24. Der gute Ton im Brief

[137] Der feingeistige Dichter und vortreffliche Menschenkenner Jean Paul hat darauf hingewiesen, daß es kein sichereres Mittel gäbe, seine Freunde zu verlieren, als wenn man ihnen nicht schriebe. – Das ist nun allerdings schon über hundert Jahre her und so ganz trifft die Wahrheit des Dichterwortes heute nicht mehr zu, denn einmal hat die Raumüberwindung durch unsre neuzeitlichen Verkehrsmittel und den Draht das Schreiben manches Briefes überflüssig gemacht, ferner haben die Menschen heute weder so viel Zeit, noch solche beschauliche Ruhe, lange Briefe zu schreiben, wie die Zeitgenossen des Dichters Jean Paul.

Und doch hat der Kern des Wortes heute noch Bedeutung. Es mag ein Zeichen unsrer Zeit sein, daß die Zahl der schreibfaulen Menschen immer größer wird. Wenn zwei Freunde, die viel zusammen waren und prächtig harmonieren, durch eine örtliche Trennung auseinander gerissen werden, so droht dieser Freundschaft zweifellos eine ernste Gefahr, wenn nur einer der beiden ausgesprochen schreibfaul ist. Es gibt in der Tat viele Menschen, die eine große Abneigung gegen das Briefschreiben haben. Mangel an Fähigkeit ist selten der Grund, aber manchmal wohl Mangel an Übung. Wer keine Briefe schreibt, verlernt das Briefschreiben allmählich.

Es gibt Menschen, die in ihrem Beruf lange, tadellose Abhandlungen und Entwürfe aller Art anfertigen, die auch in der Lage sind, Eingaben an Behörden in mustergültigem Stil und treffsicherer Klarheit aufzusetzen, aber wenn es sich darum handelt, einem Verwandten oder einem Freund einen Brief zu schreiben, so versagen sie. Sie grübeln über den Anfang nach und legen schließlich Briefbogen und Federhalter resigniert zur Seite. Sie verschieben das Schreiben von einer Woche zur andern und von einem Monat zum andern. Der Faden, der den Schreibfaulen mit dem andern verbindet, wird immer schwächer und reißt dann ganz ab, ohne daß es ihm recht zum Bewußtsein kommt.

In der Tat ist auf diese Weise schon manche Freundschaft auseinandergegangen und manche Verwandtschaft hat dadurch einen empfindlichen Knacks bekommen.[137]

Ein Zeitgenosse, der die ebenso törichte wie rücksichtslose Versicherung abgibt, er schreibe grundsätzlich keine Briefe – jawohl, auch solche Menschen gibt es – wird sich allmählich in der menschlichen Gesellschaft unmöglich machen, wenn er nach seinen Worten handelt. Wir wollen aber zu seinen Gunsten annehmen, daß er sich nur aufgepustet hat. Es gibt nämlich im Leben eine ganze Menge Gelegenheiten, die auch den Schreibscheuen zum Schreiben von Briefen veranlassen. Wer einen Brief bekommt, ist in den meisten Fällen verpflichtet, ihn zu beantworten, denn nur ausnahmsweise wird er Gelegenheit haben, das telefonisch zu tun. Es kommt auch vor, daß man als Privatmann einem Kaufmann, einen: Handwerker, einem Nachbarn, dem Hauswirt, einem Fabrikanten oder einer amtlichen Stelle etwas mitzuteilen und darzustellen hat. Das wird in der Regel am besten brieflich gemacht werden.

Vor allen Dingen kann ein Verkehr zwischen örtlich getrennten Familienmitgliedern und Verwandten ohne brieflichen Verkehr kaum aufrecht erhalten werden. Selbst, wenn man nur zu Geburts- und andern Gedenktagen, zu Weihnachten oder zu Neujahr wie bei besonderen Anlässen schreibt, so bleibt doch wenigstens eine lose Verbindung.

Es kann sich also kein Mensch von der Verpflichtung des Briefeschreibens dauernd drücken. Es gibt Familien, in denen es üblich ist, daß die Frau alle Briefschulden erledigt. Da liegt offenbar eine Schwäche des Mannes vor. Und – eine unentschuldbare Bequemlichkeit! Er weiß ja, wenn er den fälligen Brief nicht schreibt, wird das seine Frau schon erledigen, die alles mehr mit dem Herzen tut und der das Briefschreiben oft eine seelische Angelegenheit ist. Wir brauchten den Ausdruck »Briefschulden«. Nur in den seltensten Fällen ist er hoffentlich berechtigt. An liebe Menschen wird man einen Brief eher darum schreiben, weil man dafür ein Bedürfnis empfindet, als daß man sich verpflichtet fühlt. Schon diese Einstellung wird dem Brief eine bestimmte Note geben.

Wer Gemüt und Herzenstakt besitzt, wird sympathischen Menschen immer gern schreiben. Er wird dazu auch immer Zeit finden. Die Briefe brauchen keineswegs immer stilistische Meisterstücke zu sein, viel wichtiger ist, daß sie aus offenem[138] Herzen kommen. Die Regel, man müsse so schreiben, wie man spricht, ist allerdings nicht wörtlich zu nehmen. Gewiß, man soll den Inhalt so gestalten, daß er dem eigenen Empfinden wirklich gerecht wird, soll also alle Übertreibungen und alle unnötigen Schnörkeleien wie übertriebene Versicherungen fortlassen, aber der Stil ist doch wesentlich anders, als beim Sprechen. Man reißt sich eben, wenn man einen Brief schreibt, ganz anders zusammen, als wenn man mit jemandem zwanglos plaudert.

Bei manchen Gelegenheiten wird es auch angebracht erscheinen, etwas Vorsicht walten zu lassen, denn geschrieben ist geschrieben. Was man sagt und erzählt, kann nie so festgehalten werden wie das geschriebene Wort. Natürlich wird es sich nicht vermeiden lassen, daß man in einem Brief seinen Empfindungen im ersten Aufwallen einer besonders eindrucksvollen Empfindung allzu freien Lauf läßt. Wenn man dann den Brief abends in den Rasten geworfen hat, steigen dem Absender vielleicht schon auf dem Heimwege Gedanken auf, daß er doch wohl allzu dick aufgetragen habe, daß er vielleicht besser – – aber der Brief ist fort.


24. Der gute Ton im Brief

Wahrscheinlich hat der Briefschreiber den gut bewährten Rat, die Sache mindestens einmal zu überschlafen, in den Wind geschlagen. Es kommt vor, daß man abends unter dem ganz frischen Eindruck eines vielleicht unangenehmen Ereignisses einen Brief schreibt, ihn aber liegen läßt, um ihn am andern Morgen nochmals durchzulesen und gegebenenfalls zu ergänzen. Und man macht am andern Morgen große Augen, wundert sich selbst über die Darstellungsweise, und das Ende vom Lied ist, daß man den Brief zerreißt und ihn dann ganz anders schreibt. – Das sollte uns zu mancherlei grundsätzlichen Überlegungen und Vorsätzen veranlassen.[139]

Unbesonnene und unvorsichtige Briefe werden naturgemäß in der Hauptsache von jungen Menschen, besonders von Liebenden geschrieben. Damit ist schon viel Unheil angerichtet worden. Gerade der Liebesbrief erfordert oft viel Überlegung, weil sich die Begriffe Liebe und Vernunft nicht so leicht unter einen Hut bringen lassen. Was alles über den Liebesbrief zu sagen ist, zeigt uns das im gleichen Verlag erschienene Buch: »So schreib' ich's meinem Schatz!« vom gleichen Verfasser. In unterhaltender, zum Teil sogar spannender und doch durchaus praktischer Weise wird darin gezeigt, was alles bei der Abfassung von Liebesbriefen zu beachten ist. Das Buch hat mit dem sogenannten Liebesbriefsteller vergangener romantischer Zeiten so gut wie nichts gemein. Viele Liebesschicksale rollen in Briefform vor den Augen des Lesers ab. Das Buch enthält zwischendurch auch Briefbeispiele, die zeigen sollen, wie man es nicht machen soll. Daran schließen sich sachliche Kritiken. Alle die männlichen und weiblichen Volksgenossen, denen das Schreiben von Liebesbriefen Schwierigkeiten macht, werden dem Buch so viel Anregungen und Entwürfe wie Muster entnehmen können, daß sie bald Liebesbriefe schreiben, die sie das Ziel erreichen lassen werden, das ihnen vorschwebt.

Nun noch einige Worte über das Äußere eines Briefes. Es ist grundfalsch, am Briefpapier sparen zu wollen, denn schon das Äußere des Briefes beeindruckt den Empfänger. »Ein besseres Briefpapier bin ich wohl nicht wert?« wird der Empfänger sagen oder mindestens denken, wenn er einen Brief auf schäbigem, billigem Papier erhält. Ehe er den Brief liest, hat er also schon einen bestimmten Eindruck, den der Inhalt nicht immer ganz verwischen kann. Die Frage, ob man die Schreibmaschine in den Dienst des Briefschreibens stellen soll, ist nicht ohne weiteres mit ja oder nein zu beantworten. Eins steht fest, daß ein mit der Maschine geschriebener Brief einen sehr sauberen und ordentlichen Eindruck macht, andrerseits fehlt ihm äußerlich die persönliche Note. Aus dieser Feststellung wird man erkennen, in welchen Fällen die Maschine und in welchen der Füller das richtige Schreibgerät ist.

Wird der Brief mit der Hand geschrieben, so soll man sich beim Schreiben Mühe geben. Die Meinung, daß eine[140] schlechte, flüchtige und unordentliche Handschrift das Zeichen eines Genies sei, ist längst überholt. Wer sich, wie es sich gehört, beim Sprechen und Plaudern einer guten Aussprache bedient, wird auch die Notwendigkeit anerkennen, sich beim Schreiben eines Briefes Mühe zu geben, was der Empfänger anerkennen und dankbar begrüßen wird.

Die äußere Form von Briefbogen und Umschlag ist heute wohl jedem so geläufig, daß darüber nichts gesagt zu werden braucht. Nur möchten wir auf die Notwendigkeit hinweisen, auf jeder Seite links einen etwa zwei Zentimeter breiten Rand zu lassen, sonst sieht ein Brief nicht schön aus. Noch häßlicher ist die Angewohnheit, den Rand nachträglich von unten nach oben zu beschreiben. Wer einen Brief schreibt, soll früh genug überlegen, was er zu schreiben hat und an welcher Stelle der Brief seinen Abschluß finden kann. Ein beschrifteter Rand erinnert immer an eine Frau, die nach Beendigung ihres Besuchs noch auf der obersten Treppenstufe etwas Wichtiges zu sagen hat.

Da könnte man von der liebreizenden Elfriede erzählen, die zum Verdruß ihres Verlobten keinen Brief ohne »Randbemerkung« schreiben konnte. Sie widersprach trotzdem, als ihr Winfried diese Behauptung aufstellte. Es kam zwischen beiden zum Abschluß einer Wette.

Schon wenige Tage später schrieb Elfriede ihrem Verlobten einen Brief und achtete sehr sorgsam dar auf, daß der Rand frei blieb. Tatsächlich richtete sie sich auch so ein, daß die letzten Grüße und allerletzten Liebesbeteuerungen am Schluß der letzten Seite ihr Ende fanden. Dann aber schrieb sie an den Rand: »Ich habe meine Wette gewonnen!« Aus.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 137-141.
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