheit tritt also noch die Dummheit. Mag der andre ruhig zuhören und kaum eine Miene verziehen, wenn er später allein ist, wird er sich die Frage vorlegen: »Wie kann sich in einem Kopf so viel Schmutz und Verleumdung ansammeln?!« – Und wahrscheinlich wird das vernichtende Urteil, das der Schwätzer über einen Dritten fällt, nicht einmal so scharf sein, wie das Urteil, das sich der freiwillige oder gezwungene Hörer über den hinterhältigen Zuträger bildet.

Schließlich ist zu beachten, daß die Neigung zu Verleumdungen stets einen kleinen Geist voraussetzt.

Wer in allen Kreisen gern gesehen sein will, halte sich grundsätzlich von jedem Klatsch fern. Wird ihm etwas zugetragen, so steht er sich am besten, wenn er alles schnell vergißt. Denn, wer Verleumdungen weiterträgt, darf sich nicht wundern, selbst für einen hinterhältigen Zuträger gehalten zu werden, selbst wenn es unter der Maske eines Biedermanns geschieht.

Wie soll sich nun ein Mensch verhalten, der von einer üblen Nachrede hört, die über ihn verbreitet wird? – Ist die Sache wesentlich, so wird er den üblen Schwätzer selbstverständlich zur Rechenschaft ziehen, wenn er zu fassen ist. Im übrigen wird sich der, der eine reine Weste hat, um[103] das Geschwätz der Leute nicht kümmern. Dabei steht er sich am besten. Geschwatzt wird doch. Damit sollte man sich abfinden, auf die Weise erspart man Ärger, Verdruß und manches Nervenbündel. Eine Lehre soll uns das sein, was einst Friedrich der Große an Voltaire schrieb:


»Ich bin mit der Zeit ein gutes Postpferd geworden, lege meine Station zurück und bekümmere mich nicht um die Kläffer, die auf der Landstraße bellen.«[104]

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 99-105.
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