Sport und Spiele aller Art.

Vor einigen Jahrzehnten noch erregte es Aufsehen, wenn eine Dame irgend welchen Sport trieb. Sogar das jetzt allgemein geübte Schlittschuhlaufen galt in den vierziger Jahren noch als unpassend.

Heute kennen wir gekrönte Häupter, die ausgezeichnete Radfahrerinnen sind. So ändern sich die Zeiten! Die Frau ist hier wie auf manchem andern Gebiet eine erfolgreiche Konkurrentin des Mannes geworden. Jedoch darf die Frau in der Oeffentlichkeit nie allein Sport betreiben. Als junges Mädchen sucht sie Anschluß an Freundinnen oder eine ältere Dame oder läßt sich von ihrem Bruder begleiten. Als verheiratete Frau schließt sie sich ihrem Gatten an.

Der Eislauf ist als gesunde Körperbewegung beliebt. Die junge Dame besucht die Eisbahn nur in Begleitung Bekannter. Die Eltern oder Mütter promenieren am Ufer. Sie darf mit bekannten Herren zusammen laufen, ebenso die kleinen Ritterdienste, zu denen[226] der Eissport Gelegenheit giebt, annehmen. Herren nehmen bei ihrem Lauf Rücksicht auf die Damen, springen helfend herbei, wenn eine Dame ausgleitet, schnallen Schlittschuhe an oder ab etc.

Die Toilette zum Eislauf ist ein elegantes Straßenkostüm. Für den Herrn ist hier ausnahmsweise die Pelzmütze, die sonst nicht getragen wird, gestattet.

Wer Rad fährt, vermeide als Herr jedes auffallende Kostüm. Es genügt, wenn die Beinkleider unten eng am Knöchel geknöpft werden und eine Mütze an Stelle des Hutes gewählt wird. Sportkostüme mit Emblemen sind das Privilegium der Radfahrerklubs. Damen tragen dunkle unauffällige Kleidung. Daß jeder, der einen Sport dieser Art lernt, sich an möglichst einsam gelegenen Orten und zu Zeiten übt, wo dies ungesehen geschehen kann, ist ein Gebot der Klugheit. Ebenso bitte man nicht eher andere, mit uns Schlittschuh zu laufen oder uns bei einer Radtour mitzunehmen, bis man so weit geübt ist, daß man die andern nicht aufhält und im Genuß stört.

Von außerordentlicher Wichtigkeit für Gesundheit, Haltung und Wohlbefinden ist es, wenn du, lieber Leser, turnen, fechten, schwimmen und reiten lernst. Diese Künste erhöhen deine körperliche Gewandtheit, bestärken dich in sicherem Auftreten und verhelfen dir zu kraftvoll anmutigen Bewegungen. Auch dir, verehrte Leserin, raten wir, soweit es dir möglich ist, diese Uebungen zu betreiben. Sie stählen die Gesundheit, befördern die Widerstandsfähigkeit des Körpers und erhalten dich – und dies wird dir gewiß nicht einerlei sein – jung.[227]

Die Toilette zum Reiten für Damen ist das dunkle, anschließende Reitkleid, herrenmäßig gearbeitet, Kragen und Manschetten nach Herrenart, Stulpenhandschuhe aus braunem Wildleder, Cylinder oder runder dunkler Herrenfilzhut, für Herren ein elegantes dunkles Reitkostüm, Reitbeinkleider, hohe Stiefel und Cylinder.

Der Herr reitet stets zur Rechten der Dame, um die eigene rechte Hand zu etwaiger Hilfe frei zu haben.

Damen werden nie allein ausreiten. Auf dem Lande genügt die Begleitung des Reitknechts, in der Stadt dagegen nicht. Allein mit einem Herrn auszureiten, der nicht Verwandter ist, ist nicht ratsam. Man suche am besten Anschluß an eine andere Reiterin. Alsdann ist eine Herrenbegleitung erlaubt.

Das Bergsteigen gehört ebenfalls zu dem beliebtesten Sport. Es erfordert aber systematisch betriebene Vorübungen, soll es wirklichen Genuß bieten und nicht den Körper überanstrengen. Es ist gänzlich falsch, wenn man direkt vom Comptoirsessel auf die »Jungfrau« steigen will. In der Morgenfrühe marschiert es sich am besten. In der Mittagsglut ruhe man. Für Damen empfehlen sich Touristenkostüme aus wetterfestem Loden mit gut fußfreiem Rock. Für Gletscherpartien paßt Beinkleid und geteilter Rock. Feste Schnürstiefel, wollene Strümpfe, in denen man sich die Füße weniger leicht wund lauft, und ein Plaid seien des weiteren erwähnt. Herren raten wir zu einem grauen oder braunen Touristenanzug, weichem Filzhut, Bergschuhen, die mit Fett einzureiben sind, um die Geschmeidigkeit zu erhalten, und dem Rucksack, dem einzig praktischen Begleiter auf[228] Fußtouren, der die notwendigsten Toilettenrequisiten und einen Imbiß in sich birgt.

Wem die Betreibung von dergleichem Sport aus irgend einem Grunde unmöglich ist, der findet Ersatz in den Bewegungsspielen, die aus dem allen körperlichen Uebungen so zugethanen England zu uns herübergekommen sind, und die in Deutschland so festen Faß gefaßt haben, daß es zum guten Ton gehört, sie zu kennen und zu spielen. Allen voran steht das beliebte Lawn Tennis, auch nur »Tennis« genannt, dem an Badeorten, wie Homburg, Wiesbaden, großartige Plätze hergerichtet wurden, und welches auch in den Gärten begüterter Familien eine Freistatt fand. Es ist ebenso gesund wie interessant, erfordert und begünstigt körperliche Gewandtheit und Anmut. Es wird in Parteien gespielt. Die Anzahl der vom Gegner geworfenen, gut aufgefangenen und zurückgeschlagenen Bälle bestimmt den Gewinn. Selbstverständlich ist hier kein Platz, die Regeln des Tennis aufzuzählen. Nur so viel sei gesagt, daß jeder, der sich in das Spiel vertiefte, bald zum begeisterten Anhänger ward. Zum Tennis legen Herren hellen, möglichst weißen Flanellanzug mit buntseidenem Gürtel an, dazu Tennisschuhe, und weichen hellen, am besten weißen Filzhut oder Mütze. In Hemdsärmeln zu spielen, ist ganz und gar unpassend. Auch die Damen vertauschen das Straßenkostüm mit fußfreiem Rock, bequemer Bluse aus hellem hübschem Stoff, event. Schürze mit Tasche zum Aufbewahren der Bälle und kleinem rundem Matrosenhut aus Stroh nach Herrenart.[229]

Es giebt heute Tennisklubs, Tennisturniere und Tennismerkbüchlein, in denen die Partien, Verabredungen, Turniertage u.s.w. verzeichnet werden.

Ein neues englisches Bewegungsspiel, erst seit kurzem unter uns gespielt, ist das Golfspiel. Wie beim Lawntennis, dem Football und dem Croquet, lauter Spiele, die über den Kanal zu uns herübergekommen sind, bildet auch hier die Kugel und ihre Fortbewegung Zweck und Ziel des Spieles. Diese Kugel, der Golfball, ist ein Ball aus weißem, geripptem Hartgummi von etwa 3 cm Durchmesser. Derselbe wird von einem bestimmten Platz aus abgespielt und macht, ähnlich wie beim allbekannten Croquet die Kugel ihren Weg durch Reisen von bestimmter Reihenfolge nimmt, die Runde durch neun, etwa 250 cm von einander entfernt liegende Löcher. Wie beim Croquet spielt Partei gegen Partei. Wessen Golfball mit den wenigsten Schlägen den Weg durch die Spielbahn gewonnen, ist Sieger. Der Ball darf während des Spieles nicht mit der Hand berührt werden, er wird mit einem Hammer vorwärts getrieben, nur hat derselbe, da das Terrain, abweichend von dem ebenen Croquetplatz, möglichst abwechselnd sein soll, eine wesentlich andere Form, als der Croquethammer, ja man bedient sich sogar mehrerer Schläger von verschiedener Form. Um den Ball aus einer Vertiefung herauszuspielen, wählt man z.B. einen Schläger mit löffelartigem Schlagbrett u.s.w. Die Spielvorschrift erlaubt eine reiche Abwechslung von Schlägerformen, doch wird meistens eine bestimmte Anzahl erlaubter Formen bei Beginn des Spieles festgesetzt. Das Terrain[230] soll, um Abwechslung in das Spiel zu bringen, möglichst uneben sein und künstliche Hindernisse, wie kleine Gräben, Teiche u.s.w., aufweisen.

Vorteilhaft unterscheidet sich dieses neue Spiel von den genannten andern Spielen dadurch, daß es mehr Geschicklichkeit als körperliche Behendigkeit und Kraft verlangt. Hierdurch wird es zum amüsanten Zeitvertreib auch schwächerer Personen, von Kindern, jungen Mädchen und Damen. Seinen Namen führt das Spiel nach dem Golfball. Das Wort Golf soll, so heißt eine Version, holländischen Ursprungs sein und sich mit dem Begriff Klub oder Verein decken.

Das Croquet ist das beliebte Unterhaltungsspiel für Damen und Herren im Haus- oder Kaffeegarten. Es ist so allgemein bekannt, daß wir seine Besprechung unterlassen zu können glauben. Es hat jedoch seine Beliebtheit zu Gunsten des Tennis eingebüßt.

Das Boccia wird in zwei Parteien gespielt. Jede Partei erhält sieben Kugeln, die eine weiße, die andere schwarze. Außerdem kommt eine rote Kugel zur Verwendung, die von der siegenden Partei ausgeworfen wird und den Mittelpunkt des Spieles bezeichnet. Es handelt sich nun für jede Partei darum, möglichst viel Kugeln in die Nähe der roten Kugel zu bekommen. Wem dies gelingt, gewinnt. Dieses Spiel ist besonders bei Gesellschaften, wo es gilt, viele gleichzeitig zu beschäftigen, also beim Jour fixe, sehr zu empfehlen, ebenso das

Schießen nach der Scheibe mit dem Flobertgewehr. Die Scheibe zeigt eine Anzahl (meist zwölf)[231] Ringe. Der dem Centrum am nächsten liegende Ring wird mit 12 numeriert u.s.f. Man setzt die Partie auf so und so viel Schuß pro Kopf fest. Die erschossenen Zahlen werden notiert und addiert, und wer die höchste Zahl geschossen hat, gewinnt.

Es können allerhand Schießpreise gestiftet werden, die das allgemeine Amusement noch erhöhen.

Das Kegelspiel kennt verschiedene Variationen. Damen beteiligen sich selten an demselben, dagegen gern an dem Wurfkegelspiel.

Von den Spielen im Freien kommen wir auf die Spiele im Zimmer, die sogenannten Gesellschaftsspiele. In erster Linie ist hier das Billardspiel zu erwähnen. Wer in der Gesellschaft beliebt zu werden wünscht, lerne es. Es ist so allgemein beliebt, daß man immer Partner findet. In Frankreich ist auch im bürgerlichen Hause ein Billard anzutreffen, und abends nach dem Diner machen Herren wie Damen ihre Partie Billard. In Deutschland findet es sich außer in reichen Haushalten nur im Restaurant. Damen spielen im Restaurant selbstverständlich nicht mit.

Ein sehr amusantes Gesellschaftsspiel, das mit dem Billardqueue und auf dem nur durch eine schräge Platte veränderten Billard gespielt wird, ist das jeu de baraques, welches wir für ein geselliges Haus sehr empfehlen.

Unter den Kartenspielen ist augenblicklich Skat, Whist, Bézique am beliebtesten. Früher waren L'hombre und Boston im Schwunge. Lerne diese Spiele, lieber Leser, damit du stets bereit seiest, bei einer Partie[232] auszuhelfen. Spiele aber nie mit halber Aufmerksamkeit. Es kränkt den Partner, wenn er merkt, daß du es nicht der Mühe wert hältst, ganz bei der Sache zu sein.

Wer sich nicht am Spiele beteiligt, pflegt sich häufig als Zuschauer neben oder hinter die Spieler zu stellen. Nicht jedem ist es angenehm, wenn ihm jemand zusieht, ihn beobachtet, womöglich ihn beraten will. Der Zuschauer verhalte sich still, um nicht lästig zu fallen.

Gleichmut beim Spiel ist die erste Forderung des guten Tones. Verschleiere alle Leidenschaft, zeige keine Verdrießlichkeit, wenn du verlierst.

Daß alle Hazardspiele verboten sind, ist dir bekannt. Wer einmal in Monte Carlo in den überhitzten Spielsälen die goldhungrige Schar leidenschaftlicher Spieler beobachtet hat, wer in den Zügen der verzerrten Gesichter gelesen, die nervös zitternden Hände das gewonnene Geld einstreichen sah, wird gewiß von Herzen froh sein, daß diese Stätten in unserm Vaterland zu existieren aufgehört haben.

Jedoch treiben auch hier noch in Badeorten, nach Renndiners und dergl. gewerbsmäßige Spieler ihr Handwerk. Wer nicht in ihre Hände fallen will, mache es sich zur Aufgabe, nie mit Fremden zu spielen.

Unter den Brettspielen ist das Schachspiel weitaus das geistreichste. Es gilt als beliebtes Spiel großer und kluger Denker. Andere Brettspiele sind Puff, Dame und Mühle.

Wir wollen diesen Abschnitt nicht schließen, ohne einer Lieblingspassion, eines Lieblingssports zu gedenken,[233] der Jagd. Wer Pächter einer Jagd ist, veranstaltet eine oder mehrere Treibjagden u.s.w. und ladet diejenigen ein, deren Jagdgast er gewesen ist. Die Einladung zur Jagd wird neuerdings auf der Postkarte versandt. Der Text lautet etwa:


Sport und Spiele aller Art

Der Gastgeber sorgt für ein Frühstück, das entweder in einem Forsthaus oder im Walde serviert wird. Ein Wagen bringt Tische und alles Nötige hinaus. Man giebt eine heiße kräftige Jägersuppe, warme Würstchen, belegte Butterbrote, Butter und Käse, dazu Portwein, Sherry, Rot- und Weißwein, nach Belieben auch zum Schluß des Frühstücks Schnäpse und Glühwein. Findet das Frühstück in einem Hause statt, so kann ein warmes Gericht statt der Butterbrote gegeben werden.

Sehr gastfreie Leute laden die Jagdgenossen noch zu einem nach der Jagd stattfindenden Jagddiner ein. Die Einladung hierzu ergeht gleichzeitig mit der obenbeschriebenen[234] Einladung zehn bis vierzehn Tage vorher, jedoch in geschlossenem Couvert wie jede andere gedruckte Dinereinladung und lautet auch nicht zum »Jagddiner«, sondern zum Diner oder Mittagessen um 6 resp. 7 Uhr. Natürlich wechseln die Jäger den Anzug und erscheinen, wenn nichts anderes vermerkt ist, im Frack, weißer Binde und Chapeau claque, kurz im Gesellschaftsanzug.

Einladungen zur Jagd kann man auch an Herren ergehen lassen, mit denen man bisher noch nicht verkehrte. Sie sind unabhängig vom übrigen gesellschaftlichen Verkehr, ziehen denselben auch nicht nach sich. So kann ein verheirateter Herr eine Einladung zum Jagddiner annehmen, bei dem die Hausfrau präsidiert, ohne verpflichtet zu sein, ihr seine Frau zuzuführen. Er macht kurz nach dem Diner dort allein einen Besuch.

Bist du erst seit kurzem Jäger, oder willst du es gar erst werden, lieber Leser, so warne ich dich vor Einem: Schaffe dir keine allzu patente, wohl gar bunte Kleidung dazu an, sie verrät, daß du noch Neuling bist.[235]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 226-236.
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