In Spanien

[45] Dienstag, 16. Februar 1892.


Früh um ein Viertel fünf Uhr weckt uns der Steward: »Gibraltar, Sir.« Wir beide sind furchtbar faul, müssen aber auf. Es regnet warme Tropfen. Im Zwielicht erblicken wir den imposanten Felsen und unten an ihm die Lichter der Stadt. Wir frühstücken mit mehreren Mitlandenden, nehmen von den andern Abschied und beglücken durch Trinkgelder. Was für liebliche Gesichter[45] so eine dumme Münze doch hervorzubringen vermag! – Ein kleines Boot nimmt uns auf, um nach der Stadt zu fahren. Während des Trajekts wird es wilder und regnet mehr, so daß wir da zum ersten Male hätten an Seekrankheit glauben können; aber die Küste war zu nah. Alles ist hier englisch; und der Kontrast des Südlichen und Nördlichen unglaublich. Am Customhouse hatten wir keine Schwierigkeiten. Die Befestigungen sind kolossal; doch davon erst nachher; zunächst fuhren wir nach dem Hotel Royal, zuerst an Palmen und Rosen vorbei, dann durch die enge Hauptstraße mit einem ganz italienischen Leben. Das Hotel ist etwas betrügerisch. Wir machten uns gleich auf, erst zum Telegraph; dann geht das Obstessen los, himmlische Orangen, Bananen, Mandeln, Nougat und so weiter. Wir suchten Mr. Smith, Agent der London Coal Company auf, der sehr freundlich sich unsrer annahm, uns eine Entree zu den Galerien (siehe unten) verschaffte; wir besprachen auch den Plan nach Granada. Von ihm aus gingen wir zum Tor hinaus, in die Anlagen, welche den Norden mit der Südspitze der Halbinsel verbinden. Der erste Anblick, links vom Tore, war ein alter Friedhof englischer Krieger aus den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das ergreifend Schönste an Stimmung der trauernden und versöhnenden Natur: Heliotropenbüsche, Pinien, Zypressen, Palmen und frisches Grün, dazwischen gelbe Rosen, vom hellsten Sonnenlichte bis zum dunkelsten, fernsten Schatten. – Ganz beglückt,[46] wie neue Menschen, in beständigen Ausrufen, fast heulend, immer bald hierhin bald dorthin blickend, gehen wir weiter in die unbeschreiblich üppigen Anlagen; der ganze, fast unheimlich sinnliche Zauber der südlichen Natur bricht hier los auf einem nicht großen Raume. Entzückende duftende Blüten allenthalben, glühende Orangen, leider schon verblühte Aloes und so weiter, viele Palmen! Wie viel dachte ich an das südliche Italien, das ich gerade vor zehn Jahren zum letzten Male sah. Die Sonne brennt tüchtig; der Blick auf die Bucht ist großartig; fern im Norden wildzackige Berge, auf der afrikanischen Seite mehr ruhige stolze Linien.

Um zwei Uhr machten wir uns zu einem großen Marsche auf, mit unsern neuen englischen Strohhüten, unter denen wir uns unwiderstehlich dünkten. Auf kleinen, ganz neapolitanischen Kraxelwegen, die aber, dank den Engländern, sehr sauber sind und die unglaublichsten Namen führen: Queens Street, Engeneer Road und so weiter, wanderten wir den Berg hinauf bei wundervoller Knallsonne, soweit es erlaubt ist; denn oben ist alles befestigt und unzugänglich. Wir kehrten um und gingen in die Galerien, meilenlange, in den Felsen gehauene Gänge mit Öffnungen in Entfernungen von zehn bis zwanzig Metern, in welchen die Kanonen stehen; ich durfte mich nicht als Deutschen kundgeben, da nur Engländer Zutritt haben. Eigentlich interessieren mich diese brutalen Dinge gar nicht, und die Millionen, welche die englische Regierung dafür ausgibt,[47] könnten besser angewendet sein; Gladstone stimmt sehr für Aufhebung der ganzen Kolonie; gesprengt wurden diese Galerien im Jahre 1788 und 1798 von den Sträflingen. Schön ist die Aussicht nach Norden über die schmale Landenge, wo ein öder breiter Streifen die Grenze der Kolonie bezeichnet, nach den schönen fernen Bergen; unten links am Meerbusen liegt ein spanischer Ort mit großem Stierkampftheater, rechts, direkt unten die Friedhöfe der Engländer, Italiener (?) und Juden, denn deren gibt's tüchtig viele, recht unangenehme; wogegen die Mauren in ihren pittoresken Kostümen einen guten Eindruck machen. Von dort kehrten wir in die Stadt zurück, in ein Café, dann an zwei english Churches vorbei, an die Südspitze des Felsens; herrlicher Blick ins Mittelländische Meer und nach Afrika. – Der Heimweg göttlich, durch einen mächtigen Pinienhain; der Schuß vom Felsen kündet Sonnenuntergang an und hallt brüllend an den fernsten Felsen wieder. Wie glücklich fühlen wir uns, wie gesund und frisch ermüdet. Kaum im Hotel, erhalten wir die Nachricht, daß wir vollauf Zeit haben, nach Granada zu reisen; gegessen, gepackt, gezahlt, gegangen, und hinübergefahren zu dem französischen Dampfer »La ville de Barcelone« von der Compagnie transatlantique; obwohl das Schiff nicht so hübsch und sauber ist wie die englischen, so freute ich mich doch sehr, wieder das liebe Französisch zu hören; es klingt doch viel hübscher als das Englisch. – Alle Sprachen wirren hier durcheinander;[48] selbst ein paar Deutsche machen sich mit unangenehmem Gequatsch breit und hindern uns am Schlaf, was wir ihnen sehr übelnehmen; denn wir sind furchtbar müde und legen uns sofort, jeder in seine Kabine. Wie herrlich schliefen wir!

Mittwoch, 17. Februar.


»Malaga, Monsieur,« tönt's um halb sieben Uhr; auf, angezogen und gefrühstückt (die Fahrt kostete achtzehn Franken à Person). – Jetzt sind wir im eigentlichen Spanien; eine namenlose Bande von Schiffern an Bord, um uns überzusetzen. Am Lande wurden die Koffer ganz bis zum Grund untersucht, sogar in die Taschen langen sie, die Fanulluonegesellschaft; hätten wir den Lumpen einen Eskudo gegeben, so wären wir frei passiert, aber wer denkt gleich an solche Gemeinheit bei einer Behörde!

Malaga liegt sehr schön da, umgeben von etwas kahlen Bergen, ganz modern, an Neapel erinnernd, mit einer Unmenge von Bettlern und frechen Lausbuben, die einen verfolgen. Wir gingen ins Hotel de Rome, frühstückten, lasen Figaro und Frankfurter Zeitung, um an der Quelle französischen und germanischen Geistes uns zu laben, gingen darauf in den Dom, der an und für sich plump und kalt ist, aber mich doch interessierte durch spanische Eigenheiten: zum Beispiel ist das Innere eine mächtige Hallenkirche (siebzehntes oder achtzehntes Jahrhundert) mit Chorumgang, antiken (korinthischen) Säulenbündeln[49] und dem Chor mitten in der Kirche (wie in den Fraris). – Sonst ist in der Stadt nichts zu sehen. Um ein Uhr fuhren wir mit der Bahn nach Granada. – Die Fahrt dahin (siebenundzwanzig Franken) ist wunder voll und einzig in ihrer Art. – Nach einer halben Stunde Entfernung von dem Meere beginnt der Zauber der Vegetation sich aufzutun: von fernen zackigen Bergen geschützt, blühen in üppiger Pracht Mandelbäume, Orangen, Eukalyptusbäume, überall strecken sich die frechen Kakteen entlang, und schlank überragt alle die einzelne Palme. – Ich drohe poetisch zu werden! Nur nicht das; da wird man so leicht ridikül, wenn man sich wieder liest! Unerhört ist die Kraft der Farbe; der Himmel wie ein echter Böcklin. – Immer kühner wird's umher, bis die Berge drohend nahen mit furchtbarer Schroffheit und öder Kahlheit; die Pracht schwindet; nur kleine, struppige Stechpalmen bleiben zurück; die Bahn steigt energisch; das Bild wird furchtbar, erschreckend und großartig. Es ist die Sierra Nevada, welche hier beginnt; je weiter wir nach oben kommen, desto merklicher wird die Abnahme der Temperatur. – Jetzt fahren wir um einen Felsen herum, der auf der einen Seite wie Mama und Weber aussieht, auf der andern vollständig wie Goethe im Alter. – Es dunkelt und wird regnerisch. Wir schmatzen ein kleines Huhn zusammen, Orangen und Äpfel, machen die dümmsten Witze und schlafen schließlich ein. Da wach' ich plötzlich auf – es geht mir was im Kopf herum! Evas Geburtstag.[50] – O ich Schafskopf! – – – Als ich wieder eingeschlafen bin, rüttelt uns der Ruf Granada auf. – – – Es regnet! Wie schade. Wir fahren durch die Stadt nach dem Hotel hinauf, welches zwei Minuten von der Alhambra entfernt liegt; gegessen und zu Bett. Das Hotel »Roma« ist sehr nett, ganz italienisch, Pension zwölf Franken pro Person.


Donnerstag, 18. Februar.


Es regnet etwas, hört aber später auf; leider kein blauer Himmel; wir sind fast allein im Hotel; nehmen einen etwas Englisch sprechenden Führer und gehen hin, ja wir gehen hin und hinein in das größte steinerne Wunder der Welt. Mit keinem Gefühle, das ich je empfunden der Kunst gegenüber, kann ich das vergleichen, welches mich überkam, als ich in die Halle der Alhambra trat; mir war's, als führte mich eine Hand über Raum und Zeit hinweg vor ein Traumgebäude, in dem ich nicht sprechen, nicht atmen, nicht gehen durfte, ein einziger Laut zersprengte das Gebilde und ich erwachte in einem trüben nordischen Zimmer. Ist es erhaben? Ist es lieblich? Ist es großartig? Ist es heimlich? Nichts will passen! Auch nicht fremdartig; der Begriff Stil, Gesetz, Symmetrie, Eurythmie, all das bleibt mir fern, und doch ist alles Gesetz und Harmonie. Üppig, schwelgerisch reich, und doch einfach, klein und groß, phantastisch und doch fast arithmetisch! In vielen Farben schillernd und doch aus einem Ton! Die Architektur[51] durchbrechend, überschreitet's doch keines ihrer Gesetze. Es ist ein Wunder, das mich umgibt, und ich kann eigentlich nicht reden und schreiben darüber, wie über alles Unantastbare; gewiß ist es der größte und seltenste Eindruck, den die bildende Kunst ausüben kann.

Nicht die Friese des Parthenons oder der Tempel in Pästum, nicht die Markuskirche oder irgendwelches Gebäude vermag wohl das, was dieses vollbringt: mit einem Zauberschlage uns ganz in die entschwundene Zeit einer großen Kultur zu versetzen, uns die herrlichen Wohlgerüche, die gewirkten Seidengewänder, die lieblichsten Frauen ahnen zu lassen, wie sie in Tausendundeine Nacht so wundersam auf uns wirken.

Zwei greuliche Amerikaner und Deutsche machten uns fast zu Mördern vor dieser himmlischen Welt; wir baten die Führer, uns zurückzulassen und diese elenden Tropfen vorantrotteln zu lassen. Wie haßt man doch in solchen Stimmungen die rohe Stimme des eindrucksunfähigen Neugierigen; hätte des Bellen eines Hundes, ja, das Grunzen eines Schweines uns stören können? Sicher nicht. Wir blieben den ganzen Vormittag dort, von einem Staunen und Entzücken ins andre geratend. –Ungehörigerweise hat Karl V. gerade neben der Alhambra einen großen (nicht einmal vollendeten) Palast errichtet in plumpem Hochrenaissancestil, und zwar so nahe, daß er auf den Patio de los Arrajanos und den Löwenhof tölpelhaft drückt. Ein Verdienst desselben Kaisers dagegen ist es, in seiner Weise restauriert und[52] manches daher vor Verfall gerettet zu haben. Die Führer finden natürlich das Interessanteste am ganzen Bau die Zimmer, welche Washington Irving bewohnt hatte.

Quelle:
Wagner, Siegfried: Erinnerungen. Stuttgart 1923, S. 45-53.
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