Die neue Abteilung deutscher Plastik

[190] Im Frühjahr 1881 erhielt meine plastische Abteilung einen wesentlichen Zuwachs durch die deutschen Bildwerke der alten Kunstkammer. Über die Verteilung der Sammlungen dieser Abteilung, deren Auflösung gleich nach dem Tode ihres letzten Direktors von Ledebur beschlossene Sache war, hatten Professor Bastian, Dr. J. Lessing und ich nach Aufforderung des Ministers besondere Gutachten gemacht. Bei der endgültigen Aufteilung wurde ich, wie ich früher schon ausgeführt habe, eigentümlicherweise nicht hinzugezogen, so daß eine Anzahl Gegenstände, die in die plastische Abteilung gehörten, in das Kunstgewerbemuseum gegeben wurden. Der größte Teil dieser Sachen, namentlich die Plaketten, gelangten erst 25 Jahre später an die Abteilung der deutschen Plastik. Die kleine Zahl größerer deutscher Skulpturen: einige große Tonbüsten, eine Anzahl meist wenig bedeutender Holzbildwerke und eine kleine, aber gewählte Sammlung deutscher Kleinplastik wurde damals schon der Abteilung der Bildwerke christlicher Epoche zugewiesen, deren Aufstellung in dem dunklen alten Abteilungssaal am Hofe nicht geringe Schwierigkeiten machte.[190]

Durch diese Zuweisung der deutschen Plastik und ein paar weniger bedeutender Stücke altchristlicher Kunst erwuchs mir die neue Aufgabe, die Abteilung auch nach dieser Richtung möglichst zu erweitern. Aus diesem Anlaß und zum Zweck wissenschaftlicher Vorbereitung besuchte ich im Sommer die mittel- und süddeutschen Städte, wo ich die deutsche Plastik in den Sammlungen und Kirchen kennenlernte und die Vermehrung der Abteilung aus dem Besitz von Händlern und Privaten einleiten konnte. In den folgenden Jahren setzte ich diese Studien fort, deren wissenschaftliche Resultate ich in der 1885 bei G. Grote erschienenen »Geschichte der deutschen Plastik« niederlegte. Bei den Erwerbungen für diese Abteilung hatte ich damals kaum ernstliche Konkurrenten. Eine alt bemalte Holzfigur war noch um einige hundert Mark zu haben. Wenn sie den Namen des bevorzugten Riemenschneider, des deutschen Perugino, führte, kostete sie vielleicht das Doppelte und höchstens das Dreifache. Ähnlich billig waren die feinsten Buchschnitzereien. Freilich kam, wie immer bei so niedrigen Preisen, nur weniges auf den Markt. Erst das Steigen der Preise verlockte die Händler, von den Böden der Kirchen und Schlösser Süddeutschlands und Tirols und aus den Wohnungen der Geistlichen die plastischen Kunstwerke zusammenzusuchen und für den Verkauf herrichten zu lassen. Aber bis diese Steigerung eintrat, hatte ich doch in fünf oder sechs Jahren schon eine recht achtenswerte kleine Sammlung deutscher Renaissancebildwerke zusammengebracht.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 190-191.
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