Ankauf der Manuskripte des Herzogs von Hamilton

[198] Das Jahr 1882 brachte den Kgl. Museen eine sehr kostspielige und wertvolle, besonders für unsere Museumspolitik bedeutsame Erwerbung: den Kauf der Manuskripte des Herzogs von Hamilton. Schon im März hatte ich während eines Besuches in London und Paris – noch immer behufs gemeinsamen Vorgehens bei großartigen Abformungen alter und neuer Bildwerke und Architekturteile, wie es Generaldirektor Schoene unentwegt im Auge behielt – Näheres über einen bevorstehenden Verkauf der reichen Kunstschätze des Herzogs erfahren. Die Versteigerung der Gemälde, Möbel und Dekorationsstücke war schon auf den Juni festgesetzt, der Verkauf der Manuskripte sollte bald darauf folgen, falls sich nicht ein Käufer für das Ganze finde. In der Gemäldeversteigerung erwarben wir den ersten Dürer, ein Jugendwerk: das Leimfarbenbild Friedrichs des Weisen, das wegen der abschreckenden Häßlichkeit des Dargestellten nur etwa 200 Guineas erreichte, während ein treffliches größeres Figurenbild Brouwers, auf das ich gleichfalls Auftrag gegeben hatte, höher gesteigert wurde als unser Limit und uns entging, da mir leider nicht erlaubt wurde, der Auktion selbst beizuwohnen.

Den wertvollsten Teil der Sammlungen bildeten die Manuskripte. Ihre Erwerbung im ganzen lag sowohl Direktor Lippmann wie besonders dem Generaldirektor Schoene am Herzen. Ein Zusammengehen mit der Bibliothek war ihm mißglückt, weil der Oberbibliothekar Lepsius, daneben immer noch unser Kollege als Leiter der Ägyptischen Abteilung, durch sein Alter schon zu schwerfällig war, um eine so große und schwierige Erwerbung ernstlich zu fördern. Schoene entschloß sich daher, durch den Protektor ermutigt und unterstützt, den Ankauf[198] ganz auf Gefahr der Museen zu betreiben, obgleich für die Forderung von 80000 £ außerordentliche Mittel nicht vorhanden waren.

Mit Begutachtung und Schätzung der Sammlung beauftragte er Lippmann und mich, sowie für den eigentlich bibliothekarischen Teil seinen Bruder, den späteren Oberbibliothekar von Göttingen, der damals als wissenschaftlicher Attaché der Pariser Botschaft beigegeben war. Durch eine Woche und länger haben wir in London gemeinsam den reichen Schatz durchgesehen. Keiner von uns war nur notdürftig vorbereitet für die schwierige Aufgabe. Wenn wir auch eine Anzahl der berühmtesten illustrierten Handschriften in den Bibliotheken in Wien, Berlin, Paris usw. kannten, so hatte doch niemand von uns eine genügende Übersicht und wir waren uns über den derzeitigen Wert der Handschriften sehr im Unklaren. Lippmann erstrebte vor allem den Besitz der Dante-Illustrationen von Botticelli, aber diese sollten keinesfalls allein abgegeben werden. Daneben richtete sich sein Interesse vornehmlich auf die illustrierten Werke der italienischen Kunst der Renaissance. Die französischen und englischen Werke des XIV. Jahrhunderts, die ganz hervorragend vertreten waren, schienen für die Bibliothek Berlins nicht besonders wertvoll, weil sie bereits ebenso gute und selbst ältere Abschriften besaß. Für die Illustrationen aber hatte die Bibliothek kein besonderes Interesse. So kamen wir in unseren Separatgutachten eigentlich alle darauf hinaus, daß es wohl besser sein werde, die Versteigerung abzuwarten und dabei das Wichtigste zu erwerben.

Aber in der entscheidenden Sitzung in Berlin, zu der noch verschiedene Gelehrte hinzugezogen waren, wurde dennoch, namentlich auf Betreiben des Generaldirektors, der Ankauf der ganzen Sammlung einstimmig empfohlen. Protektor und Minister gaben ihre Zustimmung. Das Geld wurde zunächst als Darlehen beschafft, und noch vor Ende des Jahres war die Sammlung in Berlin. Leider hatte sich der Finanzminister geweigert, mehr als eine[199] Million Mark für den Ankauf zu bewilligen, so daß mehrere Jahre später, nachdem alle Versuche, weiteres Geld zu beschaffen, fehlgeschlagen waren, eine Anzahl wertvoller Manu skripte, darunter namentlich solche des XIV. Jahrhunderts, an die Firma Trübner in Straßburg abgegeben wurden. Immerhin hat der Ankauf unseren Museen einen Schatz illustrierter Handschriften, deren vorher nur wenige vorhanden waren, gebracht, wie er später mit ähnlichen Mitteln nicht zu beschaffen gewesen wäre. Und vor allem hat er – ähnlich wie früher der Ankauf Suermondt – unsere Behörden daran gewöhnt, auch außerordentliche Mittel für solche ideale Zwecke von Zeit zu Zeit zur Verfügung zu stellen.

Gleichzeitig durften sich die Sammlungen einer Erweiterung in ganz neuer Richtung erfreuen. Durch Ankauf wurde die Sammlung japanischer Kakemonos vom Konsul Giercke für 30000 Mark erworben. Hier war guter Rat noch teurer. Bastian betrachtete die Sammlung als außerhalb des ethnographischen Interesses. Lippmann hatte als junger Mann lebhaftes Interesse für ostasiatische Kunst gehabt, aber nachdem er im Jahre 1870 einen Aufsatz über die Cloisonné-Sammlung Treu in Wien veröffentlicht und diese zum Teil in die Zeit vor Christi Geburt hinaufdatiert hatte, während gleichzeitig nachgewiesen wurde, daß die Cloisonné-Kunst in China erst durch byzantinische Vorbilder im IX. Jahrhundert angeregt wurde, war er nicht zu bewegen, überhaupt noch ein Stück ostasiatischer Herkunft auch nur anzusehen. Ich selbst hatte für asiatische Kunst von jeher Interesse, war bekannt dafür, daß ich für das Kunstgewerbemuseum und für mich vorderasiatische Teppiche erworben hatte, mit George Salting chinesisches Porzellan sammelte und einige gute Stücke selbst besaß: so erhielt ich den Auftrag, ein Gutachten über die japanischen Bilder der Giercke-Sammlung abzugeben.

Obgleich ich nun nie mit Verständnis ein Kakemono gesehen hatte – wo gab es auch damals solche in Europa? –, entschied ich mich in meinem Gutachten doch kühnlich für den Ankauf. Ich erklärte, die ostasiatische Kunst müsse endlich als Kunst[200] auch in Europa anerkannt und gesammelt werden. Da der Konsul Giercke sich während seines langen Aufenthaltes in Japan große Kenntnis der dortigen Kunst erworben haben solle, so wäre anzunehmen, daß seine Sammlung wertvoll und preiswert sei. Sie wurde also gekauft, und zwar aus dem Reservefonds, und, sehr gegen Lippmanns Willen, dem Kupferstichkabinett zugewiesen. Hier hat sie jahrelang in Kisten verpackt gelegen, bis es Lippmann schließlich gelang, sie an das Völkerkunde-Museum, bei Eröffnung des Neubaues, abzuschieben. Über ihren Wert oder richtiger Unwert ist erst nach mehr als fünfundzwanzig Jahren ein kompetentes Urteil abgegeben worden, als auf meine Aufforderung Ernst Grosse und Otto Kümmel zur Schöpfung einer Sammlung alter ostasiatischer Kunst schritten.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 198-201.
Lizenz:
Kategorien: