Berufung Lichtwarks nach Hamburg, Thodes nach Frankfurt

[76] Um die gleiche Zeit waren aus dem Kreise der jüngeren Kunsthistoriker an unseren Museen oder derer, die mit uns verkehrten, verschiedene der tüchtigsten ausgeschieden. Dr. Lichtwark, Assistent am Kunstgewerbemuseum, war 1886 als Direktor an die Hamburger Kunsthalle berufen. Hamburger von Geburt und ursprünglich Volksschullehrer, hat er in Hamburg das Interesse für Kunst nach der lokalen Seite zu erwecken und nach dieser Richtung in verschiedenster Weise zu sammeln verstanden und andererseits für die Popularisierung der Kunst auch über Hamburg hinaus anregend gewirkt. Was er in einem Vierteljahrhundert in dem alten, unfreundlichen Bau an Althamburger und modernen Kunstwerken in reicher Zahl aufgestapelt hat, wird hoffentlich bald in einem Neubau, der von ihm entworfen und zum Teil schon ausgeführt ist, zu günstiger Wirkung kommen.

Bald nach Lichtwark wurde Thode von Berlin abberufen, als Inspektor an das Staedel-Museum in Frankfurt am Main. Ich hatte ihn für diese Stellung empfohlen, weil mir die Sammlungen des Museums durch ihre hohe Qualität, innerhalb bescheidener Grenzen, trotz der schwierigen Verwaltungsverhält nisse, als Leiter einen Kunsthistoriker von der Frische und dem regen Interesse Thodes dringend zu benötigen schienen, nachdem[76] seit Passavants Tode die Direktion der Galerie durch Jahrzehnte im wesentlichen einem Kunsthändler, Kohlbacher, und dem ganz unter seinem Einfluß stehenden Herrn von Gontard überlassen war. Leider erwies sich Thode für die Stellung als nicht geeignet. Die Unterordnung unter die »Administration«, einem aus Kaufleuten bestehenden Konzern, die den »Inspektor« nur wie einen Kommis betrachteten und behandelten und selbst von der Beratung und Beschlußfassung über Anschaffungen fernhielten, empörte ihn mit Recht, während er andererseits in seinen Vorschlägen für Anschaffungen keineswegs immer glücklich war, da er kunsthistorische Kuriositäten, die weit unter dem hohen Niveau der alten Sammlung standen, durchzusetzen suchte und dadurch das Vertrauen des Ausschusses verlor. Als er daher nach einigen Jahren einen Ruf als Professor der Kunstgeschichte nach Heidelberg bekam, nahm er ihn sofort an.

Thodes Nachfolger wurde auf meinen Vorschlag mein damaliger Assistent Dr. Weizsäcker, der gerade durch seinen feinen Kunst- und Qualitätssinn für die Sammlung des Staedel besonders geeignet erschien. Aber auch er scheiterte an der Rücksichtslosigkeit der Behandlung seitens der Administration. Da das Geld infolge des Neubaues damals sehr knapp war, hatte die Verwaltung für Bilder alter Meister kein Interesse, und von guten, modernen deutschen Bildern wollte sie nichts wissen. So wurde Leibls »Graf Perfall am Chiemsee«, den Weizsäcker um 2000 Mark in Vorschlag brachte, einfach abgelehnt; bald darauf kaufte es Herr v. Tschudi um 50000 Mark für die Berliner Nationalgalerie. Erst dadurch, daß Weizsäcker eine Reihe von Frankfurter Kunstfreunden, mit Dr. Sonnemann an der Spitze, für einen »Museumsverein«, nach dem Muster unseres »Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins«, gewann, konnte er den Ankauf einiger bedeutender moderner Bilder, wie der »Amsterdamer Waisenmädchen« von Max Liebermann, erreichen. Zu seinen Administratoren konnte er aber dauernd kein Verhältnis finden, auch nachdem Metzler nach Gontards Tode an die Spitze der Verwaltung[77] getreten war. Er benutzte daher einen 1900 an ihn erfolgten Ruf an die polytechnische Hochschule seiner Heimatstadt Stuttgart, um aus dieser unerfreulichen Stellung herauszukommen. Wie eine jüngere Generation von Kunsthistorikern mit Hilfe des Oberbürgermeisters Adickes und dank mehrerer ansehnlicher Vermächtnisse die Tyrannei der Administration zu brechen verstanden hat, dann aber eine Willkürherrschaft ohne künstlerisches Verständnis an die Stelle gesetzt hat, werde ich an anderer Stelle ausführen.

Thode hatte in Berlin mit Tschudi eine gemeinsame Wohnung gehabt. Als Thode nach Frankfurt berufen wurde, ging Tschudi auf einen Vorschlag ein, den ich ihm – auf Wunsch meiner verstorbenen Frau – im Jahr vorher gemacht hatte, zu mir in das neue, einsame Haus zu ziehen, um die gemeinsame Arbeit des großen Skulpturenkataloges rascher abzuschließen. Erst Anfang 1888, als seine Mutter nach Berlin zog, richtete er mit ihr eine eigene Wohnung ein.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 76-78.
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