In Singapur

[53] Sonnabend, 26. März.


Heute sind wir im New-Harbour von Singapur, fünf englische Meilen von der Stadt selber, angelangt. Ein weicher Duft erfüllte die Luft, die, kaum sich regend, alle Bäume erwartungsvoll starr schweigen ließ, als harrten sie eines Winkes, um die tropischen Regentropfen aufzuschlürfen. Der Hafen ist von der Natur durch sanfte, dichtbewaldete Hügel umgeben, und die Einfahrt ist ziemlich schmal. Ein blöder kleiner Launch sauste uns entgegen; mich wundert's, daß so ein dummes Ding sich nicht geniert vor den sanft gleitenden chinesischen Dschunken mit ihren siebenrippigen Segeln und kauernden nackten Fahrern. – Der Wakefield ankerte nah am Eingang an dem Landungsperron, wo eine Masse von Chinesen und Malaien stunden und guckten, während einige Engländer sich recht albern ausnahmen in ihren Helmen und mit ihrer wichtigen Miene. Möchte doch wissen, warum immer solch ein langes Getue vor dem Landen ist? Alles ist fertig, und doch hat noch jeder zu schimpfen und zu ändern. – Wir frühstückten schnell und zogen unsre weißen Leinenanzüge an; währenddessen kamen chinesische Schneider, Korallenhändler, Obstleute und so weiter ans Schiff und boten[53] feil. Ich mag sie gern, die Chinesen; sie sind so ruhig, fein in ihren Bewegungen; sie stoßen einen nie auf der Straße, selbst beim größten Gedränge, sie lachen freundlich, wenn man ihre kleinen Läden ansieht, und einen Eifer haben sie, wenn's der Arbeit gilt, der sie ganz den Ameisen gleichstellt. Hübsch sind nur wenige unter ihnen. Viel schöner sind die Malaien und die Hindus, mit ihren höheren, schlanken Gestalten, wundervollen Augen und feiner Nase, tiefbraun, fast rötlichblau schimmernd, wenn sie transpirieren, auf dem Kopf und um die Hüften ein weißes Tuch, sonst ganz bloß. Die Bewohner der Inseln wie Java und Sumatra sind unentwickelter und häßlicher. –

Wir machten uns fertig und gingen mit dem Kapitän ans Land, alle drei weiß wie drei Stückchen Zucker, und nahmen die Tramway nach der Stadt. Was war das für ein Eindruck! Es war zu viel auf einmal! Die heiße Erde ist ganz rot; und wunderbar heben sich davon die schlanken üppigen Palmenwälder, die Bananenhaine und all die unglaublich schwelgende Vegetation ab, die überall herausbricht und alles »wütend umschlingen« will. Wie mußte ich da an den zweiten Akt Parsifal denken, wie viele Lauben der Kundry erschienen mir, und als ich die unheimlichen gelben Blüten mit ihren langen Glocken sah, glaubte ich ein Blumenmädchen schmeicheln zu hören. Und dazu die chinesisch-malaiischen Dörfer, so leicht auf den Pfählen gebaut, meistens über dem Sumpf, der vom Meere durch Dämme getrennt ist;[54] alles aus Holz und das Dach mit dürren Palmenzweigen gedeckt. Eine kurze breite Leiter führt hinauf zum offnen kleinen Vorplatz, wo die Waren zum Verkaufe liegen, all diese kleinen Eßsachen, Reis, Sago, Bananen, Ananas, Joß (Räucherstengel), Fische und so weiter, und hinten im Zimmer sitzen die Männer auf dem Boden, meistens faulenzend, rauchend, Reis essend, Tee trinkend, sich ihren halben Kopf rasieren lassend, den Zopf flechtend, ihre Ohren mit einem kleinen Pinsel putzend; dies letztere ist eine wichtige Aktion, und sie schneiden unglaubliche Grimassen dazu. So fuhren wir weiter, Mund Nase, Augen und Ohren öffnend nach allen Himmelsrichtungen und uns puffend und zwickend vor Freude und Staunen an dieser ganz neuen Welt. Wir gelangten in die Stadt, und zwar nach dem europäischen Viertel, um zu den Agenten Paterson zu gehen. Dann ging's zum Telegraph, von da zu einem Malaien, den der Kapitän kannte. Eine merkwürdige Sitte beobachtete ich da; ein älterer Mann, wahrscheinlich Priester, trat herein, gab den Hausbewohnern die Hand, doch nicht wie wir, worauf jene die ihrigen, er die seinige küßte und wieder fortging. Wir lunchten bei Emerson, großem deutschen Restaurant mit Lesezimmer und Billards im ersten Stock; die Punkos (zum Kühlen) wehten von der Mitte des Raumes hin und her schwebend herab und wir aßen mit riesiger Lust; besonders herrliche Gemüse, Eislimonade; die Speisen, obwohl europäisch zubereitet, haben alle einen milden chinesischen Beigeschmack, und[55] die Portionen sind so niedlich klein und zierlich, wie ihre Tassen und Töpfchen; dabei servieren die Chinesen in weißen Röcken, barfuß, so schnell und ruhig, daß es eine Wohltat ist, wenn man dagegen an unsre Tellermazeppas von Kellnern denkt! Nachmittags wanderten wir durch die amüsanten Straßen und kamen an einem chinesischen Tempel vorbei, der uns sehr interessierte. Interessant ist es, den Grundriß mit dem der Buddhatempel zu vergleichen, welche letztere die direkte Vorstufe zu der altchristlichen Basilika bilden. Nachher gingen wir in ein Restaurant, lasen alte Zeitungen und fuhren bald heim zum Schiff in den kleinen Jinrickschas, von chinesischen kräftigen Jungen so schnell wie von Pferden gezogen; wir scheuten uns anfangs, zu zweit uns hineinzusetzen, doch da alle es tun, so taten auch wir es, und der Junge fuhr uns wirklich die fünf Meilen hinaus. In der Nähe des Schiffs trafen wir den Kapitän und first mate, mit welchem letzteren wir nochmals in die Stadt zu Fuß gingen. Die Straßen sahen einfach entzückend aus: wimmelnd von Chinesen, die wandern, kauern, trinken, rauchen, essen – auf den Straßen stehen dichtgedrängt rechts und links kleine Ständer mit bratenden, kochenden unglaublichen Cochonnerien; hinten in den offenen Zimmern der Häuser, wo an der Rückwand der bunte Hausaltar steht mit dem brennenden Joßstick und den Öllämpchen, sitzen an den zwei andern Wänden entlang Chinesen, kaum bekleidet, und schwätzen. An einer andern Seite, von vielen horchenden Chinesen umgeben, liest[56] ein älterer Chinese mit Brille bei einer Öllampe endlose Märchen vor, und keiner regt sich; die schönen Malaien und Hindus halten sich ruhig zurück in ihren dunkleren Straßen. Frauen sieht man nie auf der Straße, besonders am Tag; dagegen erscheinen sie abends in ihren gesonderten Wohnungen, auf ihrer Veranda vor der Haustüre, und besondere Straßen sind für die Leichtfertigeren bestimmt, die mit Geschrei und Gezerr am Arme die Vorbeigehenden, besonders die Europäer, anlocken; besonders gewandt sind darin die kleinen Japanesinnen, die wieder in einem besonderen Viertel wohnen. – Erst gegen zwölf Uhr fuhren wir nach dem Schiff zurück und hatten eine ziemlich schlechte Nacht durch die frechen Moskitos.


Sonntag, 27. März.


Knallhitze; wir schmatzen beständig Ananas und Bananen und fühlen uns herrlich. Vormittags gingen wir zwei in der entgegengesetzten Richtung der Stadt auf einer herrlichen roterdigen Landstraße spazieren und schrien vor Wonne über die Vegetation, über die himmlischen Palmen, und wir wünschten uns eigentlich einige Schlangen, um uns vollständig tropisch zu fühlen; es gibt auch welche, doch weiter entfernt von den Menschen. Wir wandelten immer weiter, begegneten vielen Chinesen und Malaien und kamen endlich zu einer großen Kokospalmenpflanzung, der Besitzung eines reicheren Chinesen, die auf der andern Seite durch das Meer begrenzt[57] ist; dort ist auch seine Wohnung, aus welcher verrückte Tamtammusik tönt; alles ist sehr rein, auch das kleine Dorf unter den Palmen, wo seine Untergebenen wohnen. Wie schade, daß die Chinesen, wenigstens hier, ihre originellen Wohnungen mit häßlichen europäischen Artikeln entstellen; die guten Kerle hängen ja sogar Bier- und Nähmaschinenannoncen als Schmuck an ihre Wände. Wir baten den Besitzer um Wasser und gingen dann zum Schiff zurück, wo wir lunchten. Nachher malten wir bis gegen fünf Uhr, um dann mit dem hyperpraktischen Kapitän nach dem fernen Botanischen Garten zu fahren. Eigentlich, und noch besonders in solchen Ländern, liebe ich solche Gärten gar nicht; doch ist dieser so schön und reich, daß wir uns wirklich daran freuten. Interessant sind die insektenfressenden Pflanzen mit ihren unheimlichen violetten Säcken, in denen sie die Gerippe der Insekten aufheben; sind dieselben bis oben voll, so stirbt die Pflanze, doch geht nichts verloren, denn die Gerippe bilden den Dünger für die kommende Pflanze. – Von fern ertönte englische Militärmusik, scheußliche Walzer spielend. Der Kapitän brannte, dahin zu gehen, doch war's zu spät, denn das »God save the Queen« erklang, und wenn die Queen an die Reihe kommt, dann hört der Spaß auf. Wir speisten zu dritt im Hotel de la Paix, wohin wir am folgenden Tage ziehen, bummelten noch in der Stadt und fuhren dann zum Schiff. Wieder scheußliche Nacht durch die elenden Mücken.
[58]

Montag, 28. März.


Sehr heiß und drohendes Gewitter. Die Europäer trinken rasend viel Bier, was mir unbegreiflich ist, ich bin glücklich mit Tee und Limonade und hasse diesen ewigen Wisky und Brandy.


Dienstag, den 29. März.


In den Straßen gebummelt. Der Morgen ist vielleicht noch lustiger wie der Abend: vom Lande kommen die frischen Gemüse, die Bananen, Ananas, Mangostane, Limonen in Bündeln herein und verteilen sich in die Läden. Vom Meere her laufen und schreien die Fischer und bringen die Ware den Händlern, die sie gleich zerteilen und in ihre dampfenden Töpfe werfen. Die Straßen sind wirklich ziemlich sauber, und nur dazwischen, wenn etwas widerliche Läden kommen, muß man seine Nasen fest zustopfen. Wir kamen in den Südwesten der Stadt zu dem Hindutempel, den wir gestern gesehen, und diesmal glückte es uns hineinzukommen. An und für sich ist es ein schlechtes Exemplar, doch ist die Anlage dieselbe wie bei den großen alten in Indien: Als Eingang eine Pagode (in drei Etagen), dann eine offene, dem Schiff des Tempels entsprechende Vorhalle, die rechts und links in den Hof führt, der den eigentlichen Tempel umgibt. Das Innere ist dreischiffig, mit dem spitzen indischen Klostergewölbe; im Hofe rechts hinten steht eine kleine Kapelle mit reizender bunter Kuppel, deren vier auch auf dem Ende des Tempels aufgesetzt[59] sind; in der Kapelle ein unglaubliches Götzenbild Buddhas, ebenso auf der linken Seite, in den Wohnungen der Priester. In das Innere des Tempels darf man nur barfuß, so daß wir also den eigentlichen Altar nicht sahen. – Wir frühstückten dann im Hotel, sehr viel, himmlischen Tee von einem Dufte, wie ich ihn nie getrunken. Die Chinesen servieren so nett! so ruhig und beflügelt. Die Deutschen im Hotel sind greulich, lärmig und affenartig! Und da wollte einer noch Darwin widerstreiten, wenn man diese Gesellschaft sieht, die gleich auf den Bäumen herumklettern könnte.

Wir promenierten an der schrecklichen englischen Kirche vorbei nach dem Südosten der Stadt, zuerst dem Hafen entlang auf einer schönen breiten Straße, wo Kommiskorso stattfindet und einige Betrüghotels liegen, dann weiter durch die chinesische Vorstadt. In einer Seitengasse links liegt ein buddhistischer Tempel, häßlich, ganz modern; doch erklang aus ihm ein feierlicher Massenton, und wir konnten sehen, wie die Hindu und Malaien den Boden küßten, Verbeugungen machten, aufstanden und so in einer geregelten Ordnung fortfuhren, dazwischen ihren Dreiklang ertönen lassend. Wir schauten vorn zu an dem Eingang, wo all ihre Schuhe nebeneinanderlagen. – Nach dem Diner gingen wir in die Stadt und verloren uns wieder in die reizenden Gassen. Ein Mordsradau aus der Ferne lockte uns an; es war ein chinesisches Theater, auf der Straße; die Bühne in einem kleinen Hause, ziemlich erhöht und furchtbar eng und[60] niedrig. Lampions, bunt durcheinander, erleuchteten die verrückt gestikulierenden Aktoren. Rechts in der Ecke ist das elende Radauorchester aufgestellt mit seinem rasenden Lärm und falschen Harmonien, bestehend aus Tamtam, Becken, einem als Pauke dienenden Holzgefäß, das wie ein alter Topf klingt, einer Art Englischhorn und mandolinenartigen zweisaitigen Instrumenten. Die Handlung besteht aus Gebärden, Körpersprüngen, die besonders grotesk bei einem Manne ausfallen, dessen Name – als ständige Figur – wie der Pulcinello – mir bisher unbekannt ist. Er sieht so namenlos blöd aus mit seinem weißen Bart, scheußlicher Maske, ruderartigen Löffeln rechts und links am Kopf herausstechend, und seine Tanzgebärden sind noch blöder! Er macht seine Rondos, geht dann auf die Seite, dann kommen zwei oder vier Mädchen und führen einen Tanz aus, mehr aus Handbewegungen bestehend, sie knien nieder und neigen den Kopf zur Erde – die Musik pausiert einen Augenblick – die eine spricht oder schreit vielmehr zwei unverständliche Worte – die Musik pumpert wieder, und nun erfolgt ein kleiner Umzug mit roten Fahnen auf der engen Bühne. Von den Frauen hat eine einen langen weißen Bart als Maske. Nach dem Umzug kommt wieder der Urblöde – und dasselbe beginnt von neuem – und endet wohl nie, außer wenn die Armen von Hunger, Schlaf und Durst ermattet sind. – Die Straße war vollgestopft von Chinesen, und die Luft war etwas zu luftlos, als daß wir es hätten länger aushalten können.
[61]

Freitag, 1. April.


Nach dem Luncheon nahmen wir einen Wagen mit munterem Pony und intelligentem Malaienkutscher und fuhren nach den Whampoagärten. Es war dies wohl der höchste Eindruck, den Natur bis jetzt auf mich gemacht. Das Zauberische und doch Trauliche ergoß sich über all diese Blumen und Sträucher, die eine so berückenden, immer neuen Duft ausatmeten, daß es uns fast schwindelig vor den Augen wurde. Doch das schönste waren die Lotos, die noch teilweise blühten und wie höhere Wesen, wie rätsellösende und doch sie nicht verkündende Traumgeister, wie matte, Krischna ersehnende Indierinnen über dem Wasser sich öffneten und in ihrem Blatte die Tränen des nach ihnen mit heißer Leidenschaft verlangenden Himmels zu großen lachenden Perlen verwandelten. Die Farbe der Blumen ist hellrosa, und haben nicht das Befremdende, ja Starre und Wilde, das die andern Blumen meisten hier haben. Das Blatt schimmert graublau, auf der unteren Seite etwas ins Violett gehend. Das Volk, welches solche Blumen hat, kann wirklich nicht anders als schön dichten! – Ich glaube, die Engländer fänden die Gärten häßlich; denn sie sind wenig gepflegt, und es sind auch keine sogenannten Anlagen; es sind einfache quadratische oder rechteckige Gärten, die verschiedenen Chinesen gehören, deren jeder in dem seinigen sein Häuschen stehen hat, doch sind sie verbunden durch reizende kleine Wege, und es trennt sie nur ein dünner Kanal oder eine blühende[62] Hecke; gerade in dieser Ungepflegtheit und in dieser echt chinesischen, auf das Niedliche trachtenden Anlage liegt der erhöhte Reiz, und die Blüten duften nur noch süßer, und ihre Farben strahlen nur noch voller und mächtiger, weil sie nicht beständig gelang weilt werden durch die philiströse Schere. Ein Gang besonders beglückte uns, eine Art schmale Allee jener dünnstämmigen, schlanken Palmen mit ihrem kleinen originellen Büschel an der Spitze; am Ende liegt eine Bauernhütte, rechts und links hübsche grünlichblaue Blumentöpfe mit blühender Pracht, und immer dazwischen, wo Wasser ist, träumt der Lotos, und wir müssen jedesmal wieder stillstehen, um seinen träumenden Gesang zu hören. So wanderten wir lange umher und konnten nicht genug Farbe und Duft in uns aufnehmen. Wir müssen noch einmal hingehen. – Die Heimfahrt war auch wieder etwas Unbeschreibliches; wir nahmen einen andern Weg wie bei der Hinfahrt und fuhren an Seen vorbei, in denen ganze Dörfer von Malaien liegen, auf Pfählen gebaut, ein so phantastisches Durcheinander! – an einem kleinen chinesischen Tempel und an vielen entzückenden malaiischen und chinesischen Segelschiffen vorbei, bis wir zum eigentlichen Hafen gelangten, wo uns von weitem die freche englische Kirche mit ihrem blödsinnigen Turm entgegenpuritanerte. – Nach dem Diner gingen wir in die Stadt, und zwar in den Teil, wo die frechen kleinen Chinesinnen wohnen; wieder ein Straßentheater. Mir vergeht bald die Lust, diesen aufdringlichen Blödsinn anzuhören.[63] Trotzdem gingen wir nach einigen Minuten in einer andern Straße in ein wirkliches Theater, in einem länglichen großen Schuppen. Entree zehn Cent. Auf einer rings herumführenden Empore saßen die Frauen und unten die Chinesen. Das Stück war, glaub' ich, an und für sich besser; jedenfalls war mehr Dialog; aber der Radau der Gongs macht geradezu verrückt. Die Bühne, erhöht, breit, aber kurz, hat zwei Türen nach hinten, aus denen die Tragöden treten. Zwischen diesen Türen steht das schauerliche Orchester, in der Mitte der Mann mit seinem wahnsinnigen enormen Gong, dessen eine Hälfte er mit der Hand hochhebt, um sie dann auf die andre fallen zu lassen. Am anständigsten ist noch die Art Oboe, die in den Zwischenspielen oft ganz nett klingt, mit ihren unklaren Tonfolgen und der begleitenden zweisaitigen Mandoline. Vor dem Gongmann ist ein Stuhl oder Thron, auf den sich der alte Trottel mit seinem endlosen weißen Bart setzt und einen langen Sermon hält, während rechts und links je drei Personen, je zwei ebenfalls mit Bärten, je eine als Frau verkleidet, zuhören und hie und da eine Verbeugung machen. Unter diesen ist auch der Mann mit den Rudern an den Ohren, doch hat er hier in der höheren tragédie eine untergeordnete Rolle. Wenn der Alte ausgewaft hat, entfernt sich die ganze Gesellschaft, und es folgt ein Dialog von zwei Frauen (Männern), die mit der Fistelstimme reden, aber unvermeidlich hinuntersinken, und das klingt furchtbar lächerlich. Ich kann mir die Verachtung[64] wohl vorstellen, die die Indier und Perser gegen die Chinesen haben müssen. Es ist wirklich greulich, diese Spielerei, und es ist interessant, die Zuschauenden zu beobachten, wie sie mit offenem Munde stumpf hinstarren, sich mehr umdrehend nach andern als aufpassend. Wenn ich dagegen halte, was Gobineau über die Teilnahme der Perser am Theaterspiel sagt, wie sie weinen und klagen, wenn der traurige Untergang von Mohammeds Nachfolgern geschildert wird!

Da die Luft und der Lärm nicht gerade erfreulich waren und Clement sich eben aus dieser Ursache nicht ganz wohl fühlte, gingen wir bald hinaus und wendeten uns dem Hotel zu. In einem Haus sang eine Frau mit der Mandoline, an der Wand gelehnt und am Boden sitzend, während neben ihr mehrere andre Frauen dumpf vor sich blickten und eingeschläfert zu werden schienen. Ihre Sangesweise war nicht schlecht, melancholisch und träumerisch; sie sang wohl so stundenlang, immer sich wiederholend und immer mit gleicher schwacher Stimme.


Sonnabend, 2. April.


Göttliches Wetter, so schön, wie wir es hier noch nicht hatten, da es ja bisher jeden Tag fast eine Stunde geregnet. Wir beschlossen, eine große Schlangenexpedition nach der Insel Batam zu machen, und obwohl wir weder nach Batam kamen, noch irgendeine Schlange sahen, entschieden wir uns doch, es die Schlangenpartie zu nennen. Als ich nämlich telegraphiert hatte, meldete mir[65] Clement, daß der malaiische Bootsmann ihm erwidert habe, Batam sei neunzehn Meilen entfernt, also viel zu weit; unter einer gewissen schlechten Laune mußten wir uns also mit den Palmenwäldern auf dem Inselvorsprung im Osten begnügen, wurden aber unglaublich belohnt, denn es wurde unser schönster Tag. Nachdem wir akkordiert hatten (drei Dollar pro Tag), fuhren wir los im Segelboote, mit fünf Männern, von denen vier Klings, einer Neger (von Sumatra, denk' ich mir). Wir zwei saßen unter einem Bambuswalmdach, auf einer hübschen Bambusmatte, deren ich mehrere nach Hause bringen will, und waren anfangs noch etwas sneevish; was, im Grunde genommen, bei Partien immer gut ist; denn heiter beginnende enden immer mit entsetzlicher Laune und Müdigkeit. Wir beobachteten unsre Ruderer, besonders den Mohren, dessen Füße wirklich noch sehr nah verwandt mit denen des Affen sind; denn man kann die ursprüngliche Bestimmung der Zehen und der Ferse zum Halten beim Baumklettern noch deutlich erkennen. Die Haut unter dem Fuß ist faltig und etwas froschartig, die Zehen unten weiß wie unsre. – Wir fuhren durch den Hafen zwischen europäischen Schiffen und chinesischen Dschunken hindurch, die reizend aussehen mit ihrem gebogenen Deck, kleinen Bambushütten darauf und hübschen braunen Segeln, und gelangten allmählich zu den großen Kokosnußpalmenwäldern, die ganz wundervoll sind, endlos sich an der ganzen Küste erstreckend und zwischen ihren Stämmen entzückende[66] malaiische Fischerdörfer bergend. Die hohen üppigen Palmen mit ihren dicken runden Früchten reichen bis an das Meer hin, und viele am Rande stürzten schon um, weil das Meer ihre Wurzeln der Erde beraubte, und sie liegen da mit ihren grauen Stämmen und versinken allmählich immer tiefer unter den Sand. Der Anblick solch eines Waldes ist himmlisch, wenn die Sonne auf den Zweigen spielt und ein leichter Wind sie schüttelt. Wir fuhren zuerst noch ein Stück entlang, dann stiegen wir aus, von unsern Männern ans Land getragen. Wir hatten Durst, und um dem abzuhelfen, baten wir einen Malaien um Kokosmilch. Für fünf Cent war er dazu bereit, holte einen endlosen Bambusstock mit einem eisernen Haken an der Spitze, und schwankend balancierend glückte es ihm, drei abzuschlagen, die mit großer Gewalt auf eine Hecke herabstürzten, die sie halb zerquetschten. Mit einem schweren Messer schlug er sie auf, bis zu der Öffnung des Innern, in dem die süße Milch lag. Der Trank erquickte uns sehr, und wir zogen weiter durch das Dorf und dann wieder an den Strand. Ich kam auf den gloriosen Gedanken, Schuhe und Strümpfe auszuziehen, was wir sofort taten, und unsre Hosen bis übers Knie zurückfalteten. Welche Wonne, auf dem glühenden zarten Sand zu waten und im warmen Wasser herumzupantschen! Unsre Schuhe warfen wir ins Boot, und in diesem Kostüm zogen wir den ganzen Tag herum. Gibt's ein unschuldigeres Geschäft als Muschelnsammeln? Obwohl ich sie eigentlich gar nicht liebe, so[67] bückte ich mich doch oft genug, in Gedanken an Manfred1, dem sie vielleicht Spaß machen. Auf dem ganzen Wege huschten seitwärts kleine graue Krebse, die ihre Behausung in tiefen runden Löchern im Sand haben. Clement erzählte mir von den Räuberkrebsen, die auf die Kokospalmen vom Meere aus klettern, oben angelangt solange an die Frucht pumpern, bis sie hinunterfällt, worauf sie hinuntersteigen, die Frucht aufkratzen und die Milch trinken. – Wir wateten immer weiter, wie zwei Peter Schlemihls; denn wirklich, wir hatten keinen Schatten, aber nicht durch Teufelsmacht, sondern weil es Mittag war und wir ja fast am Äquator sind. Gott, war das himmlisch! – Wir gingen wieder etwas unter die Palmen, durch ein Dorf, wo wir uns Bananen und – eine Bottle of Ale kauften, bei einem Chinesen, da diese immer den Handel und das Fabrikartige betreiben; so auch bei einer Kalkbrennerei aus Muscheln, von wo ein bläulicher Rauch weit in die Palmen sich ergoß und ihre Konturen aufzulösen schien. Da uns die Füße auf den Muscheln und dem Grase etwas weh taten, wandten wir uns wieder ans Ufer; da lagerten wir und aßen unsre mitgebrachten Wurstsandwichs und Bananen, die man hier Pisang nennt. Um ein Nachmittagschläfchen genießen zu können, setzten wir uns in unser Boot, aber da die Wellen höher gingen, hatten wir eine ziemlich schaukelige Ruhe, und meinem Clementchen wurde es etwas schlecht. Ich hatte merkwürdigerweise[68] nicht zu leiden. Nach einer Stunde ungefähr kamen wir wieder unter die Palmen, nachdem unser Schiff des Windes wegen gerade ein Dreieck gelaufen hatte. Wir landeten, krabbelten wieder herum und suchten eine geeignete Stelle zum Baden! Diese fanden wir auch bald hinter einem englischen Meilenstein; wir zogen uns aus, ließen unsre Sachen unter einem Busche – und stürzten uns – zwei Adame – in die warme See und schwammen. Ich behielt meinen Hut auf dem Kopf, aus Sorge wegen des Sonnenstichs. Da wir natürlich kein Handtuch dabei hatten, mußten wir uns von Sonne und Sand trocknen lassen. Allerdings mein Unterjäckchen aus Bayreuth mußte sich doch, zur Beschleunigung des Geschäftes, als Handtuch gerieren, und es fühlte sich hochgeehrt, als ich es dann in der Stadt unter dem Arme nach Hause führte. Der Sand drang in unsre Poren, und wir sahen rot wie Krebse aus! Nein, war das lustig! Wir pfiffen und sangen, und die Kokospalmen werden wohl zum erstenmal »Es gibt ein Glück, das ohne Reu« gehört haben. Auf einer echt englischen Landungsbrücke fliegen wir wieder ins Boot und fuhren heim, indem wir Schuhe und Strümpfe wieder anzogen und die Hosen hinunterließen, die durch den ihnen anhängenden Sand tüchtig kratzten. Wir landeten, zahlten, die geldgierigen Tropfen wollten natürlich mehr, aber als kaltblütige Engländer sagten wir »No« und gingen weiter. – Im Hotel tranken wir Limonade und ruhten einige Minuten aus; mußten aber gleich wieder hinaus,[69] denn ein geradezu toller Sonnenuntergang rief uns. Im Osten glühten in Fleischfarbe zwei dicke gewittergefüllte Wolken, aus denen es zuckte; sie waren verbunden durch eine gelbliche Wolkenbrücke, und dahinter starrte eine stahlblaue eckige Wolke. Im Westen war alles Wonne und Glühen, und die Sonne sandte drei rosige lange, scharf abgegrenzte Strahlen nach dem Osten hin! Es war gewaltig, und wir staunten und wurden angestaunt, da die kricketspielenden Kommis natürlich den Himmel überhaupt gar nicht sahen. Das war ein Tag heute!


Sonntag, 3. April.


Als wir nachmittags einen kleinen Gang machten, da hörten wir plötzlich, mitten im Gewirr der schreienden Verkäufer, der rollenden Wagen, pfeifenden Schiffe aus einem großen öffentlichen Gebäude einen Chor aus der Johannespassion! Wie Eis rann es mir durch die Glieder, wir standen wie gebannt und trauten unsern Sinnen nicht; doch es war richtig, denn als wir näher gingen, merkten wir, daß da oben für Ostern oder vielmehr Karfreitag eine Probe abgehalten wurde. Es war einer der Choräle, welche ich von Kniese gehört hatte, doch mir fielen die Worte dazu nicht ein. Der Eindruck war auf uns beide so überwältigend, die Urklänge der Religion, der felsenfeste bewußte Glaube Bachs drangen so unmittelbar, so beseligend und alles andre verschwinden lassend in uns, daß wir uns gestehen mußten, nie von diesem Genie einen gleich gewaltigen Eindruck gehabt[70] zu haben. So feierten wir die heilige Woche! Mitten in dem buntesten tropischen Treiben dringen bis zu uns diese wundervollen Klänge. Konnte uns etwas Schöneres zuteil werden? Und gewiß war es kein Zufall, daß wir da vorbeikommen mußten! Vielleicht sangen sie es gerade zur selben Zeit in Bayreuth, und Mama hörte zu. Wir zwei waren so ergriffen, daß wir den ganzen Heimweg kein Wort sprechen konnten. –

Fußnoten

1 Mein Neffe Manfred Gravina


Quelle:
Wagner, Siegfried: Erinnerungen. Stuttgart 1923, S. 71.
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